Blickwechsel
Norwegen: Tarifverhandlungen im Talar

Foto: epd-bild/Peter Endig

Von Michael Hoffmann

Die Wenigen, die sich in der Coronaweihnachtszeit des vergangenen Jahres einen der freigegebenen Plätze in einer norwegischen Kirche gesichert hatten, konnten vor der Kirche auf etwas Ungewöhnliches treffen: streikende Pfarrer.
Seit den 80er-Jahren gibt es in der norwegischen Volkskirche Bestrebungen, den Pfarrberuf anderen Berufen anzugleichen. In den 1990er-Jahren wurden die Pfarrer zunächst von den allermeisten administrativen Aufgaben entbunden. Seit der Jahrtausendwende wurden sie nicht mehr verbeamtet, mussten ihre Arbeitstage planen und abrechnen. Dabei sollten sie nicht mehr als 37,5 Stunden in der Woche arbeiten und bekamen das Recht auf wenigstens ein freies Wochenende pro Monat. Seit dem Ende der Staatskirche 2016 arbeiten Pfarrer in der Regel 35,5 Stunden. Sie stempeln die Arbeitszeiten per App.


"Es ist schon jetzt schwer, genügend Pfarrer, besonders für den ländlichen Raum, zu rekrutieren"

Pfarrhöfe haben in Norwegen eine lange Tradition. Sie waren nicht nur Wohnort der Pfarrer, sondern lange auch die Quelle ihres Einkommens. Gemeindesäle findet man dort in der Regel nicht. Nach dem Krieg wurden die Höfe oft als unpassend gelegen, zu groß und zu kalt erlebt und deswegen verkauft oder umgewidmet. Dafür wurden Einfamilienhäuser angeschafft. Doch kümmerte man sich nicht um deren Unterhaltung. Gleichzeitig wurden mehr und mehr Pfarrstellen ohne Wohnpflicht errichtet.
Norweger kaufen in der Regel nach der Ausbildung ihre erste eigene Wohnung, die sie dann abbezahlen und so für das Alter sparen. Wird die Familie größer, kauft man eine größere Wohnung und vergrößert den Kreditrahmen. In der Regel sind aber alle Kredite vor dem Erreichen des Pensionsalters abbezahlt, so dass man im Alter mietfrei wohnt. Gleichzeitig stiegen die Immobilienpreise in den vergangenen Jahren fast immer stärker als die Einkommen. Durch die Wohnpflicht waren die Pfarrer von dieser Entwicklung ausgenommen.
Viele wünschten sich aber eine Flexibilisierung der Wohnpflicht, besonders für den städtischen Raum. Die Entscheidung der Regierung, die Wohn- und Residenzpflicht ab 2015 fast gänzlich abzuschaffen, kam überraschend. Viele wurden allerdings dadurch besänftigt, dass alle Pfarrer als Ausgleich dafür fünf Lohnstufen mehr bekommen sollten, also etwa 5000 bis 6000 Euro pro Jahr. Dies sollte für alle Pfarrer für zunächst fünf Jahre gelten, wurde jedoch durch die Bistümer als Arbeitgeber regelmäßig unterlaufen.
In den Tarifverhandlungen 2020 verlangte die Kirchliche Arbeitgebervereinigung, diese Bestimmung ganz zu entfernen. Ohne diese Bestimmung würden die Löhne der Pfarrer allerdings deutlich unter denen von Lehrern mit einem Abschluss auf dem Niveau eines Masters liegen. Gleichzeitig gehen viele Pfarrer in Rente, und es ist schon jetzt sehr schwer, genügend Pfarrer, besonders für den ländlichen Raum, zu rekrutieren. Da die kirchlichen Arbeitgeber aber nicht nachgeben wollten, hatten die beiden konkurrierenden Pfarrergewerkschaften mit Unterstützung der Gewerkschaften anderer kirchlicher Mitarbeiter keine andere Wahl, als die Verhandlungen abzubrechen und zu streiken.
Kurz nach Neujahr dann lenkten die Arbeitgeber ein, sie ließen die untersten fünf Lohnstufen für Pfarrer ersatzlos streichen. Die Gewerkschaften haben sich dafür bereiterklärt, einige andere Sonderverträge in eigenen Verhandlungen zu vereinfachen.
Allerdings waren bis zum Einlenken der Arbeitgeber nie mehr als 58 der fast 2000 kirchlichen Angestellten im Streik. Durch die coronabedingten Einschränkungen war er für die Mitglieder kaum zu spüren, auch wenn er in den Medien deutlich sichtbarer war – sogar in den deutschen.

Der Autor ist Pfarrer in Eidsvoll (Norwegen). 

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Online-Redaktion

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