Der springende Hirsch im göttlichen Dreieck
Über Mythos, Trinität und das Haupt

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Ein einfaches Verkehrszeichen an unseren Straßen – rot umrandet, auf seiner festen Basis ruhend – zeigt uns einen springenden Hirsch. Viele fahren daran vorbei. Aber der geistlich Sehende verharrt innerlich, schaut, fragt – und beginnt zu hören, was das Zeichen sagt.
Denn dieses Zeichen ist mehr als ein verkehrsrechtlicher Hinweis. Es ist eigentlich auch ein mythisch-dogmatisches Mosaik, das in sich das animalische Symbol der Naturvölker verbindet mit der metaphysischen Ordnung der christlichen Trinitätslehre, ja geradezu verheiratet – auf eine Weise, die uns mahnt, das ursprünglich „heidnisch-animalische“ nicht zu verachten, sondern es – wie der Heilige Paulus auf dem Areopag – in die Fülle der Wahrheit zu führen und dort auszuwildern zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.
I. Das Dreieck – die göttliche Ordnung
Das Dreieck ist ein uraltes Symbol, und im Christentum wird es zur Gestalt des Göttlichen selbst erhoben. Drei Seiten – und ein Wesen. Drei Personen – als ein Gott. Das Dreieck ruht auf seiner Basis, weil die Trinität keine spekulative Konstruktion ist, sondern eine Ordnung, die tatsächlich alles tragen kann. Der Vater ist Ursprung, der Sohn ist der durch ihn einzigartig Hervorgegangene und der Geist ist das Band großen Wohlgefallens zwischen beiden. Die beiden aufstrebenden Linien führen zu ihm als Scheitelpunkt. Das Dreieck balanciert nicht unsicher auf der Spitze, sondern ist fest. In sich bergend einen Raum für ewige Bewegung, ein Ineinander von Ursprung, Wort und Hauch.
Das Zeichen ist rot umrandet – Warnung und Grenze. Es sagt: Bis hierher und nicht weiter, nicht aus Willkür, sondern aus Achtung vor dem Heiligen. Denn was sich in diesem Zeichen vollzieht, ist nichts Geringeres als göttliche Wirklichkeit.
II. Der Hirsch – die animalische Majestät
Und so springt – mitten in dieser göttliche Ordnung – ein Hirsch. Das Tier, das bei unseren keltischen Vorfahren mit dem Gott Cernunnos verbunden war – einem gehörnten, schweigenden Wesen, das nicht herrscht, sondern durchdringt. Der Hirsch war Brücke zwischen Wildnis und Weisheit, denn sein Gehörn tritt aus dem Haupt in den Raum des geistigen hinaus, wie bei dem König die Krone das Haupt mit dieser Sphäre verbindet. Der Hirsch trägt ein Geweih. Ja - eine Last! Die wächst ihm aus dem Schädel, aus dem Haupt. Ein Gebilde aus Knochen, Geist und Stolz – eine natürliche Krone. Kein anderes Tier trägt seine geistige Kraft derart sichtbar auf dem Haupt.
In der alttestamentlichen Bildwelt taucht der Hirsch auf: „Wie der Hirsch lechzt nach Wasserbächen, so lechzt meine Seele nach dir, o Gott“ (Ps 42). Die tierische Gestalt wird hier zum Spiegel des menschlichen Begehrens nach dem Göttlichen. Von hierher lässt sich das Entscheidende verstehen: Das Geweih ist die Naturvariante dieses besonderen theologischen Gedankens, dass das Geistige aus dem Haupt hervortritt.
III. Die Geburt Athenes – Mythos als Vorspiegelung
In der griechischen Mythologie wird diese Vorstellung grandios entfaltet:cAthene, die Göttin der Weisheit, wird nicht geboren aus einem Mutterleib, sondern aus dem Haupt des Zeus. Dieser Allvater genannte vorchristliche Gott, geplagt von göttlichen Kopfschmerzen, ruft eines Tages den Schmiedegott Hephaistos. Und Hephaistos spaltet – mit chirurgischer Kunstfertigkeit – den Schädel des Zeus, aus dem Athene, die Göttin der Weisheit in voller Rüstung entspringt: eine Geburt des reinen Geistes aus der Mitte des Denkens.
Ein uralter Mythos – und doch: eine Vorabschattung späterer Erkenntnis und kluger Ahnung. Denn genau dies bekennen wir Christen in tiefster Umkehrung: Der Sohn geht als ewiges Wort aus dem Willen Gottes hervor, wie Johannes es sagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“
Was im alten Mythos in solchen Bildern auf bunt-brutale Weise dramatisch geschieht – Spaltung, Eröffnung, Offenbarung – geschieht im Dogma als begrifflich nüchterne Überlegung im versuchten Blick auf das innerstes Leben Gottes.
IV. Der Hirsch im Dreieck – eine Verschmelzung
Wenn wir nun den Hirsch mit seinem Geweih innerhalb des göttlichen Dreiecks springen sehen, verstehen wir: Das, was in kurzschlüssiger Weise manchem als überholt und heidnisch galt, fand in der Theologie der Alten Kirche seinen Ort bis auf den heutigen Tag. Das Tierische wird eben gerade nicht ausgeschlossen, sondern geheiligt. Der Sprung ist kein Angriff, sondern Teilhabe. Der Hirsch trägt das Geweih wie ein Gleichnis für das Hervorgehen des Geistes aus dem Haupt – und bewegt sich inmitten der göttlichen Ordnung. Er erinnert uns:
Der Geist Gottes ist nicht nur windgleich, unsichtbar, abstrakt. Er durchwächst das Sichtbare, sprengt hervor – wie Athene, wie das Geweih. Und er kann jederzeit in dein Leben springen – als sanfte Taube wie als warnender Hirsch.
V. Conclusio
Das Zeichen steht fest: ein Dreieck, das trägt. Doch in ihm lebt der Sprung, das Tier, das Symbol, das uns ganz fremd Reale.
Das wirklich reflelktierte Christentum hat nie ganz davor zurückgeschreckt, sich an das Mythische zu binden, nachdem es daselbe zu taufen versucht hat – das Geweih des Cernunnos wird zum Attribut des Christushirschs, der aus dem Haupt des ewigen Vaters hervorgeht.
Achte ab heute ein wenig mehr als sonst auf dieses Zeichen. Es ist nur vielleicht ein Schild am Straßenrand. Mehr noch ist es eine Ikone der Wahrheit – und du bist es, der darauf aufmerksam gemacht wird, dass das Göttliche immer im Begriff ist, deinen Weg zu kreuzen.
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.