Gute Frage
Spritze für den »Nothfahl«

Ein Fest, das Zeit hat: Während noch vor einigen Hundert Jahren Ungeborene notgetauft wurden, ist die Taufe heute ein Sakrament, das Kinder jeden Alters empfangen können. Manchmal dürfen beim Taufgottesdienst auch die älteren Geschwister assistieren. | Foto: Foto: epd-bild/Norbert Neetz
  • Ein Fest, das Zeit hat: Während noch vor einigen Hundert Jahren Ungeborene notgetauft wurden, ist die Taufe heute ein Sakrament, das Kinder jeden Alters empfangen können. Manchmal dürfen beim Taufgottesdienst auch die älteren Geschwister assistieren.
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 In katholischen Kirchen waren Taufbecken einst mit geweihtem Wasser gefüllt, das nur einmal im Jahr erneuert wurde. In der lutherischen Kirche wird die Taufschale aus einer Kanne jeweils neu gefüllt mit »lebendigem Wasser«. Aber warum gehörte früher eine große Wasserspritze in jeden Hebammenkoffer?

Von Marion Ruisinger

Zur Ausrüstung einer Hebamme gehörte bis in das 19. Jahrhundert eine Taufspritze für die Nottaufe. Der »Stadt- und Landphysikus« Johann Baptist Obermayer empfiehlt in seinem 1791 erschienenen Lehrbuch der Entbindungskunst den Hebammen, sich dafür einer »mit klarem und laulichtem Wasser angefüllten Wasserspritze zu bedienen, an welcher das Rohr wohl stumpf-rund und lang genug seyn muß, um das Wasser bis an das Kind bringen zu können«.
Die Nottaufe wurde von den Hebammen »bei dringender Lebensgefahr« auch am noch nicht geborenen Kind vorgenommen. Wenn das Ungeborene für die taufenden Hände der Hebamme noch nicht sicher erreichbar war, griff diese zur Taufspritze. Deren Handhabung beschreibt Obermayer wie folgt: »Alsdann steckt sie die linke Hand, dessen Oberfläche mit Oel oder Fett bestreichen seyn muß, in die Mutterscheide, biß daß sie den Teil des Kindes gefunden hat; neben der Hand stecket sie die Wasserspritze bis zu diesem Theil hinein; drükt den Stempel, und das Wasser ergießt sich über das Kind; zu gleicher Zeit aber spricht sie diese Worte aus: Wenn du lebest, so taufe ich dich im Namen Gott des Vaters«.
Die Frage, was für ein Wasser man zur Taufe nehmen solle, beantwortet Obermayer ganz im Sinn des aufgeklärten Arztes: Es sei nicht notwendig, dass das Wasser geweiht sei, es soll aber »recht reinlich« und gut temperiert sein. In den zeitgenössischen Hebammenordnungen wird betont, dass eine Nottaufe mit Bier oder Wein vor Gott keine Gültigkeit habe. Vermutlich war in manchen Gebärstuben ein stärkender Trunk rascher zur Hand als reines Wasser.
Doch nicht nur die richtige Handhabung von Taufspritze und Taufwasser war wichtig, auch die dabei zu sprechende Taufformel musste von der Hebamme korrekt beherrscht werden. Deshalb gehörte zur Einstellung einer Stadthebamme nicht nur deren fachliche Prüfung durch die Stadtärzte, sondern auch ihre Examinierung durch den Pfarrer. Im Stadtarchiv Ingolstadt hat sich die Bescheinigung einer solchen Taufprüfung erhalten: Am 3. April 1749 bestätigte darin der katholische Stadtpfarrer der Hebamme Anna Püschler, dass diese »über die weise, und manier, wie bey sich anbegebenten Nothfahl das heylige Sacrament des Tauffs denen under ihrer Handt zur Geburth bekommenten Künderen zu ertheillen seyen mechte« hinlänglich unterrichtet sei. Zur Auffrischung des Unterrichts wolle sie sich bitte alle drei Monate beim Pfarrer melden.
Die große Bedeutung der Nottaufe erklärt sich aus dem damaligen Glauben, dass infolge des Sündenfalls jeder Mensch bei seiner Geburt mit der Erbsünde belastet sei und nur durch die Taufe davon reingewaschen werden kann. In der Frage der Nottaufe, die von jedem Christen vorgenommen werden kann, blieb Martin Luther übrigens ganz beim alten Glauben, während die Reformierten seit Jean Calvin die Nottaufe ablehnten. Ungetauft verstorbene Kinder, glaubte man seit dem Mittelalter, kamen zwar nicht in die Hölle, aber auch nicht in den Himmel. Auf sie wartete eine Art Randbereich des Jenseits, der »Limbus puerorum«, wo sie in Finsternis verharren und der beseligenden Gottesschau beraubt sein würden. Für den Fall, dass die Hebamme die Nottaufe nicht rechtzeitig durchführen konnte, gab es mancherorts noch einen allerletzten Ausweg – etwa in Oberbüren im Kanton Bern: Das hier verehrte Gnadenbild der Mutter Gottes stand in dem Ruf, tot geborene Kinder ins Leben zurückzuholen. Nicht auf Dauer, aber lange genug, um die Taufe vorzunehmen.
Erst 2007 erklärte Papst Benedikt XVI. den Gedanken der Vorhölle für ungetaufte tote Kinder für theologisch überholt und als »unzulässig eingeschränkte Sicht der Erlösung«.

Die Autorin ist Professorin für Medizingeschichte und Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt.

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Online-Redaktion

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