Wort zur Woche
Ich sehe was, wo du mich siehst

Foto: C. Backhaus


Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
Lukas 21, Vers 28


Die kleinen Hände vor die Augen genommen und laut gerufen: „Du siehst mich nicht! Ich bin weg!“ Sicherlich kennen Sie das Kinderspiel. Es folgt der einfachen Logik: Wenn ich nichts sehe, werde ich auch nicht gesehen.

Von Christoph Backhaus,

Ich schmunzle über diese kindliche Einfachheit. Ein solches Denken habe ich schließlich längst abgelegt. Seht auf!

Wäre mir dieser Fehler nicht passiert, wäre alles nicht so schlimm gewesen, aber so erschrak ich. Ich wollte nicht, dass sie mich anspricht. Es war mir peinlich, und zudem ist es eben nicht so einfach, Fehler zuzugeben. Ich blicke also stur nach unten, hole das Handy hervor. Nur nicht hochschauen. Wenn ich sie nicht sehe … Wichtig: ganz unauffällig verhalten, dies steigert die Unsichtbarkeit. Mist, ich glaube, sie hat mich gesehen. Wie ist das nur möglich, ich war doch praktisch unsichtbar? Ich sehe es aus dem Augenwinkel, sie kommt den Gang entlang. Gibt es noch eine Möglichkeit, unsichtbarer zu werden?

Noch angestrengter auf das Handydisplay schauen oder die Schuhe zubinden? Gute Idee. Mit der Nasenspitze berühre ich fast die Schuhspitzen, und zur Sicherheit will ich lieber einen Doppelknoten machen, und der andere Schnürsenkel scheint mir auch viel zu locker. Das Blut schießt mir in den Kopf, es rauscht in meinen Ohren, mir wird schwindlig. Ihre Schritte gehen an mir vorüber. Und erhebt eure Häupter! Ha, es hat geklappt. Mein Kopf schnippt hoch, erfreut über diesen alten Trick des Unsichtbarmachens. Geschafft! Plötzlich tippt mich eine Hand auf die Schulter. „Schön, dich zu sehen“, sagt sie. „Oh, finde ich auch. Ich hab dich gar nicht gesehen“, lüge ich. „Konntest du auch nicht. Du warst ja abgetaucht“, sagt sie.

„Du, wegen neulich“, stammele ich. „Es tut mir leid.“ „Ach, schon vergeben. Aber sag mal, soll ich dir mit deinen Schuhen helfen?“ „Wieso?“, frage ich. „Mit zusammengeknoteten Schnürsenkeln fällst du hin.“ Sie lacht. „Ich helfe dir mal“, sagt sie und entwirrt den Knoten. Weil sich eure Erlösung naht.

Der Autor ist Pfarrer in Knau im Kirchenkreis Schleiz .

Autor:

Online-Redaktion

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