Die Zukunft der Kirchengemeinde

Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt: Deutschlands einzige schwimmende Kirche, die Flussschifferkirche aus Hamburg, ging beim Kirchentag auf dem Weg im vergangenen Jahr in Magdeburg vor Anker.  Ein Kirchenschiff mit Schlepper, im Hintergrund  ein Segelschiff auf Gegenkurs – ein treffendes Bild, meint Ingolf Scheibe-Winterberg. | Foto: epd-bild
  • Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt: Deutschlands einzige schwimmende Kirche, die Flussschifferkirche aus Hamburg, ging beim Kirchentag auf dem Weg im vergangenen Jahr in Magdeburg vor Anker. Ein Kirchenschiff mit Schlepper, im Hintergrund ein Segelschiff auf Gegenkurs – ein treffendes Bild, meint Ingolf Scheibe-Winterberg.
  • Foto: epd-bild
  • hochgeladen von Online-Redaktion



Gemeindeaufbau: Sparmaßnahmen, Stellenabbau und Mitgliederrückgang frustrieren Ingolf Scheibe-Winterberg. Verloren geben will der Schleizer Pfarrer seine Kirche nicht und hat ein Programm für den ländlichen Raum entwickelt.
Von Ingolf Scheibe-Winterberg

Wenn ich ein Bild finden sollte für die derzeitige Lage unserer Kirche, dann sehe ich ein Schiff vor mir. 1838 überquerten zum ersten Mal zwei Dampfschiffe den Atlantik. Eines davon war die »Sirius«, ein hochseetauglicher Postdampfer. Auf der Überfahrt mangelte es wegen böigem Wind und Seegang bald an Brennstoff. Als das Schiff im New Yorker Hafen einlief, befand sich kaum noch Mobiliar an Bord. Man hatte damit die Kessel beheizt.
In dieser Episode findet mancher sein Grundgefühl ausgedrückt: Kirchliche Angebote werden eingeschränkt oder aufgegeben, es wird improvisiert, damit die Schaufeln sich weiter drehen. Ehrenamtliche kommen an Grenzen, Freude und Begeisterung sind einem Pflichtgefühl gewichen. Kirchenaustritte werden nachvollziehbar, wo das Angebot vor Ort sich auf einen Gottesdienst im Monat beschränkt: Die Idee von Zentralgottesdiensten funktioniert nicht. Sie scheinen ein Vorwand, weitere Gottesdienste abzuschaffen.
Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen geht es dabei ähnlich: Wie die Heizer schaffen sie tüchtig, damit das Licht nicht ausgeht und ein paar Seelen gerettet werden. Nicht die Arbeit, sondern der Schatten ihrer Vergeblichkeit macht sie kaputt. Ich denke nicht, dass das Kirchenschiff ein Leck namens Säkularisierung hat, das zum Untergang führt. Meine Kirche hat schon Vieles überstanden. Es geht mir darum, zu illustrieren, wie Gemeindeaufbau im ländlichen Raum (wieder) funktionieren kann.

Man kann nicht alles zugleich tun

Wenn ein Wirtschaftsunternehmen in die Krise gerät – weil der Absatz stockt, die Kundschaft zur Konkurrenz geht oder einfach, weil die Zeiten sich geändert haben –, dann liegt der Fokus auf drei Aspekten: Kundenbindung, Personalentwicklung und Produktinnovation. Es ist das Gegenteil von dem, was wir in unserer Kirche seit Jahrzehnten betreiben: Statt Gemeinde vor Ort zu betreuen, bilden wir immer größere Kirchspiele, getrieben von wachsender Angst vor schrumpfenden Zahlen. Wir ziehen Personal zuerst dort ab, wo nur noch wenige Christen sind, statt es dorthin zu senden. Dieses Einsparen nennen wir dann »Strukturreform«. Reform geht anders. Und eine »Produktinnovation« ist weitreichender, als den Luthertext erneut zu revidieren, im Gesangbuch einmal ein Lied aus den 1980er-Jahren aufzunehmen oder eine Gottesdienstliturgie in gerechter Sprache einzuführen.

»Jedes Kaff ein Pfaff«

An erster Stelle sollte die Personalentwicklung stehen, denn mit ihr geht Bindung einher. Unsere Kirchengemeinden sollten mit Pfarrern oder verlässlichen, kirchengebundenen Ansprechpartnern und Akteuren vor Ort ausgestattet werden. Ich nenne dieses Programm zum Gemeindeaufbau im ländlichen Raum: »Jedes Kaff ein Pfaff«. Gemeint ist, dass in drei bis vier kleineren Ortschaften ein Ansprechpartner ist, der als »Quasi-Pfarrer« einen geistlichen Dienst tut. Das nämlich ist es, was eine Gemeinde vom Pfarrer erwartet, worauf sie auch ein Recht hat. Dazu gehören Seelsorge, Besuche, Unterricht, Gemeindenachmittage und Gottesdienste. Es sollte eine Person sein, die an der Wirkungsstätte lebt, Ort und Einwohner kennt, kommunikativ ist, in Vereinen mitarbeitet und von der Kirche angemessen bezahlt wird. Man kann dazu das Amt des Archediakons neu beleben oder ihn Vikar nennen. Ich benutze vorläufig die Bezeichnung Ortspfarrer. Entscheidend ist, dass er oder sie für die Menschen ganz intuitiv als unser Pfarrer, unsere Pastorin wahrgenommen wird.
Dem Pfarrer der Hauptgemeinde eines Kirchspiels bliebe die Verwaltung aller Filialen. Er hat Dienstaufsicht über den Ortspfarrer mit beratenden Aufgaben. Seinen pastoralen Dienst versieht er wie bisher in seinem Kirchspiel, allerdings in weniger Gemeinden und damit in einem überschaubaren Bereich. Diese Entlastung sollte Räume für Kreativität schaffen, für »Produktinnovationen«. Ich stelle mir darunter eine zeitgemäße und mutige Form der Verkündigung vor, vermittelt in ablesbarer, ausstrahlender Freude eines kirchlichen Mitarbeiters.

Es braucht Menschen,  Geld und Zeit

Eine Möglichkeit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist die Zurüstung von Menschen vor Ort durch kirchlichen Fernunterricht. Anwerbung aus Landeskirchen, mit Pfarrerüberschuss oder Theologiestudenten, die bislang nicht übernommen wurden. Darunter sind vermutlich einige, die zwar an akademischen Anforderungen scheitern, aber so das finden, weswegen sie sich für diesen Beruf entschieden haben.
Personalentwicklung kostet Geld. Aber wer aufbauen will, muss in die Zukunft investieren, mit der Hoffnung auf Ertrag. Einen solchen Versuch umzusetzen, braucht Zeit. Wie wäre es mit einem Modellversuch? Ziel sollte es sein, geistliches Leben zu stabilisieren, den Schwund an Kirchenmitgliedern zu stoppen und mit der Arbeit in überschaubaren Bereichen sowohl für den Ortspfarrer als auch für den »Filialleiter« einen Freiraum für »Kundenbindung« und »Produktinnovation« zu schaffen. Wenn sich der Versuch bewährt, könnte das Modell –
je nach finanziellen Möglichkeiten von Kirchenkreisen und Landeskirche –
innerhalb von zehn Jahren auf drei weitere Kirchenkreise pro Jahr ausgeweitet werden, sodass der Haushalt nur allmählich belastet würde. In diesem Zeitrahmen sollte auch die Akquise von »Ortspfarrern« realistisch sein.

Masten errichten und Segel setzen

Es ist ein guter Zeitpunkt und eine Chance: Wo sich Konsum, Post, Kneipe, Sparkasse und Feuerwehr aus den Dörfern zurückgezogen haben, werden kirchliche Angebote allein deshalb schon fruchtbaren Boden finden. Reste von volkskirchlichen Strukturen gibt es noch oder zumindest die Erinnerung daran. Auch Kirchengebäude und Orgeln sind in den meisten Dörfern in gutem Zustand.
Es mag sein, dass auch mehr Personal die allgemeine Entkirchlichung nicht aufhält. Aber sicher ist, dass kirchliches Leben ohne Ansprechperson vor Ort ganz zum Erliegen kommt. Unser Pfund ist die Person, die Beziehung aufbaut, Gemeinschaft und Begegnung ermöglicht, auch in Konflikten vermitteln kann, verlässlich da ist und Zeit hat – für die Seele der Menschen und des Ortes. Und wenn alles scheitert, haben wir uns einmal etwas getraut.

Autor:

Online-Redaktion

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

29 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.