Erfurter Schatz
Ende eines Kriminalfalls

- Die Beauftragten für das Unesco-Welterbe Erfurt, Maria Stürzebecher (v. l.) und Karin Sczech, mit den vier neuen Gewandschließen, die den Erfurter Schatz komplettieren
- Foto: Fotos (3): epd-bild/Paul-Philipp Braun
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Erfurt: Der 1998 gefundene jüdische Schatz gilt als der bedeutendste archäologische Fund der vergangenen 100 Jahre im Gebiet der heutigen Thüringer Landeshauptstadt. Nun sind bislang vier unbekannte Stücke sichergestellt worden.
Von Matthias Thüsing
Die Nachricht von den vier überraschend aufgetauchten Schmuckstücken aus dem mittelalterlich-jüdischen Schatz von Erfurt erreichte Maria Stürzebecher am Strand von Sardinien. “Es war die einzige Mail, die mir die Kollegen in die Ferien hinterhergeschickt haben. Aber was für eine!“, erinnert sich die Kunsthistorikerin. Jahrelang habe sie den 1998 geborgenen Schatz wissenschaftlich untersucht - immerhin 3142 Silbermünzen und 14 Silberbarren sowie mehr als 700 Einzelstücke gotischer Goldschmiedekunst. Immer habe sie vermutet, dass während des Pestpogroms vom 21. März 1349 noch mehr versteckt worden sei.
Denn bei drei Gewandschließen in der Ausstellung der alten Synagoge fehlten über mehr als 25 Jahre die Gegenstücke. Nun sind auch sie gefunden. „Ich habe an dem Abend auf Sardinien mit einem Extrabier auf diese Überraschung angestoßen“, sagt die Erfurter Beauftragte für das Unesco-Weltkulturerbe der Stadt.
Die Sicherstellung der Fundstücke markiert zugleich das Ende eines Kriminalfalls. Wochenlang hatten im Herbst 1998 die Archäologen einen Bauplatz in der Michaelisstraße nach möglichen Zeugnissen aus der Vergangenheit abgesucht. Am 10. September gaben die den Bauplatz frei. Fast mit der ersten Schaufel legte ein Baggerfahrer den Schatz frei. Der Grabungsleiter wurde zurückgerufen und die systematische Bergung begann.
Vermutlich steckte ein Mitarbeiter einer der beteiligten Baufirmen die vier Schmuckstücke ein, bevor der Grabungsleiter eintraf. Anfang des Jahres wollte er seine Beute zu Geld machen und bot sie der Stadt Erfurt zum Kauf an. Die Eigentumsfrage an den Schmuckstücken war jedoch klar. Aufgrund des gesetzlich in Thüringen festgeschriebenen Schatzregals gehen bis zum Zeitpunkt des Fundes verborgene Schätze mit ihrem Auffinden in das Eigentum des Freistaats über.
Juristisch ist 1998 eine Unterschlagung begangen worden. Die Straftat ist jedoch seit 2003 strafrechtlich verjährt. Weil die Gefahr bestand, dass der Anbieter die Stücke ins Ausland verkaufen könnte, erwirkte die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss und stellte die Stücke vor wenigen Wochen sicher. Für den Präsidenten des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, Sven Ostritz, ist dieser Fall in seiner Dimension besonders – und doch wieder alltäglich. Fast wöchentlich erreiche sein Amt Meldungen über Raubgräber und illegale Sondengänger in Thüringen. Die Aufklärungsquote sei niedrig. Um so erfreulicher sei der Ausgang dieses Falles.
Denn bei dem Erfurter Schatz handele es sich um eines der bedeutendsten Zeugnisse des mittelalterlichen jüdischen Lebens in Deutschland, sagte Ostritz. Der Materialwert der Preziosen aus vergoldetem Silber sei gering, die kunsthistorische Bedeutung unbezahlbar.
Das unterschreibt auch die Jüdische Landesgemeinde Thüringens. Es gebe so wenige Museen, die über die 900-jährige jüdische Geschichte in Deutschland Zeugnis ablegen, sagt der Vorsitzende der Landesgemeinde Reinhard Schramm. Jede Erweiterung dieser Ausstellungen bietet die Möglichkeit, über den großen kulturellen Beitrag des Judentums in der deutschen Geschichte ins Gespräch zu kommen. „Das ist wichtig in einer Zeit, in der der Antisemitismus zunimmt und über unsere Religion nur noch im Zusammenhang des Nahost-Konflikts gesprochen wird“, sagt Schramm.



Autor:Online-Redaktion |
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