Freitag vor 1
Unsere Seite 1 - Die krummen Zeilen

"Es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen gibt", hat der Ende vergangenen Jahres verstorbene Papst Benedikt XVI. einmal gesagt. Und in der Tat: Gott schreibt auf krummen Zeilen gerade - das ist eine Erfahrung, die ich immer wieder im Gespräch mit Menschen mache.

In dieser Woche war Magdeburg ein Mittelpunkt klösterlichen Lebens. Dort trafen sich Menschen aus aller Welt, die mit dem katholischen Orden der Prämonstratenser verbunden sind. "Tertiaren" nennen sie sich oder auch "Assoziierte". Sie sind keine Ordensleute, leben nicht in Klöstern, sondern sind Menschen wie du und ich, die ihren ganz normalen Alltag leben. Dabei sind sie mit den Prämontratensern verbunden, wissen sich in der Gemeinschaft und im Gebet getragen.

Es war spannend, diese Vielfalt an unterschiedlichen Persönlichkeiten zu erleben - ihr gemeinsamer Glaube und ihre Verbundenheit mit der Spiritualität eines Ordens, der auf den früheren Magdeburger Erzbischof, den heiligen Norbert von Xanten zurückgeht, verbindet sie - aber ihre Lebensgeschichten, ihren persönlichen Hintergründe sind immer ganz individuell.

Vor einigen Tagen habe ich auch mit Elke Röschke gesprochen. Sie ist Lektorin im Kirchenkreis Merseburg, gehört dem Lektorenrat der EKM an. Auch ihr Glaubensweg, den ich für die aktuelle Printausgabe von "Glaube&Heimat" aufgeschrieben habe, ist faszinierend. Nach einigen persönlichen Schicksalsschlägen und einem bis dahin unerfüllten Kinderwunsch hat sie eine Absprache mit Gott getroffen: Sie ließ sich als Erwachsene taufen und vertraute darauf, dass Gott schon das Seine dazugeben würde. Er tat es - mehr dazu lesen Sie hier.

Diese und viele andere Beispiele sollten uns eine gewisse Demut lehren. Nicht wenige denken manchmal insgeheim: "Ich gehöre ja dazu, ich halte mich an die Gebote, engagiere mich in der Gemeinde, gehe regelmäßig zum Gottesdienst, bete täglich zu Hause". Das ist alles gut und erstrebenswert, ohne Frage. Aber es sollte uns nie zu einer Überheblichkeit gegenüber denjenigen verleiten, die noch nicht zur Gemeinde gehören, sich mit dem Gebet und der Zwiesprache mit Gott noch schwer tun oder noch mit manchen Geboten hadern (tun wir dies nicht oft genug auch?).

Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade, er sieht den kleinen glimmenden Docht und ignoriert den vielen Rauch drumherum. Umso mehr dürfen wir uns nicht in unseren frommen Zirkeln einrichten, sondern sollten immer offen bleiben für diejenigen, die auf der Suche nach Gott sind. Vielleicht ist ihr Weg ein ganz anderer als unserer, möglicherweise können wir vieles von ihrem Weg zu Gott nicht nachvollziehen oder verstehen. Doch am Ende gelangen wir alle zum selben Ziel - und nur darauf kommt es an.

Im Orden der Prämonstratenser, deren Assoziierte sich in Magdeburg getroffen haben, sind sogar die einzelnen Klöster zuweilen ganz unterschiedlich ausgerichtet. In den USA erlebt ein Kloster in Orange im Bundesstaat Kalifornien gerade einen großen Zulauf an Nachwuchs, weil es sich betont traditionell gibt. Einige tausend Kilometer weiter in der Nähe von Philadelphia geben sich die Ordensbrüder hingegen eher weltoffen und liberal. Er könnte sich auch verheiratete katholische Priester und vielleicht sogar Frauen am Altar vorstellen, sagt dort einer Ordensmänner - im konservativen Orange vermutlich undenkbar.

Dennoch gehören beide zum selben Orden - und haben dasselbe Ziel. So war das Assoziiertentreffen der Prämonstratenser auch ein Lehrstück, wie Kirche im Kleinen funktionieren sollte: Einheit in der Hinwendung zu Gott, aber auf vielfältigen Wegen.

Unsere Themen:

Neu vom Evangelium erzählen: Religionspädagoge und EKD-Ratsmitglied Michael Domsgen baut an der Universität Halle ein neues Forschungszentrum auf.
Zum Dienst berufen - ein Prozess: Aus der Bibel und der Kirchengeschichte kennen wir viele unterschiedliche geistliche Berufungen. Die Erzählungen haben eines gemeinsam: eine durch Gottes Geist gewirkte Kurskorrektur. Aber passiert so etwas auch heute noch?
"Ich möchte nicht mein Enkel sein": Der Publizist Franz Alt zur Klimadebatte

Außerdem:

Kindesmissbrauch wenig aufgearbeitet: Eine Tagung in Magdeburg befasste sich mit Gewalt gegen Kinder in der ehemaligen DDR
Offen sein und zuhören: Das ist Teil  der citypastoralen Einrichtung "Punctum", einer Kirchen-Wiedereintrittsstelle  in der Innenstadt von Frankfurt am Main.

Neugierig geworden?

In Glaube + Heimat lesen Sie wöchentlich Reportagen und Berichte aus den Kirchenkreisen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts, aus Deutschland und der Welt und erfahren Sie mehr über Hintergründe zu gesellschaftlichen Debatten und zu Glauben im Alltag. Die Mitteldeutsche Kirchenzeitung Glaube+Heimat erhalten Sie als E-Paper und als gedruckte Ausgabe im Abonnement.

Autor:

Oliver Gierens

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

2 folgen diesem Profil

1 Kommentar

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.