Handglockenchor Drosa
Mit Handschuhen bei 30 Grad

Klingelingeling: Wenn in der Kirche von Drosa geprobt wird, kommt es weniger auf Notenkentisse, als vielmehr auf den richtigen Einsatz an. | Foto: Fotos (2): Heiko Rebsch
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  • Klingelingeling: Wenn in der Kirche von Drosa geprobt wird, kommt es weniger auf Notenkentisse, als vielmehr auf den richtigen Einsatz an.
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Im Kirchenkreis Köthen hat Florian Zeller ein Projekt ins Leben gerufen, um den Spaß am gemeinsamen Musizieren zu fördern.

Von Sylke Hermann

Nach und nach trudeln sie ein. Außer der Reihe an einem Mittwoch. Und auch nicht so zahlreich wie sonst, was daran liegen mag, dass die Temperaturen jenseits der 30 Grad liegen. Die Dorfkirche von Drosa, in der man sich zur Probe trifft, verschafft ein wenig Abkühlung. Doch spätestens, als jeder seinen Platz eingenommen hat, ist die Hitze Nebensache. Von nun an geht es nur noch um ein Thema: den Spaß am gemeinsamen Musizieren.
Florian Zeller, der als Kirchenmusiker in der Landeskirche Anhalts das Projekt im Kirchenkreis Köthen betreut, hat sich auch selbst einen Herzenswunsch erfüllt, indem er einen Handglockenchor ins Leben rief. Ein Dreivierteljahr ist das jetzt her. Mittlerweile probt man nicht nur regelmäßig, sondern ist auch schon öffentlich aufgetreten. Dabei war die Ausgangslage mehr als schwierig. „Es weiß ja keiner, was das ist“, bringt es Florian Zeller auf den Punkt. „Man muss den Leuten erstmal erklären, was wir da eigentlich machen.“ Das passierte in verschiedenen Workshops am Anfang.

„Ich habe das mal in Seiffen erlebt und fand es faszinierend“, erzählt Gerlinde Graf. Anschließend habe sie dem Pfarrer am Rande einer Veranstaltung davon vorgeschwärmt. Damals schon hatte sie überlegt, ob man nicht hier einen eigenen Handglockenchor gründen könnte. Vermutlich haben Florian Zeller die Ohren geklingelt. Jedenfalls setzte er das Vorhaben in die Tat um.

„Bei vielen Menschen“, erzählt der aus Naumburg stammende Kirchenmusiker, „besteht ein gewisses Grundbedürfnis, Musik zu machen.“ Mit dem Klang der Glocke würden die meisten etwas Positives verbinden, glaubt er. Und er sollte Recht behalten. „Der Klang ist toll; was man aus den Glocken alles herausholen kann, ist schon beeindruckend“, findet Marlies Giercke, die wie ihre frühere Schulkameradin Gerlinde Graf aus Drosa kommt. Beide Frauen wollten „es einfach mal probieren“.

Der Handglockenchor der Seesener St. Andreas Gemeinde am Harz wurde vor zwei Jahren gegründet. Er ist einer der jüngsten Handglockenchöre in Deutschland. Das Besondere an diesen Chören ist, dass jede Handglocke für genau einen Ton steht. Daraus gemeinsam eine Melodie zu zaubern - das ist die Herausforderung.

Inzwischen hat der Handglockenchor 13 Mitglieder. Die meisten seien einfach nur neugierig gewesen, vermutet Florian Zeller. Er weiß um den exotischen Hauch des Projektes. Zumindest hierzulande. „In Amerika“, berichtet Daniela Zimmer, „ist das wahnsinnig bekannt.“ Und fast so beliebt wie Gospelmusik. Die Proben des Handglockenchores sind für sie zu einer festen Größe geworden. Deshalb kommt sie auch an diesem Mittwoch in die Kirche und hat sichtlich Spaß, die Handglocken klingen zu lassen.

Den ersten Satz Glocken hat Florian Zeller mit einem Anteil Fördermittel aus dem europäischen Leader-Programm für den ländlichen Raum anschaffen können. Den Eigenanteil steuerte die Landeskirche bei. „Ich hätte nicht gedacht, dass sich jemand für unser Projekt einsetzt und bei der Finanzierung hilft.“ Umso dankbarer ist er. Mit dem Geld wurden Instrumente gekauft. Erst einmal Handglocken für elf Spieler – „weil jeder eine linke und eine rechte Hand hat und wir damit die Tonleiter abbilden können“, erläutert er. Perspektivisch würde er das Glockenrepertoire gern erweitern. Je größer und schwerer die Glocke, umso teurer.

Was die Notenkenntnis angeht, so hat in dieser Runde kaum jemand Ahnung. „Aber das muss auch nicht sein“, versichert der Kirchenmusiker, der an diesem heißen Sommerabend immer wieder animiert, das nächste Stück zu spielen – oder zu wiederholen: „Eins, zwei, drei, und…“, dirigiert er seinen Handglockenchor. „Gleich nochmal“, fordert er, „jetzt ein bisschen schneller und mit ein bisschen mehr Schmackes.“ Man sieht die Freude, mit der hier alle zu Werke gehen.

Florian Zeller ist während seines Studiums das erste Mal mit Handglocken in Berührung gekommen und hat damit musiziert. Damals ist der heute 31-Jährige häufiger nach Gotha gefahren, um es zu lernen. „Ich war anfangs ziemlich überfordert“, erinnert er sich. Überfordert, aber eben auch begeistert. Er ist der Meinung, dass es heutzutage schwerer geworden ist, gemeinsam Musik zu machen. Es fehle die kindliche Prägung, das Singen zu Hause. Die Handglocken, glaubt er, könnten „einen guten Ansatz bieten, um mehr Menschen für Musik zu begeistern“.

„Jeder kann es lernen“, betont Daniela Zimmer, die von Anfang an dabei war. Sie fände es schön, wenn sich noch mehr Leute für dieses noch recht unbekannte Instrument interessieren würden und mitmachen. Neue Mitglieder könne man immer gebrauchen. Damit der Handglockenchor irgendwann einmal wie ein Orchester klingt, ergänzt Florian Zeller.

Hintergrund

Handglocken sind kleine, auf einzelne Töne gestimmte Bronzeglocken, die in einem Satz von mehreren Oktaven per Hand gespielt werden können. Die größten und tiefsten Glocken wiegen dabei mehrere Kilogramm, die kleinsten entsprechend weniger. Die Klangkörper werden meist von Ensembles mit bis zu zwölf Spielern bedient, den sogenannten Handglockenchören. Diese schlagen im Wechsel dann rund 50 Glocken an, wobei jeder Glockenspieler für vier bis fünf Töne zuständig ist. In Deutschland gibt es zurzeit rund 40 Handglockenchöre mit 500 bis 600 Mitspielern, darunter vier Chöre in Niedersachsen und einen in Bremen. Die ältesten Chöre wurden 1973 und 1979 im hessischen Treysa und im bayrischen Aschaffenburg gegründet, der bislang jüngste 2020 in Seesen am Harz. Führend in der deutschen Handglocken-Szene ist heute der 1987 gegründete Chor im thüringischen Gotha mit hundert Mitgliedern in sechs Gruppen. Sein Leiter Matthias Eichhorn gibt bundesweit Workshops, musiziert mit den Glocken an Schulen und hält Kontakte zu Handglocken-Herstellern in den USA.

Glocken gibt es schon seit etwa 3.000 Jahren. Sie kommen eigentlich aus Ostasien und fanden im sechsten Jahrhundert Eingang in die christlichen Kirchen. «Sie stehen in vielen Kulturen für ganz besondere Momente», erläutert Matthias Eichhorn. In England begannen Glöckner vor rund 400 Jahren, Melodien auf großen Turmglocken zu spielen. Um diese Melodien zu üben, schufen sie die kleineren Handglocken. Diese gelangten mit Auswanderern in die USA und verbreiteten sich von dort in der gesamten englischsprachigen Welt. Allein in den USA gibt es laut Eichhorn heute bis zu 70.000 Handglockenchöre in Kirchen, Schulen, Universitäten und Kulturzentren. Amerikanische Soldaten und ihre Familien brachten das Handglockenspiel nach dem Zweiten Weltkrieg auch nach Deutschland, wo es bis dahin unbekannt war.

Klingelingeling: Wenn in der Kirche von Drosa geprobt wird, kommt es weniger auf Notenkentisse, als vielmehr auf den richtigen Einsatz an. | Foto: Fotos (2): Heiko Rebsch
Engagiert: Der Kirchenmusiker Florian Zeller hat vor neun Monaten mit 13 Interessierten den Hand-glockenchor gegründet.
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Online-Redaktion

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