Wort zur Woche
Gegen die Hilflosigkeit und das Vergessen

Foto: privat

So spricht der Herr, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
Jesaja 43, Vers 1

Mittlerweile ist es ein halbes Jahr her, dass die Familie es ärztlich bestätigt bekam: Der Vater hat Demenz. Kurz nach seinem 80. Geburtstag begann es. Zuerst bemerkte es nur seine Frau. Dann fiel es den Kindern auf, wenn sie mit den Enkeln zu Besuch waren, und schließlich irgendwann ihm selbst. Er vergaß immer mehr und konnte sich manchmal in seiner gewohnten Umgebung kaum orientieren. „Weißt du, Elfriede“, sagte er zu seiner Frau, als sie aus dem Sprechzimmer des Arztes kamen, „ich habe Angst. Angst davor, deinen und meinen Namen zu vergessen. Angst, dass ich irgendwann nicht mehr weiß, wer ihr seid oder wer ich bin.“ Diese Krankheit ist so heimtückisch, weil sie auf die Persönlichkeit zielt und Vergessen macht. Sie löscht Erinnerungen.
Der Name, den unsere Eltern uns einst bei der Geburt gaben, ist für uns etwas Einzigartiges. Er hängt uns ein Leben lang an und prägt uns als Teil unserer selbst. Wir können uns und einander ohne unsere Namen nicht denken. Es ist schmerzhaft zu wissen, dass das Vergessen irgendwann so weit fortgeschritten ist, dass der eigene Name nicht mehr präsent ist.
Gegen die Hilflosigkeit und das Vergessen richtet Jesaja seine Stimme und ruft pointiert: „Fürchte dich nicht! Ich kenne deinen Namen. Du gehörst zu mir.“ Eindringlich erinnert der alttestamentliche Prophet uns daran, dass Gott jeden Menschen geschaffen hat. Er hat uns angehaucht, ins Dasein gerufen und angesprochen, lange bevor wir antworten konnten. Kein Vergessen, keine Krankheit kann so groß sein, dass wir bei Gott in Vergessenheit geraten. Wir sind seine geliebten Kinder. Lange, bevor uns jemand bei unserem Namen rief, hat er es schon getan. Und wenn wir eines Tages unseren Namen nicht mehr wissen, ruft Gott ihn uns liebevoll zu.
„Fürchte dich nicht! Egal, was dir im Leben widerfährt, was um dich herum ins Wanken gerät. Egal, ob du von anderen oder von dir selbst vergessen wirst. Ich stehe zu dir. Du bist mein!“
Christopher Spehr, Kirchenhistoriker an der Universität Jena 

Autor:

Online-Redaktion

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