Familie
Krise statt Babyglück

Mehr als süß: Babys sind auch mal anstrengend. Fühlen sich Eltern oft überfordert, dürfen sie sich Hilfe holen.  | Foto: Foto: epd-bild/Detlef Heese
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Felicitas ist neun Wochen alt, sie schreit viel und schläft wenig. Die Eltern sind am Ende ihrer Kräfte. Sie fühlen sich hilflos und überfordert.

Von Evelyn Sander

«Bei Problemen denken viele Eltern gleich, dass sie keine gute Mutter oder kein guter Vater sind», sagt Susanne Hommel, als sie den Fall von Felicitas und ihren Eltern schildert. Hommel bietet in ihrer «BabySprechstunde Hamburg» psychotherapeutische Hilfe für Eltern mit Babys und Kleinkindern an.

Die Nachfrage sei groß: «Die psychosozialen Belastungen sind angesichts einer zunehmend unsicheren Welt, finanzieller Sorgen, Isolation und der herausfordernden Balance zwischen Beruf und Kinderbetreuung deutlich gestiegen.» Auch durch den Personalmangel in den Krankenhäusern habe sich die Situation massiv zugespitzt. «Immer mehr Frauen erleben die Geburt ihres Kindes als traumatisch», hat die Psychotherapeutin beobachtet. Wenn die Entbindung komplizierter verläuft oder ein Notfall-Kaiserschnitt nötig ist, sei für Erklärungen oft keine Zeit. Oft werde das Erlebte lange nicht verarbeitet.

Hommel: «All diese Erfahrungen können potenziell zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen.» Neben psychischen Symptomen wie Gereiztheit sind auch körperliche Reaktionen wie Schlafstörungen, Herzrasen, Erschöpfung, Magenschmerzen und erhöhter Blutdruck möglich. Die fehlende Freude über das Baby belaste die Frauen zusätzlich.

Oft übertrage sich die psychische Krise der Eltern rund um die Geburt auf das Kind. «Die Neugeborenen sind dann oft unruhiger und schreien viel, was die junge Familie noch mehr belastet», sagt die Psychotherapeutin.

Laut dem Selbsthilfeverein «Schatten & Licht» sind in der Zeit nach der Geburt zehn bis 25 Prozent aller Mütter und zunehmend viele Väter von Stimmungstiefs («Baby-Blues»), Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen oder Psychosen betroffen. Schnelle, niedrigschwellige Hilfe und psychiatrische Behandlungen wären angesagt. Doch die Wartelisten für entsprechende Therapieplätze sind lang. «Aktuell werden auch noch Angebote für die psychische Gesundheit von Babys und ihren Eltern eingespart», kritisiert Hommel.

«Dazu kommt, dass die Gesellschaft die Probleme, vor allem junger Mütter, nicht ernst nimmt», urteilt die Therapeutin. Sie sollen doch einfach glücklich sein, andere Mütter schafften das auch – so sei die vorherrschende Haltung. Das Bild der Mutter werde idealisiert und eine Erwartungshaltung von einer perfekten Mutter vermittelt, die niemand erfüllen könne. «Das ist wirklich absurd», sagt Hommel. Babys bräuchten keine perfekte, sondern nur eine ausreichend gute Mutter.

Diese Tendenz beobachtet auch Carola Bindt, stellvertretende Klinikdirektorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf. Viele Frauen sähen Kinder heute «als Krönung ihrer Karriere». Alles müsse perfekt sein. «Je idealer die Vorstellungen, desto größer ist die Angst der Mütter, etwas falsch zu machen», sagt die Fachärztin. Sie wünscht sich, dass Hebammen bei Hausbesuchen über postnatale Depressionen aufklärten.

Hilfe finden belastete Mütter und Väter etwa bei Schreibaby-Ambulanzen in vielen deutschen Städten, beim bundesweit tätigen Selbsthilfeverein «Schatten & Licht» sowie beim Sozialunternehmen für Familien «Wellcome». Allein 2022 haben ehrenamtliche Betreuer von «Wellcome» nach eigenen Angaben bundesweit fast 70 000 Stunden in Familien geholfen, rund 17 000 mehr als 2021.

Ziel der Unterstützungsprojekte ist es, die elterliche Intuition im Umgang mit dem Kind wieder zu stärken und ihnen zu helfen, sich vom Perfektionismus zu lösen und Baby-Auszeiten zuzulassen. Niemand könne jederzeit dem Kind gerecht werden. «Es nimmt auch keinen Schaden, wenn Mütter mal ausgehen», sagt Fachärztin Bindt. Sie appelliert an junge Mütter, sich bei Zweifeln oder Überforderungsgefühlen schneller professionelle Hilfe zu holen. Je früher Probleme angegangen würden, desto besser. Bindt: «Es ist völlig normal, dass ich nicht immer glücklich und verliebt in mein Kind bin.» Babys nerven auch mal. «Deshalb bin ich keine kranke Mutter.»

(epd)

Autor:

Online-Redaktion

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