Blickwechsel
Konfirmation auch für Kommunisten-Kinder

Propst Johann Schneider | Foto: Foto: Thomas Klitzsch
  • Propst Johann Schneider
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Von Katja Schmidtke 

1989 bröckelte nicht nur die Berliner Mauer, auch die kommunistischen Regime in Osteuropa zerfielen. Über die Verfolgung von Christen in Rumänien sprach Katja Schmidtke mit Johann Schneider, Regionalbischof von Halle-Wittenberg. Schneider wurde 1963 in Siebenbürgen geboren und studierte nach der Lehre als Werkzeugmacher Theologie.

Propst Schneider, worin unterschied sich die Kirchenpolitik der DDR von der in Rumänien?
Johann Schneider:
Die Kirchenpolitik in der DDR war von Anfang an anders, weniger brutal. Die Sowjets betrachteten Protestanten grundsätzlich als staatsnah und loyal. In Rumänien war die Haltung gegenüber öffentlicher Religionsausübung extrem repressiv.

Welche Meinung hatten die Sowjets von den orthodoxen und katholischen Kirchen?
Gegenüber den Orthodoxen verfolgten sie nach 1945 die Politik der Domestizierung, installierten sowjet-treue Hierarchen und Patriarchen. Die Zwangsvereinigung der mit Rom unierten griechisch-katholischen mit der orthodoxen Kirche in Siebenbürgen wurde aber mit großer Brutalität gegenüber den Priestern durchgesetzt. Gleichzeitig schalteten die Kommunisten in Rumänien alle intellektuellen orthodoxen Priester aus. Das war Stalins Programm: gebildete Geistliche galten im Kommunismus als gefährlich. Auch die evangelischen Kirchen litten unter Verfolgung; keiner durfte mehr im Ausland studieren und die Schüler lernten in der „Bibel des Atheisten“.

Welchen Einfluss hatte die Politik auf das Kirchenvolk?
Es begann der Versuch einer Entfremdung, die aber kaum gelang. Religion war Teil der familiären und kulturellen Tradition im Gemeinwesen. Wie kann man eine Hochzeit feiern oder einen Toten beerdigen ohne Pfarrer? Das geht doch nicht! In Rumänen wurden alle Menschen getauft. Alle. In den 1970er-Jahren, als ich zur Schule ging, wurden auch die Kinder großer Kommunisten konfirmiert. Natürlich nicht in der Stadt, wo der Vater stellvertretender Parteisekretär war, sondern in der Heimatgemeinde. Dieser Kommunist zahlte auch den Kirchenbeitrag samt Strafen, weil er seine kirchlichen Pflichten öffentlich ja nicht erfüllen konnte.

Warum gelang die Entfremdung in der DDR, aber nicht in Rumänien?
Evangelische Kirchen in der DDR trugen die moderne Religionskritik in sich. Die Entfremdung der Christen von der Kirche hatte lange vorher mit der Industrialisierung eingesetzt, die NSDAP und dann die SED forcierten sie weiter. Da die familiäre und kulturelle Bindung schwach war, konnte die Jugendweihe als Alternative zur Konfirmation propagiert werden. In der DDR wurde mit deutscher Präzision gehandelt: entweder oder. In Rumänien war das anders: sowohl als auch. Natürlich trat einer, der Polizist werden wollte, in die Partei ein, aber im Ruhestand sang er wieder im Chor. Kirche blieb traditionell tief verankert im Gemeinwesen.

Warum war das so?
Die Gesellschaft war kulturell heterogen. Da boten die Kirchen den Leuten einen Ort für ihre kulturelle und ethnische Identität. Man war nicht nur Rumäne, sondern orthodoxer Rumäne, der sich von einem reformierten Ungarn klar abgrenzte. Das heißt aber auch, dass es Verwerfungen und Verrat überall gab.

Welche Rolle spielten die Kirchen?
Sie galten zwar als gefährlich, waren aber marginalisiert. Sie existierten rechtlich gesehen nicht! Anders als in der DDR boten die Kirchen in Rumänien keine Freiräume. Bischöfe waren Teil der Nationalversammlung. 1989, Ceausescu war schon fast schon gestürzt, kamen von den Kirchen immer noch Huldigungstelegramme. Direkte Konfrontation mit den Machthabern haben die Kirchen vermieden, und wenn, dann versuchten sie, durch Ergebenheit den Mächtigen das Gefühl zu vermitteln, dass sie ungefährlich sind.

Wie sind die Kirchen aus dieser Zeit gekommen?
Geschockt, ratlos, unvorbereitet. Die Frage der rechtlichen Anerkennung hat Jahre gedauert, auch mit Konflikten zwischen den Kirchen. Und vor allem die Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses hatte durch den Massenexodus innerhalb von nur zwei Jahren bis zu 90 Prozent ihrer Mitglieder verloren.

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