Buchtipp
Wer profitiert von der Angst?

Angst essen Seele auf“, der Titel eines Films von Rainer Werner Fassbinder, ist seit den späten 1970er-Jahren ein geflügeltes Wort.

Von Doris Weilandt

In der Rückschau auf die Pandemie bekommt der Sinnspruch eine tiefe Bedeutung, dem die Evangelische Bruderschaft St. Georgs-Orden (SGO) in einer Tagung im Oktober letzten Jahres nachgegangen ist. Die Referate unter den Themenkomplexen „Wege aus der Gefahr“, „Formen der Angst“ und „Profile der Furchtlosigkeit“ sind jetzt durch die Herausgeber Thomas A. Seidel und Sebastian Kleinschmidt nun in der Georgiana-Reihe der Evangelischen Verlagsanstalt (EVA) erschienen.

„Naturwissenschaft und Technik haben die Medizin übernommen. An Stelle der großen Harmonie der Schöpfung trat der Wettlauf um die Optimierung und der Absturz in die Verlorenheit einer seelenlosen Naturgesetzmechanik“, schreibt der Arzt Erich Freisleben. In seinem Beitrag erklärt er die Entwicklung des Gesundheitswesens zu evidenzbasierter Medizin (EBM), die sich seiner Ansicht nach von praktischen Erfahrungen und Patientenpräferenz gelöst habe. Ihm zufolge werde der wissenschaftliche Fortschritt durch Studien generiert, die lediglich einzelne Erscheinungen untersuchten, nie aber ganzheitliche Betrachtungen anstrebten.

Ein weiterer Autor in der Publikation ist der Theologe Rochus Leonhardt. Er in verweist auf das Buch „Die geschützten Männer“ von Robert Merle. Darin geht es um eine Epidemie, von der ausschließlich zeugungsfähige Männer betroffen sind. Leonhard versucht anhand der fiktiven Erzählung Parallelen zur Corona-Pandemie aufzuzeigen. Dabei analysiert er den realen Handlungsdruck der politisch Verantwortlichen und die Ungewissheit, sich für Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaft zu entscheiden. „Was das staatliche Krisenmanagement angeht, hätte ich mir seitens der evangelischen Kirchen in Deutschland mehr Kritik und weniger Solidarität gewünscht", schreibt Leonhardt. Die Kirche aber sei, gestützt durch den "Mainstream der evangelischen Ethik", überwiegend den staatlichen Vorgaben gefolgt. In den christlichen Gemeinden sei die gesamtgesellschaftliche Polarisierung bis heute spürbar, erklärt der Theologe.

Über politisch geschürte Angst und den „Krieg der Narrative“ schreibt die Dichterin Katja Schmidt, die selbst Ausgrenzung erlebt hat. Der Beitrag macht betroffen, zeigt er doch anhand konkreter Ereignisse, wie schnell wir bereit sind, unsere Freiheit – zunächst in kleinen Dosen – aufzugeben. Für Rasterfahndung, biometrischen Reisepass und Datenspeicherung aus unterschiedlichem Anlass brauchte es nur ein Terrorismusbekämpfungsgesetz, das kontinuierlich und – für die meisten unbemerkt – schließlich entfristet wurde.

Im letzten Kapitel des Buches geht es um fruchtlose, widerständige Menschen, um Luther, Dostojewski oder Bonhoeffer. So beschäftigt sich beispielsweise Hellmut Seemann, langjähriger Präsident der Klassik Stiftung, mit Elisabeth von Thüringen.

Seidel, Thomas A. und Kleinschmidt, Sebastian: Angst, Politik, Zivilcourage. Rückschau auf die Corona-Krise. EVA Leipzig, 340 S., ISBN 978-3-374-07463-1; 38,00 Euro

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Online-Redaktion

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