Glaubensserie (8): Pfingsten
Das Loch in der Decke

Alexander Deeg | Foto: Andreas Schüle
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Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland kann, so zeigen es Umfragen, nicht sagen, was Pfingsten eigentlich bedeutet. Und auch wer noch weiß, dass es um den Tag der Ausgießung des Heiligen Geistes oder den Geburtstag der Kirche geht, findet Pfingsten oft eher schwierig und inhaltlich unbedeutend.

Von Alexander Deeg

Zu Pfingsten fehlen die Symbole und Rituale, die Ostern oder Weihnachten zu einem kirchlichen und familiären Highlight machen. Als Fest des Heiligen Geistes erscheint Pfingsten abstrakt. In der Geschichte der Kirche gab es daher allerlei Ideen zur liturgischen Inszenierung: Durch ein Heilig-Geist-Loch in der Decke der Kirche wurden hölzerne oder sogar lebende Tauben in die Kirche gelassen.

Dabei ist Pfingsten das Fest der Wunder, die die Kirche ins Leben riefen und bis heute begleiten. Pfingsten, im Griechischen pentekoste, heißt einfach 50. Es war der fünfzigste Tag nach dem Passa-Fest; der Tag, an dem Juden ihr Wochenfest feierten und bis heute feiern und sich an die Gabe der Tora erinnern. An diesem Tag also, fünfzig Tage nach der Kreuzigung und Auferweckung Jesu, saß eine verängstigte Jüngerschar in Jerusalem zusammen. Dann geschah etwas wie Sturm und Feuer.

Aber entscheidender ist: Auf einmal wurde aus den Jüngern, die sich zurückgezogen hatten in ihre vier Wände, eine Gruppe von Predigern, die mitten auf der Straße verkündigten. Auf einmal redeten sie – und so wurde das, was sie mit Jesus erfahren haben, auch für andere wirklich. Die Angst war vergangen – ein Wunder. Immer wieder ist dieses Wunder seither geschehen und hat die Kirche am Leben gehalten und sie ausstrahlen lassen: Als Martin Luther aufstand, das Evangelium predigte und sich durch die Drohung von Kirche und Staat nicht einschüchtern ließ; als Christen in der Spätzeit der DDR für den Frieden beteten und danach auf die Straße gingen – und heute an unzähligen Orten, an denen sich Christen einmischen, für die Schwächsten eintreten, Gerechtigkeit leben und um Frieden bitten. Aber es gibt noch mehr Wunder in der Pfingstgeschichte:

Immer wieder sagt man, es gehe Pfingsten um ein Sprachenwunder, weil die Pilger und Gäste aus aller Welt, die zum Fest in Jerusalem waren, die Jünger in ihrer Sprache hören. Aber ist es so – oder handelt es sich nicht eher um ein Hörwunder, weil Menschen plötzlich verstehen, was zu ihnen gesagt wird? Klar, nicht alle. Manche wundern sich nur oder machen sich lustig über die vermeintlich schon am Morgen betrunkenen Galiläer. Aber viele hören ein Zeugnis, das größer ist als alles, was sie kennen. Und ich denke daran, wie der Geist durch die Geschichte hindurch das Hören geschenkt und so Kirche gebaut hat. Menschen werden durch Predigten gestärkt, finden in der Seelsorge Trost, und im gemeinsamen Singen öffnet sich der Himmel.


"Immer wieder ist dieses Wunder seither geschehen und hat die Kirche am Leben gehalten und ausstrahlen lassen."

Damals in Jerusalem geschah ein drittes Wunder: Aus völlig unterschiedlichen Menschen wurde eine erste Gemeinde. Niemand hatte eine Kirchengründung geplant, niemand ein Strategiepapier vorgelegt oder einen Plan für die nächsten fünf Jahre entwickelt. Niemand hatte auch nur eine geringste Ahnung davon, dass aus der ersten Gemeinde eine Bewegung werden würde, die bis heute wächst und derzeit rund 2,5 Milliarden Menschen umfasst. Der Geist überrascht und macht aus einer kleinen Schar Verzagter die Basis einer Bewegung der Hoffnung. Sie umfasst schon damals in Jerusalem viele Völker (in der eindrucksvollen Liste, die allen, die die Pfingstgeschichte lesen, einen kleinen Zungenbrecher bietet, geht es um Menschen aus allen Teilen der damals bekannten Welt; Apostelgeschichte 2,9–10).

Und dann ist da noch ein viertes Wunder: Petrus entdeckt an diesem ersten Pfingstfest in Jerusalem, dass das, was geschieht, längst verheißen ist. In seiner Predigt zeigt er: Die Geschichte mit Christus macht wahr, was der Prophet Joel schreibt – und der Geist bestätigt die Verheißung. Wenn das kein Grund ist, auch die anderen Verheißungen der Bibel zu lesen und darauf zu vertrauen, dass Gott zu seinem Wort steht, Frieden möglich ist und Gott die Tränen abwischt! Das Pfingstfest erinnert Juden an die Gabe der Tora am Sinai, an Gottes Wort vom Himmel, das lebendiges Wort ist durch die Zeiten. Vielleicht lädt Pfingsten auch Christen heute ein, die alten Worte der Bibel neu zu lesen und darauf zu hoffen, dass sie mitten im Alltag wahr werden.

Der Geist, um den es an Pfingsten geht, ist nicht vor allem ein Gegenstand theologischer Spekulation, sondern gegenwärtiger Erfahrung: auf Schritt und Tritt, in den Ängsten, in denen ich mich einmauere, und in dem Mut, der uns plötzlich beflügelt und der die Kirche lebendig macht – wie damals in Jerusalem.

Der Autor ist Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig.

  • Gesprächsimpulse
  • Welche Wunder des Geistes habe ich erfahren – im Alltag, in der Gemeinde, an ganz anderen Orten?
  • Hoffen wir heute darauf, dass der Geist Gottes unsere Mauern sprengt und uns zu Zeugen werden lässt

Informationen zur Glaubensserie:
was-glaubst-du.online

Nächste Folge:
Der Aaronitische Segen (4. Mose 6, Verse 22-27)

Alexander Deeg | Foto: Andreas Schüle
Wie eine Taube erscheint der Heilige Geist auf diesem Fresco in der Kirche Santa Maria dell’Anima in Rom. | Foto: Renáta Sedmáková – stock.adobe.com
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