Mehr als Tradition: Wie die Gesellschaft vom verbindlichen Ruhetag profitieren kann
Den Sabbat neu entdecken

Tag sieben: Längst rüttelt nicht nur der Handel am freien Sonntag. Corona-Pandemie und Digitalisierung verändern die Arbeitswelt. Mails checken, Projekte fertigstellen – geht auch von zuhause aus am Sonntag. | Foto: Foto: epd-bild/Rainer Oettel
  • Tag sieben: Längst rüttelt nicht nur der Handel am freien Sonntag. Corona-Pandemie und Digitalisierung verändern die Arbeitswelt. Mails checken, Projekte fertigstellen – geht auch von zuhause aus am Sonntag.
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La dolce far niente, nennen es die Italiener: Das süße Nichtstun. «Am siebten Tage sollst du ruhen», heißt es schon im Alten Testament. Vor 1700 Jahren, am 3. März 321 erklärte der römische Kaiser Konstantin den siebten Tage der Woche zum allgemeinen Tag der Arbeitsruhe.

Mit einer digitalen Feier wollen Kirchen und Gewerkschaften das Jubiläum in diesem Jahr begehen und den arbeitsfreien Sonntag verteidigen. «1700 Jahre freier Sonntag sind eine Verpflichtung, künftigen Angriffen auf die Arbeitsruhe energisch entgegenzutreten», erklärt die «Allianz für den freien Sonntag». Der Sonntag gehöre nicht der Wirtschaft, sondern der Familie, dem Glauben, der Kultur, dem Sport und der Erholung.
Den Sonntagsschutz wollen seit Jahrzehnten verschiedenste Kräfte lockern. Industrielle pochen darauf, dass ihre teuren Maschinen sieben Tage die Woche laufen; Einzelhändler möchten der Internetkonkurrenz mit verkaufsoffenen Sonntagen die Stirn bieten. Wer Freizeit hat, sehnt sich – jetzt im Lockdown wahrscheinlich umso mehr – nach offenen Restaurants, Geschäften, Vergnügungsstätten.

Der Theologe Tilman Jeremias hält das für einen Irrweg. In seinem Buch «Sabbat – Gottesgeschenk für alle» argumentiert er, dass die gesamte Gesellschaft von einem verbindlichen Ruhetag profitiert. Der frühere «Wort zum Sonntag»-Sprecher und heutige Bischof für den Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland ist der Überzeugung, dass eine Sechs-Tage-Woche, gefolgt von einem Ruhe-tag, schon in der Schöpfung verankert ist. International habe sich dieses Muster durchgesetzt. Versuche in der französischen Revolution und in kommunistischen Ländern, die Zehn-Tage-Woche einzuführen, seien gescheitert.

Jeremias ruft in Erinnerung, wie radikal in der jüdischen Geschichte das göttliche Gebot der Sabbatheiligung eingefordert wurde. Es gehört zu den Zehn Geboten und sei das «in unseren Tagen wohl am meisten übertretene». Im Alten Testament werde die Übertretung des Gebots dagegen noch mit der Todesstrafe bedroht. Weil Gott selbst nach sechs Tagen Schöpfung der Welt ausruhte, solle auch der Mensch seine Arbeit unterbrechen. Der Sabbat ist der Darstellung zufolge für das jüdische Volk geradezu identitätsstiftend und ein Erkennungszeichen jüdischen Lebens über die Jahrtausende und über verschiedene Kulturen hinweg. Und das zum eigenen Nutzen, wie der Zionist Asher Ginzberg schreibt: «Mehr als Israel den Sabbat bewahrt hat, hat der Sabbat Israel bewahrt.»

Was den Juden der Sabbat, ist den Christen der Sonntag. Aber erst unter Kaiser Konstantin erlangte der Sonntag als Feiertag, an dem an die Auferstehung Jesu Christi von den Toten erinnert wird, Verbindlichkeit. Im Vordergrund stand dabei nicht die Ruhe, sondern der Gottesdienst. Eine Sichtweise, die von der Reformation noch einmal verstärkt wurde, sich bis heute erhalten hat und in deutlicher Abgrenzung zum ursprünglichen Charakter des Sabbats steht, wie Jeremias herausarbeitet. Der Sabbat ist in der biblischen Theologie eine Grundidee, die die ganze Sozialgesetzgebung durchzieht. Auch Sklaven und Tiere sollen an diesem Tag nicht arbeiten. In jedem siebten Jahr, dem Erlassjahr, sollen Schulden erlassen, hebräische Sklaven entlassen und verkauftes Land zurückgegeben werden.

Dass der arbeitsfreie Sonntag nach Corona extrem unter Beschuss kommen wird, fürchtet Gudrun Nolte, Vorsitzende des Evangelischen Verbands Kirche – Wirtschaft – Arbeitswelt (KWA). Ökonomische Lobbygruppen dürften Stimmung machen gegen viele Regeln, um verlorenen Umsatz wettzumachen, vermeintlich Arbeitsplätze zu erhalten und Industrien zu retten. «Da wird der arbeitsfreie Sonntag sicherlich stark angegriffen», sagt Nolte.

Auch die Chancen der digitalen Arbeitswelt, die zuletzt durch die Corona-Pandemie aufgefächert wurden, können den freien Sonntag gefährden. Mal schnell Mails checken, noch dieses Projekt fertigstellen – geht bequem von zuhause aus, auch am siebten Tag der Woche. Längst rüttelt nicht nur der Handel am freien Sonntag. (epd/red)

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Online-Redaktion

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