de dono fidei
VON DEM GESCHENK DES GLAUBENS

„Was hast du, das du nicht empfangen hast?“ (1 Kor 4,7)
Diese Frage des Apostels Paulus ist nicht rhetorisch gemeint, sondern existenziell. Sie zielt auf die verborgene Struktur der Gabe. Alles, was der Mensch ist und hat, ist Gabe. Aber nicht im Sinn bloßer Äußerlichkeit – wie ein Gegenstand, der übergeben wird –, sondern im innersten Sinn eines innerlich empfangenen Seins, das sich im Akt des Empfangens selbst erfüllt.

I. Das Geschenk, das bleibt, woher es kommt
Ein Kind beispielsweise bekommt zu Weihnachten eine Geige. Der Vater hat sie gekauft, der Großvater hat sie ausgesucht, die Mutter hat sie liebevoll eingepackt. Das Kind weiß es zunächst nicht. Es sieht nur das glänzende Instrument, das ihm überreicht wird, und es sagt freudig: „Meine Geige!“ – Und das ist wahr. Die Geige ist sein Eigentum. Es darf auf ihr üben, spielen, sich freuen. Sie ist ihm anvertraut.

Aber mit der Zeit, wenn das Kind heranwächst, beginnt es zu ahnen, dass diese Geige nicht einfach ein Gegenstand war, sondern ein Zeichen. Sie hat in sich etwas vom Großvater, der früher in einem Orchester gespielt hat. Etwas von der Geduld der Mutter. Etwas vom stillen Opfer des Vaters, der auf anderes verzichtet hat. Diese Geige ist, in einem tieferen Sinn, nicht einfach seine, sondern sie ist ein Zeichen für das, was ihn hervorgebracht hat.

So ähnlich ist es mit dem Glauben. Der Glaube wird dem Menschen geschenkt – nicht als Zwang, nicht als äußerer Besitz, sondern als Gabe, die nur im Angenommenwerden zu sich selbst kommt. Und doch bleibt er zugleich immer verbunden mit dem, der ihn gibt. Er kommt nicht aus dem Menschen, auch wenn er im Menschen vollzogen wird. Er ist Antwort und Empfang zugleich.

II. Die doppelte Eigentümerschaft – paradox und wahr
Die Theologie hat sich lange schwergetan mit diesem Gedanken. Gehört der Glaube nun Gott oder dem Menschen? Ist er Gnade oder Freiheit? Ist er Geschenk oder Entscheidung? – Die große Tradition der Kirche – von Augustinus bis Thomas, von Luther bis zur Konstitution Dei Verbum – hat in verschiedenen Tonlagen doch immer dasselbe gesagt: Der Glaube ist ein Geschenk Gottes, das dem Menschen gehört.

Und hier liegt das Paradox, das die moderne Logik nicht auflösen kann, sondern nur das Herz des Glaubens verstehen:
Das Geschenk gehört zu 100 % dem Schenkenden – denn ohne ihn wäre es nicht da.
Und es gehört zu 100 % dem Empfangenden – denn ohne ihn bliebe es leer, ungeöffnet, ungelebt.

Der Glaube ist nicht teilbar, nicht vermittelbar wie eine Zahl. Er ist personal. Und die Person lebt nur in der Beziehung.

III. Der Glaube als Form der Gegenwart des Unverfügbaren
Man kann sagen: Der Glaube ist das Mittel, durch das wir das Unsichtbare sehen, das Zukünftige ergreifen, das Unverfügbare bezeugen. Der Glaube ist wie ein Fenster, das geöffnet wird – aber sobald es geöffnet ist, sieht man nicht mehr das Fenster, sondern die Weite. Man sieht nicht den Glauben, sondern das, was er zeigt.

Ein junger Mönch erzählt, wie er in einer einsamen Kapelle auf dem Berg das erste Mal in seinem Leben ein tiefes, stilles Vertrauen in Gott verspürte. Er sagte: „Es war, als hätte jemand in mir ein Licht angezündet, das nicht mehr aus mir stammte – aber es war zugleich ganz mein Licht.“ Das ist der Glaube.

Der Himmel – das ewige Leben – gehört durch den Glauben dem Glaubenden. Und doch bleibt er unverfügbar, bleibt Dei possessio, Besitz Gottes. Das ist nicht Widerspruch, sondern Geheimnis. Das Himmelreich ist kein Besitz, den man sich aneignet, sondern ein Erbe, das empfangen wird. Und wer es empfängt, weiß, dass es nicht durch ihn ist, sondern in ihm.

IV. Glaube als die ungeteilte Teilhabe
Im Konzil von Chalcedon wurde das Dogma formuliert: vere Deus, vere homo – wahrer Gott und wahrer Mensch. Man könnte sagen: Der Glaube ist vere donum, vere proprium – wahrhaft Gabe, wahrhaft Eigenes.

So zeigt sich im Glauben das tiefste Wesen der christlichen Existenz: das Paradox des Geschenks, das vollkommen gegeben und vollkommen empfangen ist. Und nur, wer es ganz empfängt, hat es wirklich. Und nur, wer sich seiner Herkunft erinnert, bleibt in der Wahrheit dieses Geschenks.

V. Conclusio
Am Ende ist der Glaube wie das Gewand, das Gott dem Menschen nach dem Sündenfall anzieht – ein Zeichen der Bedeckung, des Schutzes, der Würde. Und wie das ungeteilte Gewand Christi, das unter dem Kreuz nicht zerrissen werden durfte (vgl. Joh 19,23f.), so ist auch der Glaube unteilbar: Er bleibt ganz beim Geber, auch wenn er ganz dem Empfänger gehört.

Denn in Gott ist das Teilen niemals Verlieren, sondern immer ein Vollenden.

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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