Wider die Lehre seiner Zeit: Martin Luthers Sicht auf den Glauben von Ungeborenen und Säuglingen
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …“

Epitaph für Fredeke von Bülow aus Harbke, die im März 1602 im Alter von vier Jahren starb.
 | Foto: Foto: EKM-Kirchenarchiv
  • Epitaph für Fredeke von Bülow aus Harbke, die im März 1602 im Alter von vier Jahren starb.
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Rückblick Bis vor einem Dutzend Jahren war es gängige Lehre der katholischen Kirche: kein Seelenheil und kein Himmel für Kinder, die ungetauft starben. Erst 2007 verabschiedete sich Rom von der Lehre einer Vorhölle (Limbus), in die die Seelen dieser Kinder kommen würden. „Welche Ängste aus dieser Lehre hervorgingen, wie mit diesen umgegangen und welche teilweise absurden medizinisch, juristisch und theologisch äußerst fragwürdigen Praktiken daraus entstanden“, deutet Friederike Spengler in ihrem Referat in Halle bei einem wissenschaftlichen Symposium über Epitaphien für Kinder nur an.
Die Regionalbischöfin des Sprengels Gera-Weimar legt den Fokus auf Martin Luthers Theologie zum Glauben der Kinder und zum „Trost den Weibern, welchen es ungerade gegangen ist mit Kindergebären“ (1528). In dieser nach Spenglers Ansicht noch viel zu wenig beachteten Schrift argumentiert Luther theologisch, seelsorgerlich und exegetisch, warum auch ungetaufte Kinder in Gottes Himmel eingehen: Für den Reformator komme der Glaube aus dem Wort Gottes. Das gepredigte Wort sei einerseits ein Akt der Begegnung zwischen Gott und Menschen. Es sei aber auch ein inneres Wort, das die Herzen der Menschen berührt. Und das geschehe auch bei kleinen Kindern, die das Wort hören, aber noch nicht über die Vernunft verarbeiten könnten.
Auch in Ungeborenen sei der Heilige Geist gegenwärtig. Luther spielt auf die Begegnung der mit Jesus schwangeren Maria mit der mit Johannes, dem späteren Täufer, schwangeren Elisabeth an, wie sie Lukas erzählt. „Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe.“ Der „hüpfende Johannes“ sei für Luther der untrügliche Beweis gewesen.
„Durch das innere Wort, welches zu Herzen geht und Sache des Heiligen Geistes ist, werden aber bereits Säuglinge angesprochen und können glauben“, so die Theologin Spengler. Luther habe in seinem Leben immer wieder unterstrichen, dass Kinder nicht auf den Glauben hin getauft werden, „sondern sie werden getauft, weil Gott es geboten und Jesus in den Evangelien alle Menschen dazu aufgefordert hat“. In seiner „Disputatio de Homine“ von 1536 habe Luther noch einmal sehr deutlich dargestellt, dass die menschliche Vernunft in der Taufe keine Rolle spielt. Glaube und Taufe seien Geschenke Gottes, denen der Mensch nichts hinzufügen könne. „Dass Gott vermag, in Kindern Glauben zu wecken, steht für ihn fest“, so Friederike Spengler. „Das aber muss geglaubt werden. Einer, wie auch immer gearteten, empirischen Überprüfbarkeit bleibt es entzogen.“
Martin Luther, dem zwei seiner Töchter im Alter von einem und 13 Jahren starben, eröffnete Zeitgenossen und späteren Generationen einen neuen Blick auf das Kind. So auch Phi-lipp Hahn, Domprediger in Magdeburg und Vater von 13 Kindern, von denen fünf nicht älter als zwölf Jahre wurden. Er hielt 1602 in Harbke für die im Alter von vier Jahren verstorbene Fredeke von Bülow die Trauerpredigt. Als Kind seiner Zeit nutzte Hahn seine Predigt, um seine Zuhörer zu einem gottgefälligen Leben anzuhalten. Und er warf die Frage auf, ob ein Kind es überhaupt wert sei, dass man zu seinem Tod eine öffentliche Predigt hält, wie es sonst nur für „wichtige, hochstehende und angesehene“ Leute geschehen würde. Dann führt er die Trauergemeinde zu der neutestamentlichen Geschichte, in der Jesus die Kinder als Vorbild in Glaubensdingen hinstellt: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werden ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Matthäus 18) Eine Zumutung für Trauernde sei sicher die Formulierung Hahns gewesen: „Was Gott zeitig und reiff genug, das ist nicht vorzeitig umgekommen oder gestorben.“ Doch dies stelle auch eine Aufwertung des so kurzen Lebens dar, so Friederike Spengler. Philipp Hahn, der 1602 selber um zwei seiner Kinder trauerte, sei bewusst gewesen, dass er nur unzulänglich trösten könne. Deshalb endet seine Predigt nach aller theologischen Deutung mit einer persönlichen Ansprache an die Eltern und Großmütter der kleinen Fredeke.
Friederike Spenglers Fazit lautet: „Die Bilder, Texte und Lieder, die den theologischen Einsichten der Reformationszeit entsprungen sind, begreife ich als Zeugnisse für einen höchst sensiblen Umgang mit Trauernden und ihrer gelebten Trauer über die Zeiten hinweg.“ Sie könnten Menschen heute anleiten, „das Leben und Sterben zu bedenken, ›auf dass wir klug werden‹".
Angela Stoye

Autor:

Online-Redaktion

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