Kommentar
Wem gehört Luther?

Von Klaus-Rüdiger Mai

Noch 2017 wurde ich mehrfach gefragt, ob der Thesenanschlag wirklich stattgefunden hat. Es mag in der Forschung Konsens darüber bestehen, dass die Ablassthesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen wurden, doch der Konsens scheint das Publikum nicht erreicht zu haben. An diesem Punkt verirrt sich Thomas Kaufmann (siehe Nr. 43, S. 1) in den Elfenbeinturm und doziert – unerreichbar für die Miasmen der Wirklichkeit, die Martin Luther in die Nase stachen. Der Historiker wird von der Gesellschaft mindestens für zweierlei bezahlt: erstens, dass er die Geschichte erforscht, und zweitens, dass er die Resultate der Öffentlichkeit in populärer Form unterbreitet. Das haben Hasselhorn und Gutjahr geleistet – wissenschaftlich korrekt, was Kaufmann nicht bestreitet, und populär, was den Professor in Harnisch bringt.
Warum eigentlich? Der Furor wäre verständlich, wenn die Autoren Unfug verbreiten würden, doch das ist nicht der Fall. Also stellt sich die Frage: Wem gehört Luther und wie populär darf er sein? Antwort hatte schon Martin Luther erteilt: in der Bibelübersetzung, im Sendbrief vom Dolmetschen, in dem er zeigte, wie er, ausgehend vom Priestertum aller Menschen und von jedermanns Pflicht, die Heilige Schrift zu lesen, sich um Allgemeinverständlichkeit bemühte. Bereits in den Thesen der disputatio contra scholasticam theologiam verabschiedete er sich von einem unfruchtbaren Akademismus. Wünschenswert wäre es, der Professor verließe den Elfenbeinturm und träte auf die Straße, in die Gemeinschaft der Christen jeglicher Profession, dorthin, wo ihn Martin Luther bereits erwartet.

Der Autor ist Luther-Biograf und Verfasser des Buches »Geht der Kirche der Glaube aus?«

Autor:

Online-Redaktion

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