Predigt
Leicht zu übersehen

- hochgeladen von Mirjam Petermann
Was schaust du aber auf den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem Auge aber nimmst du nicht wahr? Lukas 6, Vers 41
Kennen Sie „Streichholzaugen“? Es ist eine Metapher, die gern in Comics verwendet wird, um zu verdeutlichen, dass einem vor Müdigkeit die Augen zufallen würden, man sie aber mit Streichhölzern offenhält, um wach zu bleiben.
Von Charlotte Reinhold
"Streichholzaugen", so habe ich es mir als Kind immer vorgestellt, müsste meinen, einen Balken im Auge zu haben. Aber schon damals kam mir das völlig übertrieben vor. Wer hat denn bitte einen Balken im Auge? Und wer bemerkt das denn nicht, während er den winzigen Splitter im Auge der Schwester sieht?
Es ist völlig übertrieben, und genau so soll es sein. Um das Richten und Gerichtetwerden geht es in Jesu Feldrede. Um das Abstempeln, Kritisieren, darum Menschen mit Vorurteilen zu begegnen, die Schuld woanders zu suchen, wenn mir etwas nicht gelingt.
Jesus könnte auch sagen: Kehrt erst einmal vor eurer eigenen Haustür, bevor ihr die anderen auffordert sauberzumachen. Zeigt nicht auf „die da oben“ und sagt: Wenn die in der Regierung ihre Arbeit nur besser machen würden, wäre die Welt in Ordnung. Tut selbst etwas dafür, dass ihr gut mit den Menschen in eurer Umgebung klarkommt. Lästert nicht über den Mann aus Syrien und behauptet, er würde euch die Arbeit wegnehmen. Wollt ihr denn als Pflegekraft arbeiten? Dann arbeitet mit ihm zusammen, ihr werdet gebraucht!
Es klingt so einfach – wer übersieht schon einen Balken? Und doch haben wir so oft ein Brett vor dem Kopf und sind blind für die eigenen Fähigkeiten. Die positive Formulierung gefällt mir besser: Nicht den eigenen Balken im Auge erkennen oder die eigenen Unzulänglichkeiten, sondern die Augen offen halten nach Möglichkeiten, Fähigkeiten, Handlungsräumen, die in mir schlummern und mich zu einem guten Miteinander beitragen lassen.
Die Autorin ist Pfarrerin in Schöndorf-Großobringen.


Autor:Online-Redaktion |
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