Vorgestellt: Trauerbegleiterin Gundula Heyn
Alles, was du fühlst, ist normal

Trauerbegleiterin Gundula Heyn | Foto: Malteser

Manche wechseln die Straßenseite. Andere winken ab. "Jetzt muss es doch einmal gut sein!", oder: "Du bist nicht die Einzige!" – das bekommen Menschen, die einen Angehörigen verloren haben, immer noch und immer wieder zu hören. Unsere sich offen und aufgeklärt gebende Gesellschaft steckt voller Tabus: Der Umgang mit dem Tod ist eines davon.

"Wir sagen zwar, dass das nicht so ist, aber trauernde Menschen erleben das Tabu sehr deutlich. Sie erleben den Unterschied zwischen dem, was wir sagen, und dem, was wir tun", sagt Gundula Heyn. Sie leitet und koordiniert die Trauer- und Hospizbegleitung der Malteser in Zerbst und erlebt in ihrer Arbeit oft eine große Hilf- und Sprachlosigkeit. Dabei stört es Hinterbliebene nicht, bekundet man offen sein Mitgefühl oder bringt zum Ausdruck, dass einem die Worte fehlen. Dies sei allemal besser, als ihnen aus dem Weg zu gehen oder das offensichtliche Thema auszusparen. "Dadurch fühlen sich viele in ihrer Trauer ausgegrenzt und einsam. Sie trauen sich nicht, jemanden von ihren Gefühlen zu erzählen, und wagen es nicht, zu berichten, dass es auch nach einem Jahr noch weh tut", erzählt Heyn.


"Wir Trauerbegleiter empfinden es als Nachteil, dass Trauer als pathologische Störung gewertet wird"

Trauer sei ein sehr individueller Prozess, der sich nicht pauschalisieren lasse. Die Menge und auch die Ambivalenz der Gefühle wie Angst und Wut verunsichert viele Betroffene. Sie fragten sich: Ist das normal, bin ich normal? Heyn und die ehrenamtlichen qualifizierten Trauerbegleiter versichern: Ja, du und alle deine Gefühle sind normal. "Das nimmt oft eine Last."

Trauer lässt sich nicht heilen oder wegtherapieren, die Trauer verändert sich, aber der Verlust begleitet ein Leben lang, mal mehr, mal weniger intensiv, mal als liebevolle Erinnerung, mal als Schmerz. Weil es normal ist, einen Menschen zu vermissen, der gestorben ist, sieht die Trauerbegleiterin es kritisch an, dass eine "anhaltende Trauerstörung" in den ICD-Katalog für Krankheitsklassifikation aufgenommen werden soll. "Ja, in der akuten Phase sind Menschen gelähmt, können nicht arbeiten und in ihren Alltag zurück. Dabei hilft eine Krankschreibung. Aber wir empfinden es als Nachteil, dass Trauer als pathologische Störung gewertet wird, eine Nummer und damit einen Stempel aufgedrückt bekommt."

Vielen Betroffenen hilft der Austausch mit Gleichgesinnten. Deshalb wurde in Zerbst vor vier Jahren mit dem Trauercafé "Leben" eine Begegnungsmöglichkeit geschaffen. Monatlich treffen sich hier Menschen, öffnen, stärken und ermutigen sich, wie es Außenstehende nicht können. Die ehrenamtlichen Trauerbegleiter setzen den Rahmen: ein liebevoll gedeckter Tisch, das Anzünden einer Kerze, ein Impuls, der Gespräche beginnen lässt. Fest verankert sei das Klischee, das Café „Leben" sei eine Austauschmöglichkeit für ältere Damen, tatsächlich kommen viele Männer. Nach der Corona-Pause soll es im kommenden Jahr weitergehen.

In der Pandemie hat Gundula Heyn eine weitere Begegnungsmöglichkeit in die Tat umgesetzt: die Trauerwanderung. Sie findet vier Mal im Jahr statt. Immer wandern die Teilnehmer die gleiche sechs Kilometer lange Strecke ab und erleben den Wandel der Jahreszeiten. Das ist gewollt. Manchmal kann man Heilung nicht bewusst anschieben, sondern muss sie im Laufe der Zeit geschehen lassen. Manchmal wird in der Bewegung die Starre offenbar. Auch Einzelbegleitungen bieten die Malteser an. Bei einem Gespräch mit Gundula Heyn wird gemeinsam überlegt, welche Unterstützung es braucht. Wenn es auf eine Einzelbegleitung hinausläuft, überlegt Gundula Heyn, welche ehrenamtliche Trauerbegleiterin gut passen würde. In jüngster Zeit haben viele dieser Einzelbegleitungen über das Telefon stattgefunden. Überraschenderweise hat das gut geklappt. Auch über die Distanz sind Menschen sich nah gekommen.

Dennoch hat Corona das Bedürfnis nach Gemeinschaft verdeutlicht: Die diesjährige Gedenkfeier für Verstorbene Anfang Oktober war so gut besucht wie nie zuvor. Viele Menschen fanden sich in der katholischen St. Jakobuskirche ein zu der Feier, die von den Maltesern und der evangelischen Pfarrerin Salome Quos gestaltet worden ist. Das Angebot richtet sich an alle Menschen, egal ob kirchlich gebunden, oder ob sie noch nie eine Kirche betreten haben. Heyn: "Die Gemeinschaft, eine gemeinsame Würdigung und Erinnerung tun gut." Begleitung wie diese gibt Kraft und kann ein Baustein sein, um Menschen stark zu machen, mit ihrer Trauer gut in dieser Gesellschaft zu leben.
Katja Schmidtke

Autor:

Katja Schmidtke

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