Kantor-Katechetin über ihre Erfahrungen
Kirche muss lebendig bleiben

Marion Marquardt ist Kantor-Katechetin im Kirchenkreis Rudolstadt-Saalfeld. Am 27. Februar wird sie in einem Zentralgottesdienst in der Gertrudiskirche in Graba aus ihrem Dienst verabschiedet. Bevor Sie in den Ruhestand eintritt, blickt Sie noch einmal auf die Stationen und Wegmarken in ihrem Berufsleben zurück und ermutigt zu mehr Engagement im Ehrenamt.  

Nach dem Abitur haben mich die Wirren des Sozialismus auf die Kirchenmusikschule Eisenach getrieben. Zum Abschluss dieses Studiums bekam ich den Titel „Kantor-Katechetin“. Meine erste Arbeitsstelle war Rastenberg mit den Gemeinden Hardisleben und Roldisleben. Von meinem damaligen Superintendenten Horst Söffing habe ich alles gelernt, wie man niveauvoll und gut durchstrukturiert, Christenlehre in Stadt und auf dem Land gestaltet.

Im Sommer 1982 kam ich mit meinem Mann Klaus-Peter und meinem Sohn Andreas nach Graba. Wir fingen an, es uns Stück für Stück An der Gertrudiskirche 2 wohnlich zu gestalten. Christoph wurde 1985 geboren. Das Zusammenleben mit Pfarrer Kaufmann und seiner Familie war für uns segensreich sowie eine Lebensschule. Durch das Pfarrhaus zog immer ein Hauch von Ehrlichkeit und Offenheit. Eberhard und Reingard Kaufmann haben nie geklagt. Sie hatten immer Freude an ihrem Beruf, an ihren Aufgaben. Das hat sich auf uns übertragen.

1983 gründeten wir den Posaunenchor. Ich unterrichte Flöte und Klavier. Bald gab es eine Kinderflötengruppe und ein Flötenquartett. Daraus erwuchs der Musizierkreis. Er bestand aus Kinder- und Jugendgruppen und einem Erwachsenenensemble (mit Frauenchor und Projektchor). Urgestein ist Ulrica Will (geb. Scheidig). Sie ist vom ersten Tag an bis heute dabei. Wir waren mit unseren Flötengruppen unterwegs in Altersheimen, in der Diakonie, in der Kirche zu Gottesdiensten usw. Regelmäßig gab es im Gemeindehaus ein Frühlingskonzert für Eltern und Großeltern. Zur Belohnung machten wir Ausflüge nach Erfurt, Weimar, Eisenach. Seit 1982 gibt es die Adventsmusik in der Winterkirche; später kam die Sommermusik dazu. Zur Christenlehre hatte ich in Saalfeld sowie Graba und Dörfern im Sozialismus zuweilen acht Gruppen.

Ich bin dankbar, dass ich mit der außergewöhnlichen Persönlichkeit Ludwig Große zusammenarbeiten und streiten durfte. Von ihm habe ich gelernt, es darf nichts ausfallen, da es nur schwer zurückzuholen ist.
Nach der Wende war es nicht einfach, die Christenlehre aufrecht zu erhalten. Zuviel anderes wurde angeboten. 31 Jahre führte ich einen Kampf für die Christenlehre. Es gibt sie noch: bei uns und auch anderswo. Auf dieser Basis konnten unzählige Familiengottesdienste gestaltet werden. Nicht zu vergessen die Krippenspiele in Aue am Berg mit den Kleinen, in Graba mit den Großen. Es machte mir unheimlich viel Spaß, mir etwas auszudenken und zu moderieren. Danke allen Eltern, die ihre Kinder regelmäßig gebracht haben und noch bringen.


„Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln, wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“

(Jesaja 40, Vers 31)

Ich möchte heute über die bitteren und schmerzlichen Enttäuschungen, die einen in diesem Beruf ständig begleiten, nicht sprechen. Zwei politische Systeme habe ich erlebt. Der größte Teil der Menschen hat sich nicht verändert. Sie nehmen sich immer das Sahnehäubchen vom großen Kuchen und wollen den schweren Teig nicht essen. Um das zu verkraften, trage ich die Kirchenmusik in meinem Herzen. Saalfeld ist außergewöhnlich! Im Oratorienchor, später im Kammerchor, habe ich so viele große Werke gesungen, dass ich gar nicht weiß, wo ich beim Aufzählen anfangen soll. Wer einmal eine h-Moll Messe, eine Matthäus- oder Johannes-Passion, ein Weihnachtsoratorium, ein Verdi-Requiem gesungen hat, den kann nichts mehr erschüttern. Man ist gestärkt, man schöpft Kraft aus diesen Werken - ein Leben lang. So danke ich an dieser Stelle meinem Mann und meinen Söhnen, die unzählige Male auf der Orgelempore in der Gertrudiskirche gestanden haben, um die besonderen Gottesdienste und Feste mit auszugestalten. Sie alle drei haben meine musikalische Arbeit in meiner Kirche immer unterstützt.

Die festliche Bläsermusik ist nicht mehr wegzudenken. Mit unseren Bläserinnen und Bläsern im Posaunenchor bin ich sehr gern zusammen und unterwegs. Es ist schön, den Menschen Freude zu bringen – ob in der Gertrudiskirche oder auf Straßen und Plätzen – man erfährt selbst eine Beglückung.
An der Gertrudiskirche 2 zu wohnen, zu leben, zu arbeiten – einfach wunderbar.
Ich blicke dankbar zurück auf ein erfülltes, großartiges, segensreiches Berufsleben.
Liebe Leserinnen und Leser von „Glaube und Heimat“!

Nach 44 Dienstjahren in unserer Kirche erlaube ich mir, Erfahrungen und Eindrücke niederzuschreiben. Glauben Sie mir, Kirche ist niemals mit dem Wort „Mode“ in Verbindung zu bringen. Mode ist heute so, morgen so und übermorgen wieder anders. Kirche aber ist bodenständig, hat Wurzeln, ist seit 2000 Jahren geblieben und bleibt. Sie bietet Halt und Geborgenheit in wirren Zeiten. Sie ist Zufluchtsort und Ruhepol in dankbaren Zeiten.

Schauen Sie sich einmal bewusst um. In unserer Heimat gibt es so viele wunderschöne große und kleine Kirchen. Fast in jedem Gotteshaus finden Sie eine spielbare Orgel. Wir sind reich an Kunstschätzen (Schnitzaltäre, Wandmalereien). Es ist unsere Aufgabe, sie zu bewahren. Nichts ist verloren. Ich habe erlebt, dass nicht nur die Frauenkirche in Dresden aus den Ruinen auferstanden ist. Nein, in vielen anderen Orten auch. Kirchengebäude, die kurz vor dem Verfall standen, erlebten ein Aufblühen. Plötzlich sind Menschen gekommen, haben angefangen, den 1. Schritt zu tun. Heute sind diese Gotteshäuser zauberhafte Schmuckstücke, wo man sich einfach nur freuen kann, wenn man eintritt. Das große Zusammenspiel zwischen Orgel und Altar fügt eine Gemeinde zusammen.

Haben Sie den Mut, eine Lektorenausbildung zu machen – da, wo das Pfarramt nicht besetzt ist! Besuchen Sie einen Orgelkurs! Alles ist möglich! So kann Gemeinde lebendig erhalten bleiben oder neu beginnen. Wir Kirchenmusiker bringen Jahrhunderte alte Werke zum Klingen, damit sich auch heute noch Menschen daran erfreuen. Theologen zeigen uns, dass Jahrtausende alte Bibeltexte für uns noch Bedeutung haben.
Unsere Kirchen sind mehr als nur alte Steine. Mit ihnen verbinden wir Heimat und Identität. Sie sind Wahrzeichen von unseren Städten und Dörfern. Wir wollen nicht aufhören, sie zu beleben.

Marion Marquardt

Autor:

Beatrix Heinrichs

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