Es braucht ein Bleiberecht

Petra Albert | Foto: Martin Hanusch

Afghanistan: Seit dem Abzug der Amerikaner und der Machtübernahme der Taliban haben noch Tausende Menschen das Land verlassen können. Über schnelle Hilfen und langfristige Perspektiven sprach Katja Schmidtke mit Petra Albert, Pfarrerin und Beauftragte für Migration und Interreligiösen Dialog in der EKM.

Ist schon absehbar, in welchen Größenordnungen Deutschland Afghanen aufnehmen wird?
Petra Albert: Das Bundesministerium des Inneren spricht Medienberichten zufolge von 40 000 bis 50 000 Menschen, die Deutschland aus humanitären Gründen aufzunehmen bereit ist, also Ortskräfte der Bundeswehr und humanitärer Organisationen, Menschenrechtsaktivisten, Frauenrechtlerinnen und ihre Familien. Viele konnten leider Afghanistan noch nicht verlassen.
Wie viele Menschen darüber hinaus in Deutschland einen Asylantrag stellen werden, ist aktuell nicht abzusehen. Das wird von den weiteren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der Region abhängen und auch davon, wie sich die Nachbarländer von Afghanistan verhalten. Es ist ja bei weitem nicht so, dass jeder das Ziel Deutschland hat.

Es gab noch während der Evakuierungsflüge in Deutschland Debatten darüber, dass sich 2015 nicht wiederholen dürfe. Wie beurteilen Sie das?
Was genau ist damit gemeint? 2015 steht für so vieles. Da war nicht nur Überforderung von Behörden und Kommunen angesichts von ca. 890 000 Asylsuchenden, sondern auch viel ehrenamtliches Engagement und unkonventionelle Unterstützung. Auf dieses Engagement sollten wir keinesfalls verzichten. Menschen, die sich durch Patenschaften oder Hausaufgabenhilfe für geflüchtete Menschen engagieren, leisten einen wichtigen Beitrag zur Integration.
Andererseits ist klar, dass die heutige Situation völlig anders ist, als dies 2015 der Fall war. Die Grenzen sind geschlossen. Ein Fluchtweg bis in die EU ist sehr gefährlich. 2020 haben in Deutschland ca. 102 000 Menschen Asyl beantragt, im ersten Halbjahr 2021 waren es ca. 59 000, die meisten davon Syrer. Vor diesem Hintergrund ist es eher unwahrscheinlich, dass Menschen aus Afghanistan, selbst wenn sie es wollten, kurzfristig in größerer Anzahl ohne Visum nach Europa bzw. nach Deutschland kommen.

Hat die EKM bzw. haben die Kirchengemeinden Afghanen betreut, die abgeschoben werden sollten?
Ja, da gab und gibt es verschiedene Kontakte. Einige Kirchengemeinden haben Kirchenasyl gewährt. Andere Kontakte gab und gibt es zu Afghaninnen und Afghanen, die in Deutschland teilweise seit Jahren nur mit einer Duldung leben. Diese Menschen hatten starke Angst vor einer möglichen Abschiebung. Einige von ihnen sind gut integriert, arbeiten, sprechen deutsch. Auch wenn aktuell alle Abschiebungen ausgesetzt sind, brauchen diese Menschen für ihr Leben eine langfristige Perspektive. Es braucht ein Bleiberecht.

Was können Landeskirche, Gemeinden und was kann jeder Einzelne jetzt für die geflüchteten Afghanen tun?
Viele Menschen aus Afghanistan sorgen sich um ihre Angehörigen, die noch in Afghanistan sind. Hier braucht es Zuhören, Mitaushalten der Situation, unser Gebet. Aber auch Bundes- und Landesaufnahmeprogramme, darauf kann man Politiker und Politikerinnen ansprechen.
Darüber hinaus brauchen Menschen für eine gute Integration das Gefühl, willkommen und akzeptiert zu sein. Es braucht Begegnung, Kontakte und wenn notwendig Unterstützung bei der Integration.

Wie können wir denen helfen, die in Afghanistan bleiben (müssen)?
Das ist eine politische Aufgabe. Aktuell ist die soziale und wirtschaftliche Lage desolat, es fehlt an Lebensmitteln und Medikamenten. Hilfsorganisationen, die vor Ort aktiv sind, sind vermutlich dankbar für eine Spende.

Wie beurteilen Sie die Integrationswilligkeit Deutschlands wie leicht oder schwer macht es das Land, dass Geflüchtete sich integrieren? Was müsste verbessert werden?
In den letzten Jahren hat sich einiges getan, gerade im Hinblick auf Sprache oder die Integration in den Arbeitsmarkt. Manchmal wünsche ich mir, dass Behörden ihr Ermessen stärker für die Betroffenen nutzen und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen suchen.

Autor:

Katja Schmidtke

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