Ausstellung über Kindertransporte
I said, Auf Wiedersehen

 Ilse Majer | Foto: The Wiener Holocaust Library Collections
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Von Clara Engelien (KNA)

Ein Koffer, eine Handtasche und zehn Reichsmark: Mehr durften die zumeist jüdischen Kinder nicht mitnehmen auf ihre große Reise ins unbekannte England. Nach den Novemberpogromen 1938 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 wurden etwa 10.000 von ihnen in einer spektakulären Aktion nach Großbritannien transportiert, um vor den Nazis gerettet zu werden. Ihre Eltern und Familien blieben zurück - und wurden in vielen Fällen in Konzentrationslagern umgebracht.

Eine ab Mittwoch öffentlich zugängliche Ausstellung in der Lobby des Paul-Löbe-Hauses des Bundestags erzählt beispielhaft von den Schicksalen fünf verschiedener Familien. Ausgewählte Briefe, Postkarten, Fotos und Reisedokumente auf großen Tafeln vermitteln einen Eindruck von den Erlebnissen der Kinder und Eltern; von ihrem Trennungsschmerz, dem Ankommen der Kinder im neuen Land, der Sehnsucht ihrer Eltern, ihren Sorgen ums Überleben oder der Entfremdung ihrer Kinder.

Da ist etwa die Berliner Familie Brann. "Wenn es noch so schwer im Leben, denke daran, dass nur Hoffen und Glauben die Menschheit und jeden Einzelnen vorwärts bringt, und dass auch Dir bis jetzt immer schließlich die Sonne des Glückes geleuchtet, und Du nun in eine neue Heimat kommst", lautet einer von zehn Leitsätzen, die in schwarzen Lettern auf weißem Untergrund auf der ersten großen Tafel prangen.

Vater Ferdinand notierte sie seiner Tochter Ursula, die 1939 mit dem Kindertransport nach England kam. Die Worte zeugen bereits von der Befürchtung, seine Tochter niemals wiederzusehen. Er, Ursulas Mutter und ihre Schwester blieben bis 1943 in Berlin und wurden schließlich deportiert und in Auschwitz ermordet. Ursula Brann, später Gilbert, blieb bis zu ihrem Tod 2015 in London.

"Jeder liest diese zehn Leitsätze mit eigenem Blick", erklärt die Kuratorin der Ausstellung, Ruth Ur. In jedem der zehn Sätze steckten Emotionen, Gedanken, universelle Werte. Die gebürtige Londonerin ist seit Sommer 2019 Direktorin der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem für die deutschsprachigen Länder sowie Geschäftsführerin des in Berlin ansässigen Freundeskreises Yad Vashem. Als Mutter dreier Kinder könne sie sich in die Erlebnisse der entzweiten Familien einfühlen. "Die Erleichterung war riesig, das eigene Kind in Sicherheit zu wissen, aber die Sehnsucht war ein Alptraum", so Ur.

Die zehn Leitsätze sollten nicht nur die Ausstellung öffnen, sondern auch die Herzen der Besucherinnen und Besucher. Die Lobby eines hektischen politischen Hauses - kein leichter Ort für die Vermittlung von Geschichten. "Wie kann man hier die Aufmerksamkeit der Leute erwecken?", habe sie sich gefragt. Die Idee: Man stehe in einem "Wald mit komischen Sätzen", wenn man auf die Vorderseiten der Tafeln blicke. Auf der Rückseite finden sich dann: Bilder in schwarz-weiß, ein Originalbrief, ein QR-Code, der zu Zeitzeugen-Interviews führt. Berührende Familiengeschichten.

Auf der zweiten Tafel steht: "Falls du lange keine Nachricht bekommen solltest, brauchst Du Dich nicht zu ängstigen." Es ist ein Zitat aus einem der Briefe Ferdinand Branns an seine Tochter - der Versuch des Vaters, seinem Kind inmitten größter Unsicherheit ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Ursula Gilbert bewahrte in Kisten jeden einzelnen der Briefe auf, die ihre Eltern, ihre Schwester und ihre Freunde ihr aus Deutschland geschrieben hatten, und vermachte diese ihren Söhnen. Sie gelten als die größte Sammlung an Briefen in Verbindung mit den Kindertransporten.

Zur Eröffnung der Ausstellung sind auch zwei Zeitzeugen extra aus England angereist: Die 94-jährige, in Wien geborene Hella Pick und der 91-jährige, in Prag geborene Lord Alfred Dubs. Als jüdische Kinder sind sie selbst nach England transportiert worden. Pick war später renommierte Journalistin für BBC und "Guardian", Dubs saß als Politiker für die Labour Party im britischen Parlament.

Die beiden zeigen sich tief bewegt; die Ausstellung hole eigene Erinnerungen hoch. "In gewisser Weise leben wir von diesen Erinnerungen", sagt Pick. Sie hat sie in ihrer Autobiografie "Unsichtbare Mauern" festgehalten. Auf die Frage der Kuratorin, wie die Kindertransporte sein Leben geprägt haben, erzählt Lord Dubs, er habe immer eine Nähe zu Geflüchteten etwa aus Syrien oder Afghanistan empfunden. Und sich deshalb politisch für sie einsetzen wollen. "Es ist schmerzhaft, was sie durchmachen müssen. Wir müssen verstehen, was sie durchlebt haben, statt ihnen mit Feindseligkeit zu begegnen."

Pick und Dubs betonen ihren Wunsch, die Ausstellung möge an möglichst vielen Orten gezeigt werden und insbesondere Kinder erreichen. Das wird sich zumindest in Berlin erfüllen: Begleitend zur Ausstellung hat die Organisation für Kunstvermittlung Ephra ein intensives pädagogisches Programm geplant. Dabei suchen sich heutige Schüler jeweils ein Kind aus den Kindertransporten aus, erzählen ihren Mitschülern davon und malen es.

Autor:

Katja Schmidtke

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