Afghanistan
Diplomatisches Tauwetter mit den Taliban

Eine Frau mit ihren Kindern auf den Straßen von Kabul: Mit den Taliban habe sich die Lage noch einmal extrem verschlechtert. Es gebe unterschiedliche Berichte über Zwangsverheiratungen, Hinrichtungen oder Verboten, das Haus unverschleiert zu verlassen. Zudem seien Frauen massiv in der Ausübung eines Berufs beschränkt.  | Foto: epd-bild/ Ilir Tsouko
  • Eine Frau mit ihren Kindern auf den Straßen von Kabul: Mit den Taliban habe sich die Lage noch einmal extrem verschlechtert. Es gebe unterschiedliche Berichte über Zwangsverheiratungen, Hinrichtungen oder Verboten, das Haus unverschleiert zu verlassen. Zudem seien Frauen massiv in der Ausübung eines Berufs beschränkt.
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Vier Jahre nach der Machtübernahme ist die Menschenrechtslage in Afghanistan noch immer katastrophal. Dennoch nehmen immer mehr Staaten Kontakte mit den Taliban auf - darunter auch Deutschland.

Von Julian Busch

Die internationale Gemeinschaft war sich weitgehend einig im Sommer 2021: Mit den Taliban, die gerade in rasantem Tempo Afghanistan unter ihre Kontrolle gebracht hatten, wollte man nichts zu tun haben. Zumal im Westen wollten die Regierungen die Islamisten isolieren und durch Sanktionen zu Zugeständnissen bewegen. Vier Jahre später ist klar, die Strategie ist nicht aufgegangen - und die westliche Kontaktsperre bröckelt.

Als größtes Hemmnis für eine Annäherung gilt die systematische Unterdrückung von Frauen und Mädchen, die das Taliban-Regime vorantreibt. Sie dürfen keine weiterführenden Schulen und Universitäten besuchen und unterliegen massiven Einschränkungen bei der Arbeitsplatzwahl, der persönlichen Bewegungsfreiheit und dem Zugang zu öffentlichen Räumen wie Grünanlagen oder Schwimmbädern.

Entsprechend begrüßte es die westliche Staatengemeinschaft, als der Internationale Strafgerichtshof Anfang Juli diese Politik als «beispiellose Verfolgung» bezeichnete und Haftbefehle gegen den obersten Taliban-Anführer Haibatullah Achunsada und den obersten Richter Abdul Hakim Hakkani erließ. Amnesty International sprach von einem «wichtigen Schritt».

Zugleich ist es nahezu ausgeschlossen, dass die Islamisten die Haftbefehle umsetzen oder ihre Politik deswegen ändern werden. Da die beiden Taliban-Führer ihren jeweiligen Sitz im südlichen Kandahar nur selten verlassen, ist auch eine Festnahme durch einen anderen der 125 Vertragsstaaten des Gerichts unwahrscheinlich.

Gleichzeitig lassen sich immer mehr Regierungen aus wirtschaftlichen oder politischen Interessen auf den direkten Kontakt zu den islamistischen Machthabern ein - auch Deutschland. Zwar erkennen die meisten Länder die Taliban bisher nicht formell an. Doch das Regime konnte zuletzt seine Position in der internationalen Diplomatie deutlich ausbauen. Laut dem International Institute for Strategies Studies haben bereits 17 Staaten ihre Vertretungen in Kabul wiedereröffnet, und die Taliban sind nach eigenen Angaben weltweit inzwischen mit 39 Botschaften und Konsulaten vertreten.

Bisheriger Höhepunkt der Taliban-Bemühungen: Nur wenige Tage vor der Verkündung der Haftbefehle durch den Strafgerichtshof erkannte Russland als erstes Land weltweit die Taliban offiziell als Regierung an.

Auch die Bundesregierung hat ihre Haltung zuletzt merklich angepasst: Am 7. Juli verabschiedeten die Vereinten Nationen eine von Deutschland initiierte Resolution. Darin wurden die Taliban zwar aufgefordert, die Repressionen gegenüber Frauen und Mädchen schnellstens zu beenden. Gleichzeitig ermutigt der Beschluss die Mitgliedstaaten, das internationale Engagement mit Afghanistan auf «kohärente, koordinierte und strukturierte Weise» auszubauen. Das Ziel: ein friedliches Afghanistan, das vollständig in die internationale Gemeinschaft reintegriert wird und seine internationalen Verpflichtungen erfüllt.

Die ständige Vertreterin der Bundesrepublik bei den UN, Antje Leendertse, sprach vor der Generalversammlung zwar von schwerwiegenden Bedenken angesichts der Menschenrechtslage, andererseits aber auch von einer «Alternativlosigkeit» zu diplomatischen Beziehungen mit den Taliban. Deutschland werde sich daher weiter im bisher von den UN geführten Doha-Prozess für eine pragmatische Zusammenarbeit mit den de-facto Behörden einsetzen.

Die Bundesregierung hat ihre Haltung auch zur Durchsetzung der eigenen Migrationspolitik deutlich aufgeweicht. Um künftig die Abschiebung afghanischer Straftäter zu vereinfachen, sollen zwei Taliban-Gesandte in der afghanischen Botschaft in Berlin akkreditiert werden. Der Schritt ist in Europa, mit Ausnahme Norwegens, bisher einmalig - er gilt als Tauschgeschäft mit den Taliban für einen Abschiebeflug mit 81 Personen Mitte Juli.

Zwar gilt eine formale Anerkennung der Taliban-Regierung bisher weiter als ausgeschlossen, die Kontakte sollen sich laut Bundeskanzler Merz auf «technische Abstimmungen» beschränken. Ihrem Ziel, international weiter Fuß zu fassen, dürften die Taliban damit aber dennoch einen Schritt näher gekommen sein.

EPD

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