Wort zum Tag 02.04.2020
verletzlich.

Foto: Quelle: pixabay

Jetzt ist der Moment, um furchtlos menschlich zu sein.
Nicht morgen oder in einem Jahr oder irgendwann.
Jetzt ist jetzt.

Dieser Gedanke ist mir gerade ganz nahe.
Trotzdem will ich nichts tun, was nicht gebraucht wird.
Was wird gerade gebraucht?
Das frage ich mich die ganze Zeit.
In meinen Gemeinden, in meiner Familie, für mich, für meine Freunde.

Von Hartmut Rosa lese ich gerade ganz aktuell
(taz, Ausgabe 25.03.2020, Interview mit Hartmut Rosa):

„Im Grunde bin ich überzeugt davon,
dass nur in Resonanzbeziehungen und -momenten
Neues entstehen kann.
Und deshalb würde ich durchaus sagen,
wir sind in einem kollektiven Resonanzmoment.
In einer Situation,
in der wir alle hinhören,
uns füreinander und die Welt öffnen
und eine Antwort finden können.
Und da kann, im Sinne von Hanna Arendt,
vielleicht etwas kollektiv Neues entstehen.
Die Gesellschaft kann sich neu erfinden.
Und ja, sie hätte es bitter nötig.“

Wir sind zur Zeit reduziert auf Weniges.
Vieles verlagert sich in den digitalen Raum.
Im Grunde aber, bin ich abhängig:

Abhängig davon, dass im Supermarkt alles da ist, was ich brauche;
abhängig davon, dass die Gesundheitsversorgung für mich sorgt,
wenn es nötig wäre;
abhängig davon, dass meine Beziehungen stabil sind;
abhängig davon, dass Andere sich an Beschränkungen halten.

Gerade dachte ich vielleicht noch,
das sei alles selbstverständlich,
aber bei so viel Zeit für wandernde Gedanken denke ich:
alles ist fragil.
Für die, die allein sind
und für die, die sich danach sehnen, mal einen Augenblick allein zu sein.

Vielleicht zeigt sich gerade jetzt,
wieviel verletzlicher wir eigentlich sind als wir dachten.
Unser Land, unsere Gesellschaft, wir selbst.
Das ist kein Grund für Angst oder Pessimismus,
denn dieses Gefühl macht uns alle gleich.

Gleich in unserer Verletzlichkeit
und in dem Wissen, dass wir alle gleich verletzlich sind.
Egal ob arm oder reich, ob schlau oder blöd, ob alt oder jung …
alle sind aufeinander angewiesen,
damit wir alle gemeinsam diese Situation durchleben können.

Gemeinsam verletzlich sein ist besser als allein verletzlich sein.
Daraus kann etwas wachsen:
neue Rücksicht,
aufeinander achtgeben,
einander sehen.

Das ist nicht sozialromantisch.
Krise ist Krise
und Krankheit ist Krankheit
und es sind Menschen krank und es sterben Menschen.

Trotzdem: wenn es noch Kassierer*innen gibt,
die mich hinter der Plexiglasscheibe anlächeln
und mir einen schönen und fröhlichen Tag wünschen,
dann spüre ich Verbindung und Gemeinschaft und Solidarität.
Vielleicht, weil ich spüre,
wenn wir alle Rücksicht auf unsere Verletzlichkeit nehmen,
bringt uns das zusammen jenseits von social distancing.
Einfach nicht zu vergessen, was uns verbindet.
Weltweit.
Gemeinsame Verletzlichkeit.

Wir leben dennoch unser Leben.
Es hat nur grad eine andere Form.
Ganz anders, als wir es kannten.
Für Manche sehr beschwerlich.
Für die können wir da sein.
Gestärkt, durch das, was uns stärkt.

Es ist nur eine Frage, was wir daraus machen.

Autor:

Anne Brisgen

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