Lutherische Kirche in Ungarn
Elisabeth, der Kommunismus und eine Mission

Foto: Thomas A. Seidel

Der Landeskurator der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn war kürzlich zu Besuch in Mitteldeutschland. Auf Einladung der Internationalen Martin Luther Stiftung hat er in der Stadtkirche St. Michael in Jena gepredigt und im Augustinerkloster Erfurt einen Vortrag zum Thema „Lutherischer Glaube und Weltverantwortung in Ungarn heute“ gehalten. Was Thüringen mit seiner ungarische Heimat verbindet, erklärt der Landeskurator exklusiv im Online-Portal der Kirchenzeitung.

Von Gergely Pröhle

Thüringen und Ungarn sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Es ist wunderbar und meines Erachtens noch zu wenig gewürdigt und mit Leben gefüllt, dass die ungarische Königstochter Elisabeth die Schutzpatronin Thüringens ist.

Diese Verflechtung geht bis auf die ungarische Staatsgründung am Ende des 10. Jahrhunderts zurück: der erste König Ungarns, Stephan I., hat die Bayerische Königstochter Gisela geheiratet und Mönche ins Land gerufen, um die Christianisierung voranzubringen. Auch die Reformation kam bald nach Martin Luthers Wittenberger „Aufschlag” von 1517 nach Ungarn.

Bereits 1520 haben Studenten, Geschäftsleute und Soldaten die reformatorischen Ideen hierzulande verbreitet. Schon in diesen Jahren wurden evangelische Schulen gegründet. (Das originale Testament Martin Luthers befindet sich heute in unserem Landeskirchenamt.) 1590 wurde die erste vollständige ungarische Bibelübersetzung von Gáspár Károli gedruckt. Die evangelisch-lutherische und die reformierte (calvinistische) Kirche trennten sich 1591. Die Lutheraner unterscheiden sich bis heute u.a. dadurch von den Reformierten, dass sie in drei verschiedenen Volksgruppen ihre Gläubigen finden.

Diese prägen bis heute unsere Kirche: Ungarn, Slowaken und Deutsche. Sie vertreten durchaus unterschiedliche Traditionen in der Liturgie und auch in ihrer jeweiligen Frömmigkeit.

Eine große Herausforderung war für beide protestantische Kirchen die Zeit der Gegenreformation im 17. Jahrhundert, vor allem in den Habsburgischen Landesteilen. Merkwürdigerweise konnte sich die evangelische Konfession in den osmanisch besetzten Gebieten besser entfalten, da die Muslime vor allem Wert auf umfängliche Steuerabgaben und weniger auf Konfessionsfragen legten.

Nach dem Ersten Weltkrieg schrumpfte das ungarische Staatsgebiet auf ein Drittel. Viele ungarische lutherische Gemeinden gehörten nun zu den Nachbarstaaten. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Ungarn (ELKU) hat zur Zeit drei Kirchenbezirke mit drei Bischöfen. Während der Gegenreformation waren die katholischen Machthaber nicht bereit mit protestantischen Geistlichen zu korrespondieren.

Deshalb wurden Laien in die Exekutive befördert. So stehen heutzutage allen organisatorischen Einheiten Doppelspitzen vor. Die Laien üben ihren Dienst ehrenamtlich aus. Ich wurde 2006 als Landeskurator in das Amt des „weltlichen Leiters” der ELKU, neben Bischof Tamás Fabiny, gewählt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die kirchlichen Güter von den kommunistischen Machthabern enteignet, die Schulen und diakonischen Einrichtungen – trotz aktiver Teilhnahme an der Rettung der jüdischen Bevölkerung – geschlossen.

Erst 1989 konnte das erste lutherische Gymnasium seine Tore wieder öffnen. Heute machen die ungarischen Lutheraner etwa 2% der Bevölkerung aus. Wir haben 252 Gemeinden, 50 Kindergärten, 40 diakonische Einrichtungen und etliche Schulen. Insgesamt beschäftigen wir ca. 3000 Mitarbeiter, davon 350 Pfarrerinnen und Pfarrer. Die allgemein zu beobachtende Säkularisierung macht sich natürlich auch bei uns bemerkbar.

Doch die kirchenfreundliche Politik der ungarischen Regierung sowie eine von uns vor zehn Jahren entwickelte und vor einem Jahr fortgeschriebene missionarische Strategie tragen dazu bei, dass die ungarischen Lutheraner in der Breite der Gesellschaft eine viel größere Wirkung entfalten können, als das zahlenmäßig zu erwarten wäre.

Zur Person

Gergely Prőhle, Jahrgang 1965, ist seit 2006 der Landeskurator der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn. Als Direktor der Otto-von-Habsburg-Stiftung verwaltet er den Nachlass des Europapolitikers und Sohn des letzten Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn. Er studierte Germanistik, Hungarologie und internationale Beziehungen in Budapest, Hamburg und Jena.

Im Anschluss leitete er die ungarische Vertretung der Friedrich-Naumann-Stiftung und wurde 1998 zum Staatssekretär des ungarischen Kultusministeriums bestellt. Von 2000 bis 2002 war Prőhle Botschafter Ungarns in Deutschland und danach bis 2005 Botschafter in der Schweiz. Als Staatssekretär im Außenministerium war Prőhle ab 2010 für die Beziehungen zu den EU-Staaten zuständig, ehe er 2014 als Staatssekretär in das Ministerium für Gesellschaftliche Ressourcen wechselte. Das Petőfi-Literaturmuseum in Budapest leitete Prőhle als Direktor von 2017 bis 2018.

Gergely Prőhle ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Darüber hinaus wurde er mit hochrangigen ungarischen, deutschen, italienischen und polnischen staatlichen Auszeichnungen geehrt. So wurde ihm zuletzt am 14. März 2023 in Anerkennung seiner jahrzehntelangen engagierten Dienste für die Öffentlichkeit der Batthyány-Lajos-Preis verliehen.

Autor:

Online-Redaktion

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