WORTMELDUNG
Mutige Solidarität im Resonanzraum Kirche
- v.l.n.r.: Dr. Aribert Rothe, Joachim Jaeger, Johannes Haak, Andreas Eras und Landesbischof Friedrich Kramer nach dem Gespräch im Landeskirchenamt am 5. September 2025.
- Foto: Friedrich Haak (Landeskirchenamt Erfurt)
- hochgeladen von Johannes Haak
ZUM 3. ADVENT 2025
VERÖFFENTLICHUNG DER WORTMELDUNG
MUTIGE SOLIDARITÄT IM RESONANZRAUM KIRCHE
2. Auflage
Die Autoren Andreas Eras, Johannes Haak, Joachim Jaeger, Martin Möslein und Dr. Aribert Rothe erinnern ihre Kirche, was Kirche zu Kirche macht. Gebunden an die Praxis kirchlichen Handelns und an die Heilige Schrift.
Themenfelder sind:
GOTTESDIENST / SEELSORGE / MISSION / BILDUNG / KONZEPTION / INSTITUTION / RELIGION / DEMOKRATIE UND EUROPA:
INHALT
Grußwort von Landesbischof Friedrich Kramer
Grußwort von Senior Dr. Matthias Rein
Vorwort von Prof Dr. Christoph Bultmann
0. Hinführung
1. Einstieg
1.1. Zum Aufsatz von Dr. Bernd Moldenhauer
1.2. Biblische Bezüge
2. Mutige Solidarität im Resonanzraum Kirche
2.0. Vorbemerkung und Hinführung
2.1. Gottesdienst
2.2. Seelsorge
2.3. Mission
2.4. Bildung
2.5. Konzeption
2.6. Institution
2.7. Religion
2.8. Demokratie
2.9. Europa
3. Schlussakzent
4. Literatur
5. Autoren
Grußwort von Landesbischof Friedrich Kramer
„Prüft alles und behaltet das Gute“, gibt uns die Jahreslosung 2025 mit auf den Weg.
Das ist eine gute Richtschnur, auch für das Nachdenken über unseren Weg als Kirche. Einige Theologen, die ihre Kirche lieben und mit der Erfahrung von Jahrzehnten des Dienstes den zurückliegenden Weg gut überblicken können, melden sich zu Wort. Sie erinnern uns und jeden Christenmenschen, der es lesen mag, an das, was Kirche zu Kirche macht. Ich danke ihnen herzlich dafür und freue mich sehr darüber. Können wir doch gerade mit solchen Wortmeldungen ins Gespräch gehen, wohin der Weg unserer Kirche in diesem herausfordernden Zeiten gehen soll. Wir stehen vor vielfältigen Veränderungen, und da ist es gut zu überlegen, was unser Auftrag heute ist und wie wir als Kirche in die Gesellschaft und die Welt hineinwirken können mit Menschenliebe, Kooperation und Klarheit, getragen vom Glauben an Jesus Christus.
Mir ist die Wirksamkeit von Seelsorge in unserer singularisierten Gesellschaft wichtig, und ich betone dies immer wieder. Und ich bin davon überzeugt, dass Besuche und Seelsorge die wichtigsten Aufgaben unserer Pfarrerinnen und Pfarrer sind bzw. sein werden, für die wir ihnen den Raum schaffen müssen. In jeder Zeit haben sich
Christen fragen müssen, wie sich Kirche verändern muss, um weiter ihrem Auftrag gerecht werden zu können. Mit der Besinnung auf die Sorge um die Seele als einem Kernauftrag christlicher Existenz ist dabei ein starkes Zeichen gesetzt.
Möge die Wortmeldung von vielen in unserer Landeskirche wahrgenommen werden und zum Gespräch darüber anregen, wie Kirche zu Kirche wird und was unseren Auftrag heute ausmacht, und so die Solidarität und den Mut in, mit und über den Resonanzraum Kirche hinaus stärken.
Landesbischof Friedrich Kramer
Grußwort von Senior Dr. Matthias Rein
Im Jahr 1525 wurden im Zuge der Neuordnung der Erfurter Parochien die ersten Erfurter evangelischen Kirchengemeinden gegründet. Das christliche Leben in diesen Gemeinden hat sich seitdem immer wieder geändert, fand neue Formen, übernahm neue Aufgaben. Was prägt das Leben eines Christenmenschen heute in Erfurt? Wie gestaltet sich Gemeindeleben? Wie vollzieht sich die Weitergabe des christlichen Glaubens in der Familie, im Gemeindeleben, in Schule und kirchlicher Einrichtung? Was bildet das Fundament des Glaubens des Einzelnen und einer christlichen Gemeinschaft? Fünf Erfurter Theologen und erfahrene Pfarrer wenden sich mit einer Wortmeldung an die Gemeinden sowie die Mitarbeitenden der Kirche in Erfurt und darüber hinaus. Sie orientieren sich am Wort der Schrift, an eigener Erfahrung und Reflexion gegenwärtiger Entwicklungen und sind im Gespräch mit aktuellen theologischen, soziologischen und philosophischen Positionen. Sie laden zum Nachdenken ein und regen zur Gestaltung an. Unsere Kirche braucht solchen Austausch und solche Anregung. Aktuell vollziehen sich tiefgreifende Änderungen der Kirche im Blick auf Mitgliederzahlen und finanzielle Ressourcen, aber auch im Blick auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Möge die vorliegende Wortmeldung Menschen in ihrem Christsein und ihrem Engagement für die evangelische Kirche in Erfurt bestärken, anregen, neu orientieren und vergewissern!
Denn Gott spricht:
Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken.
(Hesekiel 34,16 / Monatsspruch November 2025)
Dr. Matthias Rein Senior des Evangelischen Kirchenkreises Erfurt
Vorwort von Prof. Dr. Christoph Bultmann
Wortmeldung: Mutige Solidarität im Resonanzraum Kirche
Erfahrungen bündeln, Anregungen geben, Orientierungen festhalten: im vorliegenden Heft findet sich der Ertrag einer informellen Initiative zu Gesprächsrunden gemeindenaher und kirchenleitender Theologen im Kirchenkreis Erfurt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland über Zukunftsperspektiven der evangelischen Kirche im Horizont des konkreten evangelischen Gemeindelebens. Für Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche sind die vorgestellten Überlegungen in hohem Grade bedenkenswert. Innerhalb der Kirche, weil eine Ermutigung zur zukunftsorientierten Zusammenarbeit für alle in kirchlichen Berufen Tätigen und ebenso für alle ehrenamtlich Engagierten willkommen sein muss, wenn sie aus einem solchen Erfahrungsschatz aus der kirchlichen Praxis kommt, wie dies im vorliegenden Heft der Fall ist. Außerhalb der Kirche, weil eine Ermutigung zur zukunftsfähigen Offenheit in einer dynamischen Gesellschaft für alle Fragenden und Suchenden und auf dialogische Begegnungen Eingestellten willkommen sein muss, wenn sie von solcher Aufmerksamkeit auf die konfliktreiche Gegenwart geprägt ist, wie dies im vorliegenden Heft der Fall ist.
Die Autoren schlagen – um zwei Beispiele zu nennen – einen weiten Bogen von Jürgen Moltmann, Kirche in der Kraft des Geistes (1975), zu Hartmut Rosa, Demokratie braucht Religion (2022). Sie laden mit ihrem vorbildlichen Gespräch alle Leserinnen und Leser dazu ein, in vergleichbarer Weise klassische Orientierungspunkte für ihr jeweiliges Denken und Handeln zu benennen und zu erläutern, zu prüfen und zu erneuern. Sie sprechen mit unüberhörbarer Deutlichkeit von Gewissensbildung, Mündigkeit und Geschlechtergerechtigkeit. Die Autoren beziehen sich auf die Bibel als Grundlage des Glaubens und bringen in reflektierter Auswahl einzelne biblische Gedanken und Bilder zum Klingen. Sie sprechen vom Evangelium, von der Botschaft, von der Verkündigung als Anrede (griechisch: Kerygma), sie sprechen von Seelsorge und Solidarität, von Gemeinschaft und – mit einer besonders eindrücklichen Wendung – von einer „milden Christlichkeit“.
Die Autoren rufen keine Krise aus, denn sie sind sich aus der langjährigen Praxis ihres kirchlichen Berufslebens in den unterschiedlichen politischen Systemen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der seit 1990 vereinigten Bundesrepublik Deutschland bewusst, dass kirchliche Verkündigung, kirchliche Seelsorge, kirchliche Solidarität, kirchliche Verantwortung für Mitmenschlichkeit, für Freiheit und Gerechtigkeit alle Zeiten überdauern. Das macht ihre „Wortmeldung: Mutige Solidarität im Resonanzraum Kirche“ einprägsam und glaubwürdig und widerständig. Die Autoren blenden nicht aus, dass neben dem evangelischen innerkirchlichen Gespräch das ökumenische, das interreligiöse, das missionarische Gespräch notwendig und erwünscht sind, weil der christliche Glaube in der Gemeinschaft von Christen in unterschiedlichen Kirchen gelebt wird, weil in einer pluralen Gesellschaft Glaubende in unterschiedlichen Religionen in Nachbarschaft leben, weil in einer säkularen Gesellschaft Fragende und Suchende nicht einfach in die Kirchenferne verabschiedet, sondern in einer menschenfreundlichen Milieuoffenheit berücksichtigt werden sollen (so ist der oft fragwürdige Begriff der „Mission“ auf die Gegenwart zu beziehen und von der Idee der Partizipation aus zu beleuchten). Wichtig sind hier die Hinweise auf die evangelischen Schulen ebenso wie auf die Kirchenmusik und die Kirchengebäude: Aspekte des kirchlichen Lebens können auch als Aspekte des kulturellen Lebens betrachtet werden.
Wenn das Gespräch über die „Wortmeldung: Mutige Solidarität im Resonanzraum Kirche“ gelingt, werden alle Beteiligten darüber froh sein und neue Energie für tragfähige Konzeptionen in den Bereichen Verkündigung und Seelsorge, Bildungsarbeit und Kooperationsbemühungen gewinnen. Dieses Vorwort soll Leserinnen und Leser nicht auf eine voreingestellte Reaktion festlegen. Doch es soll zum Ausdruck bringen, dass die Spannung zwischen Zeitgebundenheit und Zeitlosigkeit, wie sie in den Überlegungen der Autoren erkennbar wird, bedenkenswert ist. Denn die biblische Basis des christlichen Glaubens ist zeitlos, während die Auslegung der biblischen Texte zeitgebunden ist. Sie ist stets in der eigenen Zeit der Lesenden, Deutenden, Verkündigenden zu verantworten und im konkreten Handeln wirksam zu gestalten.
Erfurt, im Oktober 2025
Christoph Bultmann
(Universität Erfurt, Erziehungswissenschaftliche Fakultät, Martin-Luther-Institut)
0. Hinführung
Liebe Leserinnen und Leser,
den Anstoß für unsere Initiativgruppe gab Herr Dr. Bernd Moldenhauer mit dem Aufsatz „Versinkende Lebenswelten – über die gegenwärtige Situation der protestantischen Kirche“.
In zehn Gesprächsrunden diskutierten wir über die Niederschrift von Bernd Moldenhauer und verschiedene Aufsätze, wir tauschten uns über theologische Konzeptionen aus, hörten unterschiedliche Auslegungen der Heiligen Schrift und freuten uns auf neue einleuchtende Gestaltungsvorschläge für die Arbeit in den Gemeinden. Immer getragen von der Gewissheit, dass der Dienst in unserer Kirche sich aus der „Kraft des Geistes“ (Jürgen Moltmann) speist.
In der Liebe zu unserer Kirche haben wir unsere Wortmeldung verfasst, in großer Anerkennung für die Dienste in den Gemeinden und in der Diakonie. Wir sind zutiefst dankbar für Gottesdienste, Andachten, die Feiern des Heiligen Abendmahls, Tauf- und Trauergottesdienste. Neue Formen der Verkündigung, die Erprobungsräume, Taufen und Trauungen begrüßen wir. Wir freuen uns, wenn Kinder, Jugendliche und Familien ihren Lebensraum in der Kirchengemeinde finden. Es ist eine Freude, zu erleben, wie viele kirchenmusikalische Angebote einen großen Anklang finden, die in Trost und Zuversicht die Menschen durch schwere Zeiten tragen, wenn Mitarbeitende im Bereich der Bildung und Diakonie sich in geistlicher Hingabe ihren Aufgaben widmen. Nicht unerwähnt sollen die vielen kleinen Liebesdienste und das stille Gebet in der Kirchengemeinde vor Ort bleiben. Es gäbe noch Vieles zu erwähnen.
Wir haben in unserem Papier einige wichtige Positionsbeschreibungen zusammengefasst. Und möchten damit Mitarbeitende unserer Kirche ermutigen und stärken, damit die Freude in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen wachsen kann, weil unser Dienst eine Bedeutung hat, die weit über das hinausgeht, was wir oft sehen oder spüren können. Die Wortmeldung soll zugleich ein Nachdenken auslösen und Anregungen für vielfältige Gestaltungsvorschläge in den Gemeinden initiieren.
Unsere Vision für eine zukünftige Gemeinde ist eine kleine Gemeinde. Sie lebt Christusbezogen in einer kleinen und lebendigen Gemeinschaft. Mit Freude nimmt sie unterschiedliche Meinungen auf. Fundamentalistisches Denken schließt sie aus. Sie lebt als solidarische Gemeinschaft und schöpft ihre Kraft aus einem innerlichen Glauben. In ihrer milden Christlichkeit stellen die Glieder ihre „Füße auf weiten Raum.“ Psalm 31,9.
Wir sind uns bewusst, dass wir in einer Reihe vieler Wortmeldungen stehen. Unser Wort ist im Licht der Ewigkeit ein Baustein für zukünftige Gemeindearbeit.
Wir grüßen Sie mit dem Bibelwort Lukas 13,29: „Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“
Erfurt im Herbst Anno Domini 2025
Andreas Eras, Johannes Haak, Joachim Jaeger, Martin Möslein und Aribert Rothe
1. Einstieg
1.1. Zum Aufsatz von Dr. Bernd Moldenhauer
Der Autor des Papiers „Versinkende Lebenswelten [...]“, Bernd Moldenhauer, ist im Kern durch Karl Jaspers` Haltung zur Freiheit geprägt:
(1) Alltägliches Dasein
(2) Existenzielle Situation; Bindungen, denen wir als Sterbliche ausgeliefert sind
(3) Transzendenz, geistiger Horizont über unser Leben hinaus.
Die verfasste evangelische Kirche hat bei allen drei Akzenten eine Teilhabe.
Die evangelische Kirche ist unter Druck: Säkularisierung. Worauf kommt es jetzt an? In sechs Unterpunkten führt Moldenhauer folgendes aus:
zu (1) Veränderung des gesellschaftlichen Umfeldes – wozu braucht es noch Kirche?
zu (2) Sakrales und Profanes – Profanes wird in der Gegensätzlichkeit zum Sakralen gebraucht. Die existenzielle Interpretation der Bibel – der Mensch soll getroffen bleiben durch das Kerygma.
zu (3) Orientierung – Präsenz in Grenzsituationen. Für die Kirchenvertreter gilt, in Grenzsituationen Beistand zu leisten, ist der Grund ihres Daseins und ihrer Wirkung.
(4) Die Kirche als Glaubensgemeinschaft, Institution und Organisation.
(a) Die Glaubensgemeinschaft hat es schwer, sich in einer profanen Kultur zu vermitteln. (b) Die Institution verliert den Einfluss.
(c) Die Organisation braucht ein Verhältnis zu den Anpassungszwängen.
Alle drei Dinge bilden eine Einheit.
(5) Kirche als Organisation: Die Präsenz der Verkündigungsmitarbeitenden, die nötigen Anpassungs- Qualifizierungen und die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sind nur einige Aspekte des Abschnitts.
(6) Organisationsberatung in der Kirche: Anlässe sind zumeist Konflikte oder Beratung, Beobachtung und Reflexion des Handelns.
1.2. Biblische Bezüge
Bernd Moldenhauer hat bewusst in seinem Aufsatz den Weg für die biblischen Bezüge offengelassen. So reagieren wir auf die Überschrift seines Aufsatzes „Versinkende Lebenswelten [...]“ und antworten zunächst mit dem Bibelwort „Jesus und der versinkende Petrus auf dem See“, Matthäus 14, 22-33 (vgl. Markus 6,45-52). Hier wird ausgesagt: Der Glaube kann die Grenzen der physikalischen Gesetze überschreiten. Die Hand des Herrn hält Petrus. So gehen wir nicht unter, sondern sind Gehaltene im Herrn Jesus Christus.
Folgende Bibelstellen haben zur Grundlegung unserer Gedanken geführt:
Matthäus 13,33ff. – Das Gleichnis vom Sauerteig. Sauerteig bewirkt Gärung, eine „umgewandelte Wirkung des Evangeliums in der Welt.“ 2.Korinther 3,2ff. – Wir sind ein Brief Christi. „Gott schreibt uns seinen Willen ins Herz“, so ist die „Gemeinde Christi ein Brief“ (Leonhard Goppelt). Matthäus 5,13 – „Ihr seid das Salz der Erde.“ Matthäus 5,14 – „Ihr seid das Licht der Welt.“
Die Gemeinde im Namen von Jesus Christus ist darauf angelegt, dienend in der Welt und an der Welt zu wirken. „Die Salzkraft und die Leuchtkraft dürfen nicht verloren gehen.“ (Wilhelm Stählin) Unter dieser Verheißung steht die Rolle von Gemeinde und Kirche im gesellschaftlichen Umfeld. Wichtig ist eine lebendige Gottesbeziehung (Christusbeziehung) zu leben und ausstrahlend zu gestalten. Dazu gehört auch die vielfältige Einübung der Gemeindeglieder in die praxis pietatis: Beten, biblische Betrachtung und geistliche Begleitung.
2. Mutige Solidarität im Resonanzraum Kirche
2.0. Vorbemerkung und Hinführung
Unsere Selbstvergewisserung ist offen dafür, dass Gott auch heute handelt. Gerade eine Kirche der Schwachen benötigt mutige Schritte nach vorn. Dabei ist der Blick auf die Zusammengehörigkeit mit anderen Kirchen, Glaubensgemeinschaften und Religionen gerichtet. Auch lassen wir die Menschen nicht außer Acht, die Suchende und Fragende sind. Unsere Stimme soll hörbar sein. Wir schauen nicht nur zurück und nicht allein auf uns selbst. Unter größten Mühen und Anfechtungen haben die Apostel ihre Frohe Botschaft in die Welt gebracht (2.Korinther 11,24ff.). Wir haben eine einmalige, unverwechselbare Gute Nachricht der Welt zu sagen. Wir sind motiviert durch Gottes Gnade und Güte. Weil wir Gottes Kinder sind und seine Liebe uns umfängt, sind wir mit der Gabe, die wir haben, mutige Botschafter des Evangeliums. Wir geben den Menschen ein Ziel, das weit über den weltlichen Bereich hinausgeht. Durch unser solidarisches Engagement sind wir eine Antwort auf Gottes Sprechen. Wir übernehmen Verantwortung. „Am Grund meiner Existenz liegt nicht das schweigende, alte, einzige und gleichgültige Universum, sondern eine Antwortbeziehung.“ (Hartmut Rosa) Es ist ein „vertikales Resonanzversprechen“. In unserer Kirche ist diese Resonanz zu spüren und zu erfahren. Wir lieben sie, wir erleben sie. Das gibt uns unvergleichliche Hoffnung und Zuversicht für unsere Gemeinschaft und unser Leben. Von diesem Raum der Liebe, den uns Gott schenkt, wollen wir mutig und neu in der Welt erzählen - erkennbar in den alten Grundvollzügen leitourgia (Gottesdienst), martyria (Zeugnis), diakonia (Dienst), koinonia (Gemeinschaft durch Teilhabe) und paideia (Bildung).
2.1. Gottesdienst
Der Gottesdienst ist unverzichtbar für jeden Christenmenschen. Wir erleben Gemeinschaft, wir feiern die Nähe Gottes, wir loben Gottes Gnade und Liebe. Wir hören auf die Gute Nachricht von Jesus Christus und lassen uns die unvergleichliche Hoffnung zusprechen. In ausstrahlungsstarken Gottesdiensten ist die Christologie grundlegend. In der Predigt wird die Botschaft erkennbar, wenn wir den „Markenkern“ verkündigen. Wir fragen: „wie lebt ein Mensch, der vom Kreuz und der Auferstehung Jesu geprägt ist.“ (Notger Slenczka) So werden wir unverwechselbar. Das macht den Hörern Mut (Kristóf Bálint). Der Hörer wird ermutigt, der Auslegung aufmerksam zu folgen, weil die Predigt einen lebensvollen Bildungsauftrag hat. So wird das jeweils eigene Denken unterbrochen und ausgerichtet. In der Predigt redet der Verkündiger darüber, was er erkannt hat. (Dietrich Bonhoeffer) Es bleibt dabei, dass wir die Bibel predigen. Verkündigung ist nicht einfach nur Zeugnisrede. In der Predigt bekennen wir uns auch mutig zu Menschen, die benachteiligt sind. In der Verkündigung vermeiden wir jedoch nicht, über unseren Glauben und die Glaubenserfahrungen der christlichen Geschwister zu reden. Wir geben auf das Angesprochensein Gottes eine lebendige Antwort.
„Die Psalmen in Liedern zu veröffentlichen, [...] dass das Evangelium unter den Leuten bleibt.“ So hat Martin Luther vor 500 Jahren den Anstoß zum evangelischen Gesangbuch gegeben. Auf den ersten Seiten geht es Luther immer um das „reine Wort“. Luther meint damit, dass im Choral das Evangelium den Menschen berührt (Johannes Schilling). So gehört die Kirchenmusik mit ihren Chorälen und neuem Liedgut in die Mitte des Gottesdienstes und dient der Verkündigung. Sie erbaut die Gemeinde und die Diensttuenden. Darüber hinaus erreicht die Kirchenmusik als traditionelles Kulturgut viele Menschen auch außerhalb der Kirchenmitgliedschaft.
Die Verkündigungsmitarbeitenden leben in einer Lerngemeinschaft mit anderen Diensttuenden. Um Andachten und Gottesdienste regelmäßig feiern zu können, ist es notwendig, qualifizierte Lektoren und Prädikanten für den Dienst zu gewinnen. Eine angemessene materielle Entschädigung trägt zur Wertschätzung ihrer Aufgabe bei. Die geistlichen Impulse der qualifizierten Ehrenamtlichen und die eigenständige Verkündigung sind zu würdigen. Die Regionalbischöfe haben die Möglichkeit, geeignete Persönlichkeiten für den Verkündigungsdienst in einem Kolloquium zu bestellen.
Die qualifizierten Lektoren und Prädikanten sollten sich regelmäßig in einem Konvent unter Leitung eines hauptamtlichen Verkündigungsmitarbeitenden treffen. Zu wählen ist auch ein Stellvertreter.
Kirchenleitend sollten die Gemeinden stärker aufgefordert werden, konkrete Gestaltungsvorschläge der Erneuerung zu benennen und zu praktizieren.
Regelmäßige Andachtsfeiern werden durch geeignete Personen angeboten. Wird der klassische Gottesdienstablauf dem säkularisierten Menschen nahegebracht, und gehen wir innerhalb der Kirche achtsam mit Sprache um?
Nicht zu übersehen ist, wie durch glaubensstarke Geschwister der Nachbar- oder Partnergemeinden die Gemeinde einen zusätzlichen Gewinn hat. Ebenso sind kleinste Rituale ein beliebtes und gern gesehenes, lebendiges Zeugnis. Auch der säkularisierte Mensch von heute wird zum Beispiel bei einem Erntedankgottesdienst für die Kindergartengemeinde gern zusammen mit der Enkeltochter einen Blumenstrauß zum Altar bringen. Auch so kann Glaube in die Biografie eines anderen Menschen einwandern.
2.2. Seelsorge
Als „Muttersprache der Kirche“ (Petra Bosse-Huber) wird die Seelsorge bezeichnet. Dabei ist die Person des Seelsorgenden erkennbar und authentisch (Jürgen Ziemer). Seelsorger und Seelsorgerin nehmen ihr Gegenüber wahr (Zuwendung) und bringen die geistigen Schätze der Kirche ins Gespräch ein (Hoffnung). Zwei biblische Wurzeln kommen so zur Entfaltung: Im 2.Korinther 1,4 heißt es, er ist der „Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können mit dem Trost, mit dem wir selbst getröstet werden von Gott.“
Und in Römer 12,15 heißt es „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.“
Neben der klassischen Seelsorge in den Kirchengemeinden ergeben sich viele Handlungsfelder für die Seelsorge in der Gesellschaft und neue Formen bilden sich heraus, auch durch qualifizierte Ehrenamtliche gestaltet.
Analog zu den Spezialseelsorgebereichen sollte ein eigenständiges Arbeitsfeld für eine jeweilige Region geschaffen werden. Könnte eine Pfarrperson im Verkündigungsteam der Region die Funktionsstelle für Seelsorge einnehmen? (Friedrich Kramer)
Moderne Medien und weltweite Vernetzung ermöglichen künftig ein weiteres Handlungsfeld der Seelsorge: die Chat- oder Internetseelsorge (Erwachsenenkatechismus). Nur Mut – die jungen Verkündigungsmitarbeiter stellen sich gewiss dieser Herausforderung!
Ein neues Handlungsfeld erschließt sich auch in der Betreuung von interreligiösen Familien. Seelsorgende sind gehalten, die jeweilige religiöse Herkunft zu würdigen. Aus der gegenseitigen Achtung der Buchreligion darf die Form gemeinsamen Betens hervorgehen.
Der klassische Ort der Seelsorge ist das Gespräch. Der Seelsorger bringt den geistlichen Impuls ein, durch das Gebet, einen Bibelvers, ein Kirchenlied, eine Spruchkarte, die Salbung oder durch die Feier des Heiligen Abendmahls. So tritt Gott als der „ganz Andere“ in die Mitte der Gemeinschaft; hier ist ebenfalls ein mutiges Vorangehen des Seelsorgers gefragt, auch in der Begegnung mit Kirchenfernen. Menschen, die in extremen Situationen (Konflikten, Straftaten usw.) stehen, suchen den spirituellen Ort. Es ist in der Regel der Kirchenraum. Hier kann die Beichte mit Leben erfüllt werden. Nach dem Bekenntnis der Schuld wird die Last von dem Gewissen des Menschen genommen. Ihm wird Vergebung zugesprochen, und die Versöhnung zwischen Gott und ihm schafft neues Leben.
Der Seelsorger bildet sich regelmäßig weiter und nutzt das Instrument der Supervision. Unerlässlich ist für ihn die eigene geistliche Stärkung durch regelmäßige persönliche Andachten und die geistliche Stärkung in der Gemeinde. Dort findet sich ein unverwechselbares Potenzial an geistlicher Kraft.
Die Öffentlichkeitsarbeit der Landeskirche sollte regelmäßig in den Medien über die verschiedenen Bereiche der Seelsorge berichten. Dabei ist das vertrauliche Seelsorgegespräch mit Schweigepflicht des Seelsorgers besonders zu betonen.
Der Heilige Augustinus sagt: „Als ich die Verse im Römerbrief gelesen hatte, ergoss es sich wie ein Licht in mein Herz.“
2.3. Mission
Mission ist ein Wesenskern der Kirche. Ökumenismus ist eine gemeinsame Bewegung zu Christus hin. Dem entsprechen drei sich ergänzende Kirchenbilder:: „Kirche als Bewegung, Kirche als Unternehmen, Kirche als Institution“ (Tomáš Halik). Missionarische Aktivitäten müssen unterscheiden zwischen dem Zeitgeist und den echten Zeichen der Zeit. So ist für Tomáš Halik die Hauptaufgabe: „Kirche ist Evangelisation als Inkulturation.“ Dabei ist es wichtig, dass wir in unserem kleinen Bereich, in dem wir tätig sind, Milieuoffenheit praktizieren.
Wie ist der Seelsorgeauftrag von Verkündigungs-mitarbeitenden angesichts vieler Gemeinden zu gestalten? Auch Menschen, die nicht am Leben der Kerngemeinde teilnehmen, müssen an der Verantwortung beteiligt werden. Die berechtigte Frage „Was bekomme ich für meine Kirchensteuern?" verdient erlebbare Antworten.
Zu den Zukunftsaufgaben gehört ein positives Verhältnis der Kirche zur Lebenswelt der Wirtschaft, mit der sie eher „fremdelt", die jedoch in starkem Maße den Alltag bestimmt. Welche seelsorgerlichen Erwartungen und sozialethischen Entscheidungshilfen werden hier geweckt?
Im Blick auf die Friedensproblematik ist auch die Haltung zu den Brüdern und Schwestern in Uniform zu klären.
Ebenso bieten uns die diakonischen Einrichtungen in unserem Verantwortungsbereich im umfassenden Sinne eine mögliche Kommunikation des Evangeliums. In Diakonischen Einrichtungen müssen die Besucher schon beim Betreten der Einrichtung das christliche Profil erkennen. Solche Gespräche in einer diakonischen Einrichtung fördern das Gemeindeleben und bauen es mit auf. Dabei übersehen wir nicht, dass nicht nur aus uns selbst heraus eine Aktivität entsteht, sondern „wir haben den Auftrag, dorthin zu gehen, wo es weh tut“, z.B. in Diakonischen Einrichtungen, Seniorenheime / Justizvollzugsanstalten / Stadtmission / Gemeindediakonie und Diskussionsforen (Kristóf Bálint).
2.4. Bildung
„Der Auftrag der evangelischen Kirche gilt vor allem der Gewissensbildung in der persönlichen Verantwortung des Menschen vor Gott. Wichtige evangelische Leitmotive sind Barmherzigkeit und Vergebung, Dialog und Offenheit, Mündigkeit und kritisches Urteilsvermögen sowie Frieden, Bewahrung der Schöpfung und Geschlechtergerechtigkeit. Kirche bildet.“ Wenn Kirche von Bildung spricht, so heißt das, dass die Verantwortungsträger in der Gemeindearbeit immer wieder herausgefordert sind, „ihre Veranstaltungsangebote auf Zielgruppen unterschiedlicher Sozialmilieus“ von Heranwachsenden und Erwachsenen auszurichten. (EKM – Bildungssynode 2006).
Dazu gehören verbindliche Angebote (z.B. wöchentliche Andachten).
Die evangelischen Schulen gehen einen solidarischen Weg. Das heißt: „Lernen fürs Leben mit Praktika und Kontakten zu Mitchristen“ und einen „Zweiklang an den Stiftungsschulen: Fundierte Bildung genießen und christliche Werte erfahren“ (s. Wegmarken). Je konsequenter die Gemeinde den aufgezeigten Weg geht, desto stärker wird die Bildung den einzelnen Christen erreichen. So kann dieser mutig und zuversichtlich vom christlichen Glauben in all seinen Facetten erzählen. Das schließt ein, dass die seelische Begabung sich in der Gemeindearbeit oft spontan zeigt und zu Wort meldet. Für alle Zuhörer ist das eine Freude und ein Zugewinn. Kirchengemeinden sollten auch musischen Initiativen eine Heimat geben und Raum schaffen, in dem sich Menschen mit unterschiedlichen politischen Meinungen treffen.
2.5. Konzeption
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass nur ein Gleichklang einer beschlossenen Konzeption für die jeweilige Region sowie ein beschlossener Brutto-Netto-Stellenplan zu einer verlässlichen Arbeitsgrundlage führen. Unterstützend wirkt sich aus, wenn die Beschlusslage eine zehnjährige Gültigkeit hat. Bei der Konzeptionsentwicklung werden die Vertreter der Kirchengemeinden und die Verantwortlichen für aktive kirchliche Handlungsfelder gehört. Es wird eine Regionalstelle für Verwaltung und Organisation in der Region eingerichtet. Für die Stelle wird eine konkrete Stellenbeschreibung erarbeitet und eine entsprechende Eingruppierung vorgenommen (Fachhochschulabschluss).
Die jeweilige Kirchengemeinde oder die Gemeinden, die in der Region zu einem Pfarrsprengel gehören, sind gut beraten, wenn sie in ihrer Konzeptionsentscheidung Prioritäten setzen – entweder bei der aktiven Minderheit oder bei Kirchenfernen (Franz Pöggeler: aktive Minderheit – passive Mehrheit). Konzeptionelle Gemeindearbeit treibt die Entwicklung voran im Sinne von Konzentration institutioneller Besinnung. Bei der Realisierung einer Gemeindekonzeption sind alle Haupt - und Ehrenamtlichen gehalten, der beschlossenen Konzeption zu folgen, d.h. Zusammenarbeit in der Region aller Haupt- und Ehrenamtlichen. Die Menschen in der Region spüren die gelingende Zusammenarbeit. Sie werden es dankbar quittieren. Andere Nebensachen im Pfarramt, z.B. Bauaufgaben, dürfen nicht zur Hauptsache werden. Wenn die Gemeinden in einer ländlich geprägten Region sich etwa in ihrer Konzeption für einen Schwerpunkt, z.B. Öffentlichkeitsarbeit, entschieden haben, so sollen die Vertreter der Gemeinden bei ihrem Auftritt in der Öffentlichkeit ihre Rolle, ihre Position und ihre Funktion beachten. Es ist hilfreich, weniger von der eigenen Person zu reden und vielmehr von der Botschaft und dem betreffenden Anlass. Die Handlungsfelder Diakonie und Sonderseelsorge sind besonders geeignet, die Gute Nachricht in die Welt zu sagen. So versteht sich Diakonie als „Wir sind Kirche.“
2.6. Institution
Die Kirche ist ein einzigartiges Gebilde. Die Kirche stellt sich dieser Welt nicht gleich, doch sie ist ein Teil der Gesellschaft. Kirche will Lebensorientierung für die Menschen geben. Sie nimmt Anteil an den Spannungen dieser Welt: als Institution, als corpus permixtum und als Bewegung im trinitarischen Verständnis der Verkündigung. Wenn auch die Kirche sich in einer Art Übergangssituation befindet – Frage der Ablösung der Staatsleistungen, Kritik am Kirchensteuersystem, Mitgliederschwund etc. – bleibt sie unverzichtbar für die Gesellschaft, indem sie wohltuend lebensorientiert eine religiöse Orientierung gibt, wie es keine andere Institution bieten kann.
In der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung ist die Kirche mithin ein unverwechselbares Teilsystem (Gemeinde / Institution / Gesellschaft). Unsere Kirche versteht sich als eine Kirche unierter und lutherischer Prägung. Sie trägt die Erfahrung als Lerngemeinschaft in sich und setzt bewusst Prioritäten im kirchlichen Dienst. Kirche ist mehr als eine Ansammlung von Gemeinden. Sie strebt nach einer Milieuerweiterung und knüpft daran ihren Bildungsauftrag. Die Institution besinnt sich nicht nur auf sich selbst. Sie findet den Weg nach außen. So ist sie Kirche im Landkreis, in der Stadt und in der Region. Sie hat eine öffentliche Aufgabe, Kultur innerhalb und außerhalb der Kirche zu fördern. Die Kirche wird getragen von einem synodal - geschwisterlichen Prinzip und lebt von einer mündigen Partizipation, auch von Nichtmitgliedern. Kirche bleibt als Institution unverzichtbar.
2.7. Religion
Wir Religiösen müssen zusammenhalten. Die Ökumene ist nicht nur die Sichtweise auf den extremen Schrumpfungsprozess der beiden Kirchen. Sie treibt vielmehr das „Kümmern um die Vielen“.
Streitigkeiten auf Kosten anderer Religionen und Konfessionen schaden der Glaubwürdigkeit. Wir stärken die Ökumene und die Zusammenarbeit mit anderen Religionen, indem wir vertrauensvoll aufeinander zugehen, auch die freikirchlichen Gemeinden sind einzubeziehen. Die Römisch-katholische Kirche und evangelische Kirchen arbeiten in versöhnter Verschiedenheit zusammen. Sie übernehmen gemeinsame Aufgaben vor Ort und sind gehalten Doppelungen abzubauen, z.B. Krankenhaus-, Gefängnisseelsorge. Wir fördern und unterstützen „neue Formen ökumenischer Gemeindearbeit“ (epd Ökumenischer Gottesdienst).
Um dies zu erreichen, ist es notwendig, den Blick nach rechts und links zu anderen Religionen und Glaubensgemeinschaften zu wenden.
Respekt wird bei einem interreligiösen Dialog der jeweiligen Glaubensentscheidung entgegengebracht. Das eigene christliche Profil wird nicht unter den Scheffel gestellt. So bleibt die Anrede in einem christlichen Gebet eine christliche Anrede, um in Klarheit den christlichen Glauben, im Vielklang versöhnter Verschiedenheit der Kirchen/Religionen das Eigene zu vertreten. In ausgewogener Weise sind Ehrenamtliche bei den interreligiösen Gesprächsrunden vertreten. Hilfreich ist die intensive Beschäftigung mit den Arbeitshilfen für die Gestaltung interreligiöser Feiern, wenn z.B. Christen und Muslime anlässlich einer standesamtlichen Hochzeit eine religiöse Feier ausrichten. Dabei wird empfohlen, die Details der Vorbereitung der Feier keinesfalls zu vernachlässigen. Zum Beispiel: genauer Ablauf der Feier, Festlegung der Teile der Verkündigung, Urkunde, Siegel, Kirchenbucheintragung, Meldung der religiösen Feier usw..
2.8. Demokratie
Der Austausch und die Fürbitte für politisch Verantwortliche gehört zu den ständigen Aufgaben der Kirche. Das hört dort auf, wo aus einer finsteren völkischen Gesinnung heraus argumentiert wird und andere Menschen benachteiligt werden. Alle Menschen besitzen eine unverfügbare Würde. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen ist dafür die biblische Grundlage. Wir halten mit Hartmut Rosa fest: „Demokratie braucht Religion“. Das zu leben und zu gestalten, ist Aufgabe aller kirchlichen Mitarbeitenden. Bei dem Gegeneinander der extremen politischen Positionen sollte die Kirche Angebot für eine gelingende Kommunikation unterbreiten. Wenn sich jemand antisemitisch, demokratieverachtend oder rassistisch verhält, ist Auseinandersetzung geboten. Hier ist kirchenleitendes Handeln erforderlich.
Die Katholische Deutsche Bischofskonferenz hat das in überzeugender Weise getan. In der Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ ist deutlich auf die Sorge hingewiesen, dass sich Hass verstärkt und eine Ideologie des völkischen Nationalismus die Grundlagen unserer Gesellschaft zerstört.
2.9. Europa
Identität und Glaube sind in der europäischen Geschichte miteinander verbunden. Es sind die „historisch gewachsenen Ortschaften mit ihren geschichtsträchtigen Gebäuden, Straßenführungen und alten Kulturlandschaften, die in Europa wichtig sind, und in zweiter Linie […] die Fähigkeiten und zivilgesellschaftlichen Instrumentarien, Streit friedlich auszutragen, Freiheitsrechte zu bewahren und soziale Gerechtigkeit ernst zu nehmen. Diese Mischung hat es in sich: Bibel und Antike, römisches Recht und christliche Weltreligion, Germanisches und Jüdisches, Humanismus und Rationalismus, Aufklärung und demokratische Gewaltenteilung, persönliches Gewissen und Gemeinsinn.“ (Aribert Rothe)
Europa ist geprägt in seinen Städten und Dörfern durch repräsentative Kirchengebäude. Hybride Nutzungen sind zu ermöglichen. Kirchen sind Orte der Orientierung in mehrfacher Hinsicht. „Was wäre Europa ohne seine schönen Gotteshäuser? Sie verkörpern buchstäblich die Hoffnung auf eine andere Welt in vielfältiger Weise: Sie sind öffentliche Räume der Kunst, und überliefern wertvolle Geschichten der Vergewisserung, Impulse der Veränderung, Symbole der Ermutigung und Melodien der Transzendenz […] In einer umtriebigen Gesellschaft vermögen sie die passiven Tugenden der Menschen zu stärken.“
Als Zeichen ihrer Hoffnung hören Menschen das Wort: Durch deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. (Genesis 12,3).
Was geschieht gerade in Europa? Sichtet und prüft Gott sein Volk durch neue, ungewohnte Gefährdungen – Pandemie, mit der kaum jemand gerechnet hatte, Klimakrise, die niemand in den Griff zu bekommen scheint, Energiekrise, plötzliche Kriege in Europa und im Nahen Osten mit ihren Auswirkungen auf Europa? Dazu Menschen, die in großer Einsamkeit und Verlassenheit leben. Die Menschen hatten sich daran gewöhnt, dass alles fast wie von allein selbstverständlich weitergeht wie bisher. Das Sichten und Prüfen Gottes bedeutet nicht, dass Gott diese Krisen und Kriege will. Sie sind von Menschen gemacht: indem zum Beispiel die bisherigen Grundlagen des Zusammenlebens in Frage gestellt werden; wie auch die natürlichen, technischen, politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und mentalen Entwicklungen, die Perspektiven künstlicher Intelligenz und anderes. In dieser Weise hat es das noch nie gegeben. Wie sichtet und prüft Gott sein Volk?
Es geht in aller Kreuzverlassenheit (Heinz Schürmann) darum, dass die Angehörigen des Volkes Gottes der Welt vorleben sollen, wie man als Gesegnete Gottes in der Gemeinschaft leben kann. Dann kann von ihnen Segen ausgehen für alle Geschlechter auf Erden als Zeichen seiner Hoffnung für diese Welt.
3. Schlussakzent
Jeder gute Vorschlag hat seine eigene Nachhaltigkeit. Über allem steht die Liebe als die tiefste, reichste und schönste Ausformung der christlichen Botschaft.
„Mein Auftrag ist, im Herzen der Kirche Liebe zu sein.“ Schwester Thérèsa von Lisieux
4. Literatur
• Bálint, Kristóf, „Die Kirchenmitgliedschafts-untersuchung VI und ihre (Schluss)Folg(erung)en" Referat zum Mitarbeitendenkonvent, Barnim, 10.01.2024
• Boehm, Omri, „Die Würde der Menschheit", Literaturfest in München, 16.11.2023
• EKD: „Hinaus ins Weite –Kirche auf gutem Grund – zwölf Leitsätze zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche", 7. Tagung der 12. Synode der EKD, 8.und 9.11.2020
• EPD: Ökumenischer Gottesdienst in der katholischen Kirche Herz Jesu in Berlin zum Auftakt des Ökumenischen Kirchentages 2021 im Februar 2020
• Friedenthal-Haase, Martha, „Die Wenigen und die Vielen. Zu Orientierungsfragen der politischen Erwachsenenbildung in der Demokratie" in: Bildung und Erziehung, 60 (2007) 2, Seite 209 – 226
• Halik, Tomáš, „Ein Leib, Ein Geist, eine Hoffnung“, Hauptreferat auf der 13. LWB-Vollversammlung, Krakau, 14.09. 2023
• Moldenhauer, Bernd, „Versinkende Lebenswelten. Über die gegenwärtige Situation der protestantischen Kirche –Überlegungen zur Beratung des Kirchenkreises Erfurt und Vorlage zur Diskussion des Papiers", 13.06. 2023 in Erfurt ()
• Pöggeler, Franz, „Bildungsunion im vereinten Deutschland. Perspektiven einer grundlegenden Reform" (Studien zur Pädagogik, Andragogik und Gerontogogik, Bd. 13), Frankfurt a. M. u.a. 1992
• Rosa, Hartmut, „Demokratie braucht Religion", 10. Auflage, München, 2023
• Rothe, Aribert, „Stichworte der Herausforderung", aus: Arbeitstexte der Initiative SALZWERK (unveröffentlicht). Der interreligiöse Impuls folgt dem Ansatz des Interreligiösen Gesprächskreises Thüringen.
• Rothe, Aribert, „Unterwegs nach Europa – Perspektiven evangelischer Kirchen"; in: Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE), Forum Erwachsenenbildung, Nr. 4/2011, Frankfurt a. M. 2011
• Schilling, Johannes, „Singt dem Herrn ein neues Lied: 500 Jahre evangelisches Gesangbuch", Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig, 2024
• EKD, „Wie hältst du's mit der Kirche? Zur Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft", erste Ergebnisse der 6. Kirchenmitglied-schaftsuntersuchung, Leipzig 2023
• Evangelische Schulstiftung in Mitteldeutschland St. Johannes, „Wegmarken" Beilage - Glaube und Heimat Nr. 22. vom 2. Juni 2024, besonders die Seite 2, Artikel: "Vielfältige Kompetenzen lernen fürs Leben mit Praktika und Kontakten zu Mitchristen" von Christina Eberhardt
• Winkler, Eberhard, "Diakonie als Leitmotiv der praktischen Theologie", Vortrag am 30.11.2023 in der Universität Halle
• Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz vom 22.02.2024 „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“, Erklärung der deutschen (katholischen) Bischöfe
5. Autoren
Andreas Eras (*1951)
1973-1978 Theologiestudium, 1982-2012 Pfarrer der Andreasgemeinde in Erfurt, 1983-2012 Senior im Evangelischen Kirchenkreis Erfurt, 2014 Ruhestand
Johannes Haak (*1958) Theologiestudium in Jena, Pfarrer in Wickerstedt (1986-1993), Wünschendorf (1993-2000), Geschäftsführer der Ökumenischen Akademie Gera (1999-2000), Pfarrer in Erfurt (2000-2014), Superintendent im Kirchenkreis Hildburghausen-Eisfeld (2014-2021); https://www.meine-kirchenzeitung.de/erfurt/profile-769/johannes-haak
Joachim Jaeger (*1935)
Schlosserlehre in Aue/Sa. Ingenieurstudium in Karl-Marx-Stadt, Theologiestudium in Naumburg und Ost-Berlin, 1. Pfarrstelle in Wiederstedt (1967-1973), Studentenpfarrer in Halle/S. (1973-1977), Superintendent in Nordhausen (1977-1986). Propst der Propstei Südharz bzw. der vereinigten Propstei Erfurt-Nordhausen (1986-2000)
Martin Möslein (*1956)
Theologiestudium in Jena, Pfarrer in Friedrichswerth (1982-1990), Gotha (1990-2005), Florenz (2005-2014) Altenseelsorger in Erfurt (2014-2020)
Dr. Aribert Rothe (*1952)
Theologiestudium in Leipzig, Pfarrer in Leipzig (1978-1984), Jugendpfarrer in Erfurt (1984-1992), Ev. Stadtakademie (EEBT) und Hochschulpfarrer in Erfurt (1993-2012), teils wiss. Mitarbeiter FSU Jena; www.rothe-bildung-und-beratung.de
Erfurt, Dezember A.D. 2025
ISBN 978-3-00-085316-6
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.