Abendmahl
Der Geschmack von Oblaten

Die Hostie steht für den "Leib Christi" oder das "Brot des Lebens". | Foto: Guntar Feldmann – stock.adobe.com
  • Die Hostie steht für den "Leib Christi" oder das "Brot des Lebens".
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Anni war als junges Mädchen in das Dorf gekommen. Eigentlich in das Nachbardorf. Ihre Familie hatte flüchten müssen, man hörte es immer noch an ihrem rollenden „r“.

Von Bettina Schlauraff

Beim Tanz lernte sie Hans kennen. Genauso groß und schlank wie sie. Sie heirateten. Das war eine große Nummer. Denn Anni war katholisch, Hans evangelisch. Die Familien waren nicht begeistert. Aber sie konnte gut zupacken, und die beiden führten den Hof der Eltern von Hans weiter.
Zu ihrem größten Kummer bekamen sie nie Kinder. Dabei hätte es keine besseren Eltern als sie geben können. Anni kümmerte sich umso mehr um Nachbars- und Patenkinder. Sie bekochte die Kranken im Dorf und wachte an den Betten der Sterbenden. Ohne Anni war dieses kleine Dorf gar nicht vorstellbar. Und ohne Hans auch nicht.
Als ich ihn kennen lernte, war er schon lange im Ruhestand. Soweit ein Bauer in den Ruhestand gehen kann. Im Kleinen betrieb er weiter seinen kleinen Hof und seinen Garten, versorgte seine Hühner und Tauben. Fuhr mit seinem Traktor auf sein Feld, um "Futter zu machen". Er war ein tief gläubiger, frommer Mensch. Solche von seinem Format habe ich nie wieder gefunden. Bei ihm suchten die Leute Rat. Er fuhr nie aus der Haut. Von ihm ließen sich die Leute was sagen. Und das tat er in aller Bescheidenheit und immer aus seinem Glauben heraus.
Gemeinsam mit Anni begleitete ich Hans auf seine letzte Reise. Da war er fast 90. Wir verabschiedeten ihn und ich hielt Annis Hand, als sie ihn in den Sarg legten – in seinem guten Anzug. Zur Kirche kam Anni schon lange. Erst war sie in die katholischen Gottesdienste im Umfeld gefahren, aber die waren immer weiter weg gerückt. Und außerdem wollte sie mit ihrem Hans zusammen Abendmahl feiern. Konvertiert war sie nie, aber sie gehörte zur Gemeinde.
Nach dem Tod von Hans wurde sie auch immer gebrechlicher. Und sie schaffte es nicht immer, in den Gottesdienst zu kommen. Wenn es zeitlich möglich war, dann ging ich danach noch zu ihr. Ich kannte den versteckten Riegel an der Tür, den Trick, den Hund zu umgehen und keine Hühner aus dem Hof zu lassen. Dann trat ich in die kleine Stube und erzählte ihr von meiner Predigt und wir beteten zusammen, und ich segnete sie.
Wenn es Abendmahl gab, dann brachte ich ihr eine Oblate mit und hatte oft auch den Kelch gleich aus der Kirche mitgenommen. Sie liebte das besonders. Sie nahm die Oblate zart in die schmalen Hände und dann steckte sie sie in den Mund, die Augen geschlossen.
Die Oblate war voller Geschmack. Sie schmeckte ihr nach Gemeinschaft, sie schmeckte warm von der Runde in der Kirche, sie schmeckte nach den frohen Gesichtern von Jürgen, Karin und Günther, nach dem himmelblau der Emporen und dem Licht aus den gelben Scheiben. Sie schmeckte auch ein wenig nach Hans. Und nach Ewigkeit.

Die Autorin ist Regionalbischöfin im Nord-Sprengel der EKM. 

Autor:

Praktikant G + H

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