9. November
Das deutsche Datum

Foto: pixabay.com/ waldmar

Am 9. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen, es ist der Jahrestag der Pogromnacht. 1989 fiel die Berliner Mauer am 9. November. Und das waren nicht die einzigen Ereignisse an diesem Tag, die die deutsche Geschichte prägten.

Von Nils Sandrisser 

Der Morgen graut am 9. November 1848 über einem Truppenübungsplatz in Wien-Brigittenau. Soldaten führen einen Mann herbei, stellen sich vor ihm auf, heben die Gewehre. «Ich sterbe für die deutsche Freiheit», sagt der Mann. Dann krachen die Schüsse.

Der Erschossene ist Robert Blum, Abgeordneter des ersten deutschen Parlaments, der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Als Abgeordneter ist er eigentlich immun und darf nicht verurteilt, geschweige denn hingerichtet werden. Die Fürsten aber scheren sich nicht ums Recht. Sie wollen die Märzrevolution von 1848 niederschlagen und gebrauchen dazu Gewalt.

Blums Tod ist das erste einer Reihe von Ereignissen, die über Jahre hinweg an einem 9. November deutsche Geschichte prägen sollten: die Märzrevolution 1848 und die Novemberrevolution 1918; der Hitler-Ludendorff-Putsch war am 9. November 1923, die Novemberpogrome am 9. November 1938 und der Fall der Mauer am 9. November 1989.

Es mag so wirken, als könne die Reihe von Ereignissen am immer gleichen Tag kein Zufall sein. Aber nach den Worten des Marburger Historikers Martin Göllnitz ist es genau das. «Es gibt keine Zwangsläufigkeit dieser Geschehnisse», erklärt er. Allerdings verweist er darauf, dass manche dieser historischen Prozesse einen inneren Zusammenhang gehabt hätten. Der gescheiterte Putsch 1923 etwa habe die 1918 geschaffene Republik abschaffen wollen. «Die Nazis sprachen ja immer von 'Novemberverbrechern', da lag ein Termin im November für den Putsch nahe», erklärt Göllnitz. Dass es der 9. November wurde, sei allerdings wieder Zufall gewesen.

Die Münchener Zeithistorikerin Isabel Heinemann, Direktorin des Instituts für Zeitgeschichte, erkennt drei Punkte, die allen Ereignissen an diesen Daten gemein sind. «Es geht dabei immer um ein Ringen um die Staatsform und deren Ausgestaltung», zählt sie auf. «Es geht zugleich auch immer um politische Gewalt.»

Der dritte Punkt laut Heinemann: «Medien spielen eine ganz entscheidende Rolle.» Die Berichterstattung durch Bilder, Tondokumente oder Flugblätter habe teilweise die Ereignisse verstärkt. Als Beispiel nennt die Historikerin den Mauerfall. Das DDR-Politbüromitglied Günter Schabowski hatte in einer Pressekonferenz die innerdeutsche Grenze für offen mit sofortiger Wirkung erklärt. Seinen Satz hörten via «Tagesschau» Millionen Menschen, auch in der DDR. Tausende eilten daraufhin zur Berliner Mauer und erzwangen die tatsächliche Öffnung. Als dann - wieder in der «Tagesschau» - Ostdeutsche interviewt wurden, die durch die abendlichen Straßen West-Berlins spazierten, kamen noch mehr über die Grenze. Das Ereignis wurde so unumkehrbar.

Göllnitz weist darauf hin, dass nicht alle Ereignisse von vornherein auf Gewalt ausgelegt waren. Bei jenen, bei denen die Nazis beteiligt waren, sei diese Absicht am offensichtlichsten gewesen. Die Abdankung des Kaisers 1918 aber habe sogar Gewalt entgegenwirken solle, sagt er: «Erst mit dem Spartakusaufstand wird es gewalttätig.»

Das Datum 9. November zeigt auch, was Menschen in Deutschland erdulden mussten, die sich für die Freiheit einsetzten. Der Abschiedsbrief Robert Blums an seine Frau, in der er aus seiner Zelle heraus ihr schreibt, wie er seine Henker nahen hört, ist ein besonders ergreifendes Dokument dafür. Zugleich führt das Datum die Exzesse vor Augen, die vorgeblich im Namen Deutschlands verübt wurden. Und er steht für das Glück, das die Deutschen hatten, als der Zusammenbruch der DDR friedlich blieb, obgleich die SED-Spitze durchaus überlegte, Gewalt anzuwenden. Mehrfach kam daher in der Vergangenheit die Forderung auf, diesen Tag zum Nationalfeiertag zu machen.

Die Historikerin Heinemann sieht das anders. «Ich halte es für richtig, dass dieser Tag kein offizieller Feiertag ist», erklärt sie.  Denn dies berge das Risiko, dass das Gedenken an den Mauerfall dasjenige an die Pogrome überlagert. Zudem sei wichtig, dass dieser Tag nicht in verbindlichen Gedenkritualen erstarre. Man müsse sich im Gegenteil immer mit seinen Ereignissen auseinandersetzen, und zwar auch schmerzhaft - beispielsweise mit der Tatsache, dass bei den Novemberpogromen 1938 ein Großteil der Bevölkerung still blieb und sich bis zu zehn Prozent an Gewaltaktionen beteiligten, plünderten oder den Gewalttätern applaudierten.

Auch Heinemanns Marburger Kollege Göllnitz argumentiert nicht für den 9. November als Nationalfeiertag. Dieser Tag habe ein «Doppelgesicht», sagt er: «Der 9. November 1989 würde vielleicht das verlieren, wofür er steht, seine Hoffnung, wenn wir zugleich an die Pogromnacht und den Hitlerputsch erinnern müssten.»

(epd)

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