Vorgestellt: Online-Seelsorge
Seismograph für den Zeitgeist

Die Corona-Pandemie hat die Einsamkeit vieler Menschen verschärft. Das merken auch die Online-Seelsorger der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau mit ihrem Angebot „Pfarrer im Netz“. Was als Ein-Mann-Projekt startete, wird nun von einem ganzes Team geleistet.

Von Andrea Seeger

Wer Fragen hat, Hilfe braucht, nicht mehr weiterweiß, kann schreiben – mittels einer einfachen E-Mail oder über eine gesicherte Kommunikationsplattform der Diakonie Deutschland. Dort bleibt der Mailverkehr anonym, Nutzer müssen sich passwortgeschützt registrieren und können unter einem Alias-Namen kommunizieren.

Während die Hilfesuchenden anonym bleiben, sind die Seelsorger mit ihrem Foto identifizierbar. „Die Nutzer wählen auch nach Sympathie über das Bild im Netz“, ist Raimar Kremer überzeugt. Der Pfarrer und Studienleiter im Zentrum Seelsorge ist schon lange dabei. Sie fungierten als Seismograph für politische Themen oder auch als Klagemauer, gerade bei Themen wie Missbrauch.

Die Seelsorge im Netz deckt insgesamt ein breites Spektrum ab, die Teammitglieder bieten persönliche Themenschwerpunkte an. Es geht etwa um Seelsorge in Krisensituationen, interreligiöse Seelsorge, Seelsorge für Angehörige von Inhaftierten; es werden Fragen zu Transgeschlechtlichkeit, feministischer Theologie, Mobbing oder Burnout gestellt, aber auch allgemeine zu Kirchenrecht, Mitgliedschaft oder Kirchensteuer.
Mancher Kontakt sei einmalig. Das sei besonders dann der Fall, wenn es um reine Fakten gehe. Also zum Beispiel bei der Frage, was man tun muss, um sein Kind taufen zu lassen. Oder ob alle Paten evangelisch sein müssen. Bei komplexeren Ansinnen könne es durchaus ein paarmal hin und her gehen. „Menschen sind einsam. Sie leiden unter Beziehungsproblemen. Auch religiöse Fragen treiben sie um“, zählt Jutta Lutzi auf. Die Diplom-Psychologin ist Studienleiterin und landeskirchliche Beauftragte für psychologische Beratungsarbeit im Zentrum Seelsorge. Oft sei Sexualität ein Thema, insbesondere Homosexualität. Auch Interreligiöses käme öfter vor, so Jutta Lutzi. Oder konkrete Glaubensfragen: „Ich höre zur Zeit nichts von Gott, was kann ich tun?“

Mancher Mailverkehr ist auch von Dauer. „Mit einer Frau habe ich fast zwei Jahre lang geschrieben“, erzählt Kremer. „Sie verabschiedete sich freitags mit der Aussage, dass sie am Montag nicht mehr leben werde.“ Das müsse man aushalten, es gehöre zur Professionalität. Die Frau habe sich dann immer wieder gemeldet. Jetzt aber habe er schon lange keine Mail mehr bekommen. Er weiß nicht, ob sie wahr gemacht hat, was sie stets verkündet hatte. Die "Pfarrer im Netz" erheben keine Daten. Alter, Geschlecht und Postleitzahl kann jemand angeben, muss es aber nicht. „Wir löschen nur den ersten Brand, danach muss eine andere Stelle übernehmen“ sagt Kremer. Gebetsmühlenartig würden sie versuchen weiterzuvermitteln an die Kirchengemeinde, an Therapeuten, an Beratungsstellen – leider oft vergeblich.

Im Gegensatz zur Telefonseelsorge liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf dem Schreiben. Sie sind bemüht, so schnell wie möglich zu antworten, werktags in der Regel innerhalb von 48 Stunden. An Wochenenden und an Feiertagen müssen die Fragesteller mehr Geduld mitbringen. Lutzi hält es aus therapeutischen Gründen für gut, nicht immer gleich zu antworten. „Wir machen ja keine Chat-Seelsorge“, sagt sie. Die Probleme sacken zu lassen, sei kein schlechter Zug. Raimar Kremer schmunzelt. Seitdem sie technisch bestens ausgerüstet seien, checke er abends oder am Wochenende doch noch mal seine Mails. „Und manchmal antworte ich dann auch direkt“, räumt er ein. Werbung für das Projekt allerdings wollen sie nicht machen – sonst kämen sie bald an ihre Grenzen.

Autor:

Online-Redaktion

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