Symbol der Lebensfreude

Weisheit: Mehr als 200 Zitate hält die Bibel über den Wein bereit. Wir beleuchten,
was die Heilige Schrift zum Alkoholgenuss sagt.
Von Günter Schenk

Was ist das für ein Leben, wenn man keinen Wein hat, der doch von Anfang an zur Freude geschaffen wurde? Frohsinn, Wonne und Lust bringt Wein, zur rechten Zeit und genügsam getrunken.« Eine Spruchweisheit, entstanden im zweiten Jahrhundert vor Christi Geburt. Wie viele andere entstammt sie dem Buch Jesus Sirach – einer alttestamentarischen Spätschrift, die den Juden angesichts des Einflusses griechischer Kultur die Orientierung im Alltag erleichtern sollte. Kein Wunder also, dass sie auch die Schattenseiten der Weinfreuden betonte: »Kopfweh, Hohn und Schimpf bringt Wein, getrunken in Erregung und Zorn. Zu viel Wein ist eine Falle für den Toren, er schwächt die Kraft und schlägt viele Wunden.«
Zahllos sind die Texte, die heute nicht nur Christen aller Konfessionen, sondern auch Muslimen und Andersgläubigen als Richtschnur im Umgang mit Alkohol dienen. Allein mehr als 200 Zitate verweisen in der Bibel auf den Rebensaft, der in Maßen genossen Lebensgeister beflügeln, im Übermaß aber oft Schaden anrichten kann. So heißt es in einem der Psalmen, dass der Wein des Menschen Herz erfreue (Psalm 104,15). Und zu den schönsten Geschichten in der Bibel gehört die Erzählung von der Hochzeit zu Kana (Johannes 2,1-12), wo Jesus Wasser in Wein verwandelt – eines der ersten Zeichen, die ihn als Sohn Gottes ausweisen. Eine Story, die Weinfreunde immer wieder gern ins Feld führen, wenn andere den Alkohol verteufeln.
Andererseits finden sich in der Bibel auch genügend Geschichten, in denen von der berauschenden Wirkung des Weines die Rede ist. So schreibt das Buch der Bücher den ersten Rausch Noah (1. Buch Moses 9,20-27) zu. Einem der christlichen Urväter, der nach der Sintflut einen Weinberg anlegte und deshalb auch als erster Winzer gilt. Von sehr weitreichenden Folgen eines Rausches ist in der Erzählung von Lot (1. Mose 19,30-38) die Rede, einem Neffen des israelischen Stammvaters Abraham. Seine Töchter, die nach Vernichtung der sündigen Stadt Sodom fürchteten, keine Männer mehr zu finden, ließen sich deshalb von ihrem Vater schwängern, den sie trunken gemacht hatten. Im Abstinenz predigenden Koran, der in seinen Suren viel von Lot erzählt, ist diese sogenannte Blutschande allerdings ausgelassen.
Im Alten und Neuen Testament jedenfalls müssen der Wein und die Rebe immer wieder zu Vergleichen herhalten. So nannte einer der großen Propheten im Alten Testament, Jesaja, das Volk Israel gern einen Weinberg, in dem Gott als fürsorglicher Winzer (Jesaja 5,1-7) zuhause sei. Ein Vergleich, den die Apostel Johannes (15,1-8) und Matthäus (20,1-16) in ihren Evangelien so ähnlich wieder aufgriffen. Gott, so ihre Argumentation, sei der Winzer, Jesus der Weinstock, mit dem die Jünger in Verbindung bleiben müssten, um Früchte zu tragen. Außerdem erfährt der Bibelleser schon im Alten Testament, dass der Wein neben Wasser und der Muttermilch zu den ältesten Getränken der Welt gehört. Und dass er wertvoll sei, weil er viel Arbeit mache.
Kein Wunder, dass der Wein zum Symbol der Lebensfreude wurde, die Griechen und Römer in einem eigenen Gott personifizierten. Dionysos hieß der in Griechenland, Bacchus im Römerreich. In diese Lebenswelten versuchten die Kirchenväter von Anfang an, Christi Lehren einzubinden. Der griechische Theologe Clemens von Alexandrien (um 150–um 215) sprach sich so dafür aus, bei Krankheit, im Alter oder gar bei schlechtem Wetter, den Wein mit Wasser zu mischen. Er war, wenn man so will, einer der ersten Propagandisten der Schorle, also des gespritzten Weines. Der Kirchenlehrer Basilius der Große (um 330–379) nahm ein österliches Gelage, bei dem Frauen und Mädchen in der Kirche tanzten, zum Anlass, den Wein als »Werkzeug der Zügellosigkeit« zu verurteilen. Einen »selbstgewählten Dämon« nannte er die Trunkenheit. Er töte die Vernunft, mache den Menschen niedriger als das Tier und führe zu sexueller Enthemmung und Perversion. Selbst Augustinus (354–430), einer der Vordenker an der Schwelle zwischen Antike und Mittelalter, empfahl, sich vor allem an Festtagen beim Trinken zu mäßigen. Und auch einer der größten christlichen Prediger, Johannes von Antiochia (um 350–407), dem man im 6. Jahrhundert den Beinamen Chrysostomus (Goldmund) verlieh, setzte auf die Tugend des Maßhaltens: »Wo man sich betrinkt, ist der Teufel dabei«.
Dass der Wein des Teufels sei, nährten auch jüdische Vorstellungen, die im paradiesischen »Baum der Erkenntnis« keinen Apfelbaum mit teuflischer Schlange sahen, wie in der christlichen Kunst später interpretiert, sondern eine hoch gewachsene Weinrebe. Eine Interpretation, die der biblische Text von Adam und Eva, der nur allgemein von »Früchten« am Baum der Erkenntnis spricht, zulässt. Zwar verbot keiner der Kirchenväter den Weingenuss an sich, ihre Einstellung zum Alkohol aber markierte den Bruch mit der die Antike prägenden Vorstellung des Rausches als einer Form ekstatischer und religiöser Erkenntnis.
Allerdings war auch den frühchristlichen Vordenkern klar, dass sie angesichts der zahllosen Heiligenfeste dem Volk das Wein- oder Biertrinken nicht verbieten, sondern allenfalls in geregelte Bahnen lenken konnten. Gerne erzählte man deshalb vom in der Apostelgeschichte (2,1-13) erwähnten Pfingstwunder, wo von lallenden Teilnehmern »voll süßen Weins« die Rede ist. Sie aber, verteidigte der Apostel Lukas die durcheinander redende Feierschar, seien nicht betrunken, sondern vom Heiligen Geist erfüllt. Auch Gesundheitsapostel fanden in der Bibel für ihr tägliches Gläschen Wein Bestätigung – etwa im Ratschlag des Apostels Paulus an seinen oft kranken Schüler Timotheus, »nicht mehr Wasser, sondern auch ein wenig Wein um deines Magens willen« (1. Timotheus 5,23) zu trinken.
An Argumenten zum Trinken jedenfalls mangelte es den meisten mittelalterlichen Kirchenmännern nicht. Für den Biertrinker Luther (1483–1546) aber war der Suff, wie er sich vor allem im 16. Jahrhundert überall zeigte, »eine Art Pest, welche durch Gottes Zorn über uns geschickt ist«. In einer Predigt über den 1. Petrusbrief hatte er das »Säuleben« der Deutschen angeprangert. »Wie ein Wolkenbruch und eine Sündflut sind Völlerei und Trunkenheit in Deutschland eingerissen«, meinte er 1539.
Die Reformatoren, allen voran Zwingli und Calvin, fanden immer wieder Bibelstellen gegen übermäßigen Alkoholgenuss – etwa im Paulusbrief an die frühchristliche Gemeinde der Epheser: »Und saufet euch nicht voll Wein, daraus ein unordentlich Wesen folgt, sondern werdet voll Geistes« (Epheser 5,18). Auch im Brief an die Thessalonicher plädierte der Apostel für mehr Nüchternheit: »Wir aber, die dem Tag gehören, wollen nüchtern sein, bekleidet mit dem Brustpanzer des Glaubens und der Liebe und als Helm mit der Hoffnung des Heils (1. Thessalonicher 5,7-8). Gern auch zitiert wurde aus der alttestamentlichen Weisheitsliteratur: »Der Wein macht zum Großmaul und das Bier zum Krakeeler; wer sich ständig betrinkt, wird niemals weise« (Sprüche 20,1).
Erst mit der Aufklärung wuchs die Einsicht, dass der Suff auch eine Krankheit sein könnte. So prägte 1849 der Stockholmer Arzt Magnus Huss (1807–1890) erstmals den Begriff des Alkoholismus. Gleichzeitig war es der Startschuss für freikirchliche Bewegungen wie die noch heute existierende Heilsarmee, die für ein komplettes Alkoholverbot eintrat. Eines ihrer Argumente für die totale Entsagung wurzelte im Korintherbrief, der neben Hurern, Götzendienern, Dieben und Erpressern auch Trunkenbolden den Eingang ins Reich Gottes versagt (Korinther 6,9-10).

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Online-Redaktion

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