Rezension
Kleine Theologie des »Als ob«

Foto: claudius.de

Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Geistige und geistliche Lichtpunkte, inmitten des theologieschwachen, moralinhaltigen Nebels, der über unseren gegenwärtigen protestantischen Kirchen(leitungs)landschaften liegt.

Von Thomas A. Seidel

Zu diesen Lichtpunkten zählt der neueste Text von Sebastian Kleinschmidt. Der studierte Philosoph, langjährige Chefredakteur der Zeitschrift „Sinn und Form“ und Mitherausgeber der Buch-Reihe „Georgiana – Neue theologische Perspektiven“ hat soeben eine „Kleine Theologie des Als ob“ auf unseren österlichen Büchertisch gelegt.

Keine fußnotenpralle, für Nicht-Theologen kaum leserliche Abhandlung, sondern einen Essay. Nach Theodor W. Adorno ist diese literarische Form „ ein Versuch des Gegenwartsphilosophen, seine kritische Einsicht zu verschiedensten Gegenständen der Literatur angemessenen zum Ausdruck zu bringen.“ Dieser Versuch ist dem Autor meisterhaft gelungen. Die 123 Seiten jenes sehr schön gestalteten Büchleins laden herzlich ein: zum Mitdenken, Mitzweifeln und Mitglauben.

Den Ausgangspunkt bildet eine Frage, die den 1948 geborenen Pfarrerssohn seit Kindertagen begleitet und beschäftigt: „Wie vom Höchsten sprechen? Von Gott, den niemand sehen kann und niemand sehen darf und niemand je gesehen hat?“ Seine Antwort ist zugleich die Ausgangsthese des Ganzen: „Auf dreierlei Weise kann sich der Mensch auf Gott beziehen. In Gestalt der Realitätsbejahung, in Gestalt seiner Realitätsverneinung, im Exempel seiner Realitätsvermutung. Im Modus des ›Er ist‹ oder des ›Er ist nicht‹ oder des ›Als ob er ist‹. Im Zustand des Glaubens, im Zustand des Unglaubens, im Status der Annahme.“

Natürlich hänge die jeweilige Art des Gottesbezuges nicht unwesentlich davon ab, in welcher Weise man im Laufe des Lebens „mit den Gegenständen des religiösen Bewusstseins“ in Berührung gekommen sei. Darum nimmt Kleinschmidt uns auch augenblicklich mit auf die Reise in seine eigene Kindheit, ins elterliche Pfarrhaus, unmittelbar neben dem mächtigen Backsteinbau des Schweriner Doms.

In zehn Kapiteln wird das Generalthema, jenes „Glauben, als ob es Gott gäbe“, entfaltet. Sie handeln vom Marx-Glauben des Vaters und der Luther-Lektüre des Sohnes. Gehen weiter zum „tiefsten Seinsgrund der Wahrheit“, zur Liebe. Ihre raum- und zeitgrenzenüberschreitende Kraft legt uns der Autor mit einem schönen Blick auf die detailverliebten Votiv-Segelschiffe der kleinen Ahrenshooper Schifferkirche, den 1. Johannesbrief und einen Seitenblick auf das große Liebeslied des Paulus in 1. Korinther 13 aus.

Auch eine als-ob-theologische Auseinandersetzung mit dem heute vielfach gemiedenen Begriff der „Erbsünde“ wird uns zugemutet, bei der man den großen Theologen Paul Tillich von einer Seite kennenlernt, die (mindestens) Verwunderung auslöst. Spannend ist das höfliche und genaue Portrait, das Kleinschmidt von einem der klügsten Atheisten des 20. Jahrhunderts zeichnet, dem englischen Philosophen und Literatur-Nobelpreisträger Bertrand Russell.

Im letzten Teil geht der Essay auf höchst aktuelle Themen und Probleme ein: Massenmigration, Corona-Angst und – mit besonderer Nach-Denklichkeit – auf den Klimawandel und seine Folgen. Hier offenbart sich Kleinschmidt als Liebhaber der Natur und als Fürsprecher eines liebevollen Umgangs mit Gottes guter Schöpfung.

Seine aufrichtige Einladung zum Mitdenken schließt mit einem wunder-vollen Verweis auf die Bildkraft, den Lyriker und Theologen Christian Lehnert – und: mit einer überraschenden Segensgeste. Doch diese Überraschung sollten Sie als Leser oder Leserin selbst entdecken dürfen!

Kleinschmidt, Sebastian: Kleine Theologie des Als ob, Claudius Verlag, 128 S., ISBN 978-3-532-62883-6; 20,00 Euro

Autor:

Online-Redaktion

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