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Behinderte fliehen vor dem Krieg

Kriegsflüchtlinge Serhii Bolchuk (2.v.r.), seine Frau Natalia (re.),  Andrej (li.) und seine Mutter Svetlana (2.v.l.)  im Christlichen Gästezentrum Schönblick in Schwäbisch Gmünd.  | Foto:  epd-bild/Uta Rohrmann
  • Kriegsflüchtlinge Serhii Bolchuk (2.v.r.), seine Frau Natalia (re.), Andrej (li.) und seine Mutter Svetlana (2.v.l.) im Christlichen Gästezentrum Schönblick in Schwäbisch Gmünd.
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Die Flucht vor dem Krieg trifft behinderte Menschen besonders schwer.
35 Flüchtlinge aus der Ukraine und ihre Betreuer haben Aufnahme in Schwäbisch Gmünd gefunden. Am schwierigsten war die Ausreise, berichten sie.

Von Uta Rohrmann (epd)

Es musste schnell gehen, denn sie gehören zu den Schutzbedürftigsten der Schutzbedürftigen: Die erste Gruppe ukrainischer Flüchtlinge kam bereits eine Woche nach Kriegsausbruch im Christlichen Gästezentrum Württemberg, dem Schönblick in Schwäbisch Gmünd, an: 35 Personen mit schweren Behinderungen wie Lähmungen und Rückenmarksverletzungen samt ihren Betreuern. Ihr Leiter ist Baptistenpastor Serhii Bolchuk, dessen Frau Natalia seit einem Autounfall im Rollstuhl sitzt - wie neun andere aus der Gruppe auch.

In Lutsk, einer 210.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten der Ukraine, jeweils ungefähr 150 Kilometer von den Grenzen zu Polen und zu Belarus entfernt, betreibt er mit seiner Gemeinde das Rehabilitationszentrum «Agape Ukraine». Doch wohin sollte man die Bewohner evakuieren, als der Krieg ausbrach? «Wir haben gebetet,» sagt Bolchuk, «und schon am nächsten Tag kam ein Hilfsangebot.» Auch bei Martin Scheuermann, dem Leiter des Schönblicks, klingelte das Telefon. Die Deutsche Evangelische Allianz fragte zwei Tage nach Kriegsbeginn, ob eine Gruppe Ukrainer mit Handicap aufgenommen werden könne. «Wir haben sofort 'ja' gesagt», berichtet Scheuermann.

Die erste Gruppe kam am 2. März. Vier Tage später machte eine weitere mit 42 Personen Station und reiste nach zwei Tagen weiter nach Bad Bellingen bei Lörrach. Dort kümmert sich um die Versorgung Marion Koch, die Mutter von Samuel Koch, der seit einem Unfall während der Fernsehshow «Wetten, dass» querschnittsgelähmt ist. Sie ist erfahren, was die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen angeht.

Das Agape-Zentrum in der Ukraine ist allerdings weiterhin bewohnt. 60 Flüchtlinge aus dem ganzen Land warteten derzeit in dem Haus, das durch die Nähe zu Polen eine geeignete Zwischenstation ist, auf ihre Ausreise, berichtet der Baptistenpastor.

30 Kilometer lang sei bei der Ausreise die Warteschlange der ukrainischen Autos an der Grenze zu Polen gewesen, so Bolchuk - unmöglich für die gehandicapten Passagiere. Da brauchte es eine Polizeieskorte, um sicher das Land zu verlassen.

Erkämpft werden musste auch, dass die dringend benötigten männlichen Pfleger trotz Krieg die Grenze passieren durften. Doch diese und viele andere Mühen haben sich gelohnt. Denn Menschen wie der 16-jährige Andrej und seine Mutter Svetlana sind nun in Sicherheit, fühlen sich rundherum wohl auf dem Schönblick mit den behindertengerechten Zimmern und der großzügigen Anlage in der Natur. Die Hilfsbereitschaft vieler ehrenamtlicher Helfer und Initiativen auch außerhalb des Schönblicks ist groß, und so hoffen alle Beteiligten, dass die erlittenen Traumata bewältigt werden können. 

Vor ein paar Tagen noch harrte der gelähmte Teenager im Korridor des sechsten Stockwerks in dem Hochhaus mitten in Kiew aus, wo er mit seiner Mutter lebte. In den Keller zu gelangen, um sich vor Bombenangriffen zu schützen, war ihm nicht möglich. Der Aufzug konnte in dieser Situation nicht benutzt werden. «Er wurde bald wahnsinnig vor Angst, hatte schon Halluzinationen», sagt dessen Mutter. Die Grundversorgung mit Brot, Wasser und Strom sei zusammengebrochen. In letzter Minute, kurz vor dem Angriff auf ihren Stadtbezirk, seien sie herausgeholt und gerettet worden. «Wir sind so unendlich dankbar für all das, was wir hier erfahren», sagt Svetlana. «Bitte sagen Sie das allen.»

So lange wie nötig kann die ukrainische Gruppe auf dem Schönblick bleiben. Und doch: Nichts wünschen sich diese Menschen mehr, als möglichst rasch wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Autor:

Katja Schmidtke

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