Rezension: Coaching statt Pflege
Alt, fit, selbstbestimmt
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Das Alter ist eine Zumutung. Alt sein bedeutet Schwäche, Krankheit, Verfall. Alte Menschen gelten als Last und als Mahnung an die eigene Endlichkeit.
Von Christiane Laudage
Dabei ist das größte Problem nicht das Altern an sich, sondern wie jeder einzelne und die Gesellschaft da-rüber denken. Das sagen die beiden Autoren Petra Thees und Lutz Karnauchow. Mit ihrem Buch wollen sie eine neue Sicht auf das Alter und die Pflege vorstellen. Die beiden Autoren sind seit Jahrzehnten im Pflege- und Sozialbereich tätig.
Das Alter sei keine Krankheit, sagen sie, sondern eine gestaltbare Lebensphase. Statt Menschen in passiver Versorgung zu halten, plädieren sie für ein Modell, das auf Aktivierung, Motivation und Selbstständigkeit setzt. Thees und Karnauchow kritisieren das gegenwärtige Konzept der Pflege scharf. Sie mache Menschen kränker, hilfloser und verkürze ihre Lebensspanne. Daher wollen die Autoren das Konzept Pflege grundsätzlich anders denken. Das Alter wird oft mit Einsamkeit, Krankheiten und Pflege verbunden. Diese Bilder sind nach Ansicht der beiden Autoren so tief verwurzelt, dass sie sich wie eine selbsterfüllende Prophezeiung auswirkten. Wer also erwarte, mit 70 gebrechlich zu sein, werde genau das erleben. Je mehr man sich einrede, dass das Alter gleichbedeutend mit Abbau sei, desto mehr reduziere man seine Aktivität und beschleunige so tatsächlich den Verfall. Wer dagegen aktiv bleibe, seine Muskeln trainiere und das Gehirn fordere, könne viele Alterserscheinungen abmildern oder sogar verhindern. Die beiden Autoren verweisen auf Beispiele für ein sehr aktives und gelungenes Altern wie den Rockstar Mick Jagger, der mittlerweile schon über 80 Jahre alt ist und immer noch auftritt.
"Statt Menschen zu fördern, werden sie in Abhängigkeit gehalten."
Thees und Karnauchow ziehen auch wissenschaftliche Studien heran, die eindeutig belegen: Menschen fühlen sich heute deutlich jünger, sind länger aktiv und wollen das auch bleiben. Allerdings darf man sicherlich Mick Jagger als Ausnahmeerscheinung betrachten. Ein zentrales Kapitel des Buches beschäftigt sich mit dem Zustand der Altenpflege in Deutschland. Sie sei, so die Autoren, weniger ein System der Hilfe als vielmehr ein System der Konservierung. Pflege bedeutet nach ihrer Auffassung vor allem: satt, sauber, ruhiggestellt.
Statt Menschen zu fördern, werden sie in Abhängigkeit gehalten. Das lehnen die Autoren ab. In ihrem Verständnis ist Altenpflege kein "Wartesaal für das Ende"; vielmehr kann sie bestenfalls sogar dazu dienen, dass die Menschen wieder ein aktiveres Leben führen können. Bewegung, Training, eigene Ziele und Freude sollten im Mittelpunkt stehen.
Thees und Karnauchow haben in ihrer pflegerischen Praxis erlebt, dass auch hochbetagte Menschen wieder lernen können, allein zu gehen, sich anzuziehen oder sogar selbstständig einzukaufen – wenn man sie denn lässt. "Coaching statt Pflege", heißt das Konzept.
Das Ziel sei es, Pflegebedürftige nicht zu versorgen, sondern sie zu begleiten und zu trainieren, um verlorene Fähigkeiten zurückzugewinnen. Das Vorgehen gleiche einem Coachingprozess, sagen die beiden Autoren. Zuerst werde der aktuelle Zustand analysiert, dann die individuellen Stärken und Schwächen. Anschließend werden in diesem Prozess die persönlichen Entwicklungsziele definiert und ein Trainingsplan erstellt. Angehörige, Ärzte und Mitarbeitende sind eingebunden, und die Fortschritte werden regelmäßig überprüft.
Entscheidend sei die Kommunikation, nämlich wie mit den älteren Menschen gesprochen wird. Statt von Defiziten auszugehen, brauche es eine Haltung auf Augenhöhe, fordern die beiden Autoren. Sie verwarnen ihre Mitarbeiter übrigens streng, die pflegebedürftigen Personen nicht zu duzen. Auch Pflegekräfte müssen als Mitarbeiter von Thees und Karnauchow umdenken lernen, da sie in diesem Pflegekonzept nicht nur Versorger, sondern auch Motivatoren, Trainer und Zuhörer sind. Dazu bieten die beiden Autoren ihren Mitarbeitern eine eigene Schulung an. Was raten also die beiden Autoren ihren Lesern und Leserinnen? Statt Angst vor dem Verfall zu haben, können Menschen ihr eigenes Alter aktiv gestalten. Dazu gehören Bewegung, soziale Kontakte, geistige Aktivität und eine positive Haltung. Denn das Alter ist kein Schicksal – sondern eine Lebensphase voller Möglichkeiten.
(kna)
Karnauchow, Lutz; Thees, Petra: Alt, fit, selbstbestimmt. Warum wir Alter ganz neu denken müssen, Verlag Kohlhammer, 242 S., 29 Euro, ISBN 978-3-17-045381-4
Autor:Online-Redaktion |
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