Klaus-Peter Hertzsch, 1996
Über den Frieden

gedruckt in "Glaube + Heimat" in der Festausgabe 1996 | Foto: Matthias Hemmann
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Wenn es eine Botschaft gibt, die alle Menschen mit dem Weihnachtsfest in Verbindung bringen, dann ist es diese: "Friede auf Erden".

Von Klaus-Peter Hertzsch

Fest des Friedens hat man das Weihnachtsfest genannt, und auch über den Weihnachtsmarkt klingt es: "'s ist, als ob Engelein singen wieder von Frieden und Freud." Tatsächlich singen ja die Engel auch nach der biblischen Erzählung in der Bethlehemsnacht vom Frieden: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen." Die stille, heilige Nacht # eine friedliche Nacht. Die eingeschneite Weihnachtswelt # eine Welt des Friedens. Die Politiker gehen in Urlaub. Die Kämpfer verkünden einen Waffenstillstand. Der Konkurrenzkampf ruht.

Vor einem halben Jahrhundert haben wir in Deutschland wieder die ersten Weihnachtsfeste im Frieden gefeiert # unvergesslich für alle, die es damals miterlebten. Ein ungeheures Aufatmen war durch das Land gegangen. Weihnachten wurde mit großer Dankbarkeit gefeiert. Gehungert haben wir und gefroren. Flüchtlinge waren noch unterwegs oder sehr notdürftig bei uns mit untergebracht. Stromsperren und nächtliche Ausgangsverbote schränkten unser Leben ein. Aber: Frieden! Alles wollen wir ertragen, hatten die Menschen gesagt, wenn nur die Bombennächte aufhören und unsere Männer nicht mehr an den Fronten verbluten. Jetzt war es soweit.

Aber wirklich zur Ruhe gekommen ist die Welt seitdem nicht. Und nach endgültigem Aufatmen ist uns auch heute nicht zumute: "Nun ist groß Fried ohn Unterlass. All Fehd hat nun ein Ende." Hier und dort schweigen die Waffen; aber keineswegs überall, und sie rollen noch täglich von den Fließbändern auch in unserem Land, werden über die Meere verschifft und über die Erde verteilt. Die Hungervölker rütteln an den Toren der Wohlstandsinseln unserer Erde und hungern nach Brot und nach Gerechtigkeit. Der Mensch erobert immer neue Märkte und neue Quellen zum Verbrauch, während die Schöpfung vor ihm kapituliert und in die Knie geht. Da wird es kahl und öde.

Es ist nach 1945/46 schnell gegangen, dass nach dem großen Aufatmen die Erkenntnis reifte: Zum Frieden auf Erden fehlt noch viel. Der Weg zu ihm ist noch weit. Die draußen an der Front und daheim in den Bombennächten ersehnte Ruhe ist den Menschen versagt geblieben in den Gefangenenlagern und in den Trümmerstädten, im Kalten Krieg und im Wirtschaftswunder, beim Wiederaufbau und bei der Wiedervereinigung, in wechselnden Zeiten. Sie alle, wir alle sind kaum je zur Ruhe gekommen, und der Frieden, kaum gewonnen, wurde schnell wieder zu Wunschtraum und Sehnsucht. Denn das Gegenteil des Friedens ist nicht nur der Krieg, es ist die Friedlosigkeit, eine Friedlosigkeit, die ihre tiefsten Wurzeln in uns selber hat. Da ist eine Wechselwirkung zwischen den treibenden Kräften in dieser Welt und dem Umgetriebensein in unserem Innern, zwischen der Ruhelosigkeit um uns und der Unruhe in unserem Herzen, zwischen der Furcht, die wir in uns tragen, und der Furcht, die wir um uns verbreiten.

In den Evangelien steht am Anfang die Weihnachtsgeschichte, und am Ende steht die Ostergeschichte. In der Weihnachtsgeschichte wird gesungen "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden", und in der Ostergeschichte wird berichtet, wie der, dessen Geburt wir zu Weihnachten feiern, seine Jünger in Jerusalem angetroffen hat hinter verschlossenen Türen, getrieben von ihrer Angst, sich mäuschenstill verhaltend aus Furcht vor den Mächtigen, ruhelos hinter verschlossenen Läden. Und dann heißt es: "Da trat Jesus mitten unter sie und sprach zu ihnen: ›Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.‹"

Das ist nicht der Alarmpfiff: An die Gewehre! Das ist der Adventsruf: "Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!" Der Frieden beginnt damit, dass verschlossene Türen aufgetan werden und verschlossene Herzen auch: "Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist." Wo er bei uns eintritt und zu uns sagt: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch", dort kommt der Frieden in Bewegung. Denn Frieden ist nicht ein Zustand, sondern ein Geschehen, ein Prozess, eine lebendige Kraft. "Frieden auf Erden" heißt nicht: "Der Frieden ist da." Sondern es heißt: "Der Frieden ist im Gang."

Wir können uns an unsere eigenen Erfahrungen aus den achtziger Jahren erinnern, als wir staunend sahen, wie Friedensgebete Menschen und Ereignisse in Gang bringen können. "Mache dich auf", sagt der Prophet, "werde Licht, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!" Mache dich auf, singen die Engel in der Heiligen Nacht, Hirte und Weiser, Frau und Mann, Christenheit und Menschheit, mache dich auf! Denn der Frieden zieht seine Bahn durch die verworrene, ruhelose Weltgeschichte, und er braucht Menschen, die mit ihm ziehen, in der Nachfolge dessen, den der Prophet "Friedensfürst" nennt, "auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende". Da ist etwas Großes im Werden, das seinen Anfang genommen hat in der kleinen Welt von Bethlehem und das kein Ende haben soll in alle Ewigkeit. Wo Stillstand ist, da ist noch kein Frieden. Darum ist Waffenstillstand nötig, doch er kann nur die Voraussetzung dafür sein, dass Frieden in Gang kommt.

Aber dieser Frieden ist dann auch nicht nur eine Sehnsucht, nicht nur ein Wunschtraum und großer Menschheitsseufzer, sondern er ist schon unterwegs mit uns, wenn wir uns aufmachen in der Gemeinschaft der Friedfertigen, von denen Jesus sagt, sie werden Gottes Kinder heißen. Die Friedensbotschaft steht in der Weihnachtsgeschichte ja nicht allein, sondern sie ist untrennbar verbunden mit der Ehre Gottes, mit dem Herrn der Herrlichkeit, mit dem Ewig-Vater und Weltschöpfer, dessen Tun all unserem Tun voraus ist. Und sie ist untrennbar verbunden mit seinem Wohlgefallen an seiner Schöpfung, der Liebe zu seiner Menschheit, zu all seinen Menschenkindern. Gott steht ein mit seiner Herrlichkeit und mit seiner Menschenliebe für die Möglichkeit des Friedens auch auf unserer Erde.

Darum sind wir auch als wanderndes Gottesvolk, auch als Minderheit, auch als Einzelgänger keineswegs verloren in der Weite der Welt oder erdrückt von der Macht der Fakten, sondern wir sind im Bunde mit dem, der am Anfang war und der das Ziel kennt. Er fordert uns auf und ermutigt, das Ungewohnte, das Überraschende zu tun, aus dem der Frieden wachsen will: für die Sanftmut unsere Stimme zu erheben im Verdrängungskampf, für die Barmherzigkeit in der Leistungsgesellschaft, für Gerechtigkeit in der Marktwirtschaft, für Schwesterlichkeit und Brüderlichkeit in den Machtzentren, für neue, bessere Ziele der Menschheit zu werben und nicht für neue Ansprüche, nach dem Ausgleich zwischen den Armen und den Reichen Ausschau zu halten und nicht nur nach Marktlücken und Gewinnchancen, der Liebe das Wort zu reden und nicht der Gewalt, dem Vertrauen und nicht der Angst, der Hoffnung und nicht der Resignation. "Den Frieden lasse ich euch", hat Christus gesagt, "meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht." Und "Fürchtet euch nicht" sagt darum auch der Engel in der Heiligen Nacht.

Denn es ist Zeit, aufzubrechen auf dem Weg des Friedens, seiner Lichtspur zu folgen, die sich hinzieht durch die Jahrtausende.

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