ERBAULICH, ERBAULICH
Krippenspiele
- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Das hatten sie sich eigentlich ganz anders vorgestellt. Familie Schulze war in den Heiligabendgottesdienst gegangen, und alle hatten gehofft, ein Krippenspiel betrachten zu können. Aber es war kein Krippenspiel, es war ein wirkliches Spiel. Es ging nämlich um alles oder nichts. Zum Schluss sogar um Leben oder Tod. Oder Tod und Leben. Man kann das so oder so sehen. Aber wir wollen am Anfang beginnen, denn es geht immer am Anfang los, und man darf das Ende und den Schluss nicht zu schnell verraten, sonst ist die Spannung weg wird langweilig. Nichts ist schlimmer als Langeweile.
Familie Schulze war also in den Gottesdienst gegangen: Oma, Opa, Vater, Mutter und die zwei Kinder Tim und Tom. Sie hatten den Hund zu Hause lassen müssen, denn der Hund war unartig und bellte, und in der Kirche möchte man nicht den Lärm haben, sondern die Ruhe und die Besinnlichkeit. „Ein paar besinnliche Stunden” – heißt es nicht immer genauso? Und: „Wir wünschen Ihnen nun ein paar besinnliche Stunden.”
Schon am Anfang ging es los, also nicht am Anfang, sondern am Eingang. Eine große Traube von Menschen drängte sich durch das Portal in die ehrwürdige Kirche St. Pankratius, und es war so voll, man fand so richtig keinen Platz mehr. Man hatte nur noch die Wahl, hinten zu stehen oder ganz vorne zu sitzen. Und die Familie Schulze setzte sich ganz vorne hin. Da waren Notsitze, Klappsitze oder so. Man nahm Platz und harrte nun der Dinge, die da kommen würden. Man musste nichts bezahlen, man saß im warmen Kerzenschein, die Orgel fing an zu spielen. Ja, dieses Lied kannten sie, es war irgendetwas wie „Stille Nacht” mit „O du fröhliche”, vielleicht auch „1000 Sterne sind ein Dom” oder so etwas in dieser Art.
Jetzt kam der Pastor herein, ein Mann im schwarzen Talar mit so einem weißen Ding am Hals. Das sah lustig aus. Und dann auch noch viele Kinder. Sie hatten allerlei seltsame Gewandungen umgetan, und nun sollte es gleich beginnen, dieses Krippenspiel. Das Krippenspiel, ja: Maria war dort mit dem dicken Bauch und Josef mit dem Barte, und die drei heiligen Könige mit den Geschenken Goldweihrauch und Medizin. Hirten waren ebenfalls vorhanden - mit langen Holzstäben in den Händen und Schafen; die waren aber nicht echt, sondern aus Pappe mit Wollfusseln beklebt, und sahen recht originell aus.
Schließlich aber sollte nun auch der König Herr Rodes sich einfinden, aber der war nicht da, und so sagte der Pastor, der Mann also im schwarzen Talar mit dem weißen lustigen Ding am Hals, das im Wind sicher flattern würde - aber es war kein Wind herinnen in der Kirche - wir brauchen noch einen, der den König Herrn Rodes spielt, mitsamt seinem grausamen Gefolge. Und es wurde eine Kiste herbeigeschleppt, die wurde aufgetan, und da kamen Waffen zum Vorschein. Es waren Helme, Hellebarden, Theatergewehre und auch Schwerter, blitzblank gescheuert, dass es nur so eine Art hatte.
Gleich ging der Pfarrer einfach auf die Familie Schulze zu - ein Pfarrer soll immer auf die Leute drauf zu geh’n - , weil die so dicht vorne saß, und bat sie doch einmal aufzustehen. Und schwuppdiwupp, ehe man es sich versah, hatten die Schulzes – also Oma, Opa, Vater, Mutter und die beiden Kinder Tim und Tom – irgend so ein Schwert oder eine Hellebarde in der Hand und waren zum Gefolge des Königs Herrn Rodes avanciert.
Herr Rodes wurde durch einen dicken Mann gespielt, der auf einmal hinter der Kulisse aus der Sakristei hervorgesprungen war und mit lauten Rufen und eindeutigen Gebärden den Stall von Bethlehem stürmen wollte, um des Kindleins Jesus habhaftig zu werden. Nun, die Familie Schulze musste sich in ihre Rolle wohl oder übel fügen und machte das auch ganz gut. Sie sagten ein wenig „hi und ho” und „he da” und „aufgepasst” und „aufgestanden” und so weiter und so fort, wie sie es aus zahlreichen Historienfilmen kannten.
Und dann war auch schon Schluss. Das Krippenspiel war vorbei, die Leute in der Kirche klatschten alle, und es war aus, und man ging nach Hause. „Das soll die Frohbotschaft gewesen sein?“, fragten sich manche am Ausgang, und andere antworteten: „Ja, es ist so sehr realistisch dies Jahr gewesen, so ist es richtig. Man muss zeigen, wie es wirklich ist in der Welt und darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt.“ Ein paar alte Omis tippelten traurig davon, schüttelten die Köpfe, aber man wusste nicht, ob sie nicht eigentlich nicken wollten - und dieses nur nicht mehr konnten. Und so blieb alles im Ungewissen, und der Heilige Abend ging vorüber, wie alles vorübergeht auf dieser Welt. Und die Menschen hatten ihre Freude daran, dass sie heuer so realistisch gewesen waren, und bald war auch das Weihnachtsfest vorüber, und die Welt konnte wieder zurückkehren zu dem täglichen Zick-Zack-Zick-Zack. Das ist das Geräusch, mit dem die Uhr die Zeit vertilgt.
Tim und Tom aber, die beiden kleinen Knaben, sahen sich an und schüttelten die Köpfe und sagten: „In unserem Handy haben wir einen Film, da geht Weihnachten anders. Da geht das mit Frieden, Engeln und so. Und der Herr Rodes wird am Schluss besiegt. Das finden wir besser.“
Autor:Matthias Schollmeyer |
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