Johanniter in der Ukraine
Nicht selbstverständlich

Gute Aussichten: Ehrenamtliche Helfer der Johanniter-Mission liefern Lebensmittel, Hygieneartikel und Medizin in die Ukraine. Während zu Kriegsbeginn noch mehrere dutzend Hilfsorganisationen in der Region aktiv waren, sind es jetzt nur noch fünf. | Foto: Fotos (2): Mission Siret
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  • Gute Aussichten: Ehrenamtliche Helfer der Johanniter-Mission liefern Lebensmittel, Hygieneartikel und Medizin in die Ukraine. Während zu Kriegsbeginn noch mehrere dutzend Hilfsorganisationen in der Region aktiv waren, sind es jetzt nur noch fünf.
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Von einer Lagerhalle im rumänischen Siret aus beliefert der Johanniterorden Schulen, Kliniken, Kinderheime oder Gemeindehäuser im Kriegsgebiet mit dringend benötigten Gütern. Organisiert werden die Transporte ausschließlich von Ehrenamtlichen. Ein Erfahrungsbericht.

Von Franz-Leopold Saitz

Es ist 6.30 Uhr. Der Wecker klingelt. Schnell aufstehen, unter die Dusche und in die Arbeitsklamotten schlüpfen. So hatte ich mir meine Semesterferien auch nicht vorgestellt. Ich bin in Siret, einer Kleinstadt mit 8000 Einwohnern im Norden Rumäniens, direkt an der Grenze zur Ukraine. Hier hat der Johanniterorden zusammen mit einem in der Region tätigen deutschen Landwirt im März vergangenen Jahres die „Mission Siret“ ins Leben gerufen. Seitdem haben rund 300 Freiwillige humanitäre Hilfsgüter in die Ukraine geliefert.
Auch heute steht wieder eine Fahrt an. Unser zehnköpfiges Team trifft sich an der Lagerhalle mit unserer Ortskraft Ana-Maria. Sie spricht fließend Rumänisch, Ukrainisch und Englisch, kennt die Abläufe am Grenzübergang und hat Kontakte in die Ukraine. Es gibt eine kurze Besprechung zu den Tagesaufgaben, zu letzten organisatorischen Details für die heutige Tour, und es wird kontrolliert, dass niemand ein Handy dabei hat – die müssen aus Sicherheitsgründen in Rumänien bleiben. Dann geht es los.
Heute fahren wir unsere Hilfsgüter im Konvoi mit insgesamt fünf Transportern, die wir am Vorabend gepackt hatten. Auf der Liste standen die verschiedensten Artikel, angefangen mit Mehl, Konserven und Müsli, über Rasierer bis hin zu Windeln in Erwachsenengröße. An der Grenze dauert es heute nicht lange. Es ist wenig los. Das ist leider nicht immer so.
Zu Beginn des Krieges war die LKW-Schlange bis zu 60 Kilometer lang und, auch noch jetzt stehen die Laster manchmal viele Tage. Für PKW geht es zum Glück etwas schneller, Wartezeiten von mehreren Stunden sind aber dennoch nicht unüblich.
Nach der Grenze bemerken wir schnell, dass wir in einem anderen Land sind – einem Land, das vor allem von Armut geprägt ist. Die Straßen bestehen eher aus Schlaglöchern denn aus Asphalt. 50 Jahre alte Ladas oder Pferdewagen sind keine Seltenheit. Der russische Überfall auf die Ukraine hat diese Situation noch verschärft: In der Region Czernowitz leben seit der Eskalation des Krieges jetzt doppelt so viele Bin-nenflüchtlinge wie vorher Einwohner.
Wir sind unterwegs in die Hauptstadt der Region. In Czernowitz übergeben wir einen Teil unserer Waren an Mitarbeiter einer Hilfsgüter-Sammelstelle. Sie werden die Waren dann in die Gebiete an der Front weitertransportieren und dort verteilen.
Nach der Übergabe erhalten wir eine Nachricht: Wir werden eingeladen zu einem kleinen Gespräch im Büro des Rektors der Universität. Es geht durch die schöne Innenstadt in das Hauptgebäude der Universität – einen Komplex, der auch zu Hogwarts aus den „Harry Potter“-Romanen gehören könnte. In dem ebenso imposanten Büro des Rektors erhalten wir als Dank für unsere Hilfslieferungen ein Geschenk. Es ist ein Jubiläumsgeschenk zum einjährigen Bestehen der Mission Siret.
Auch wenn unsere Unterstützung oftmals nur ein Tropfen auf den heißen Stein sei, würden wir auch psychologische Hilfe leisten, versichert uns der Rektor. Den Menschen vor Ort zu zeigen, dass sie nicht vergessen worden sind, das sei unser größter Verdienst. Auch bedankt er sich für den „langen Atem“ der Hilfsaktion – das sei nicht selbstverständlich. Waren im vergangenen Jahr noch mehrere Dutzend Hilfsorganisationen in der Region aktiv, sind es jetzt nur noch fünf, die regelmäßig in die Ukraine liefern.
Wir bekommen noch eine kleine Führung durch die Universität und müssen dann los, denn wir haben noch einen weiteren Stopp auf unserer Route: Nach etwa einer Stunde Fahrt biegen wir auf einen einfachen Feldweg. Wir wissen, dass unser nächstes Ziel ein Krankenhaus sein wird, aber wir ahnen nicht, dass das unscheinbare Haus am Wegesrand schon das Krankenhaus ist.
Wir laden zuerst die Paletten mit Lebensmitteln, Hygiene-Produkten und medizinischem Material aus. Unsere wertvollste Fracht an diesem Tag sind drei Ultraschallgeräte, gespendet aus Deutschland. Wir bringen die Geräte zu einer der Stationen und bekommen auch hier noch eine Führung über den Flur. Anders als in der Universität, fühlen wir uns aber diesmal nicht wohl. Die Station ist voll belegt mit verwundetet Soldaten, etwa so alt wie wir. Die kurzen Besuche in den Zimmern lassen nur erahnen, was diese jungen Männer in den vergangenen Monaten durchgemacht haben müssen.
Wir machen uns auf den Rückweg nach Rumänien. An unserer Lagerhalle angekommen, werden die Listen für den nächsten Tag herausgeholt, neue Paletten gepackt und der Transporter beladen. Den Abend verbringen wir gemeinsam, kochen und reden viel. Eines wird dabei wieder allen klar: Unser Einsatz wird noch lange nötig sein.

Hintergrund

Die Mission Siret ist ein Projekt des Johanniterordens. Seit März 2022 sind bisher 300 Freiwillige in der rumänischen Grenzstadt Siret im Einsatz gewesen, um dort ehrenamtlich ein Logistikzentrum zu betreiben. Von hier aus werden täglich die Menschen in der Südwestukraine mit Hilfsgütern versorgt.

Gute Aussichten: Ehrenamtliche Helfer der Johanniter-Mission liefern Lebensmittel, Hygieneartikel und Medizin in die Ukraine. Während zu Kriegsbeginn noch mehrere dutzend Hilfsorganisationen in der Region aktiv waren, sind es jetzt nur noch fünf. | Foto: Fotos (2): Mission Siret
Über 130 000 in der Ukraine gefahrene Kilometer zählt das Projekt des Johanniterordens bereits.
Autor:

Online-Redaktion

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