zum 222. Geburtstag
ERNST ORTLEPPS (1.8.1800-1.8.2022)

Wilhelm von Schadows Bild aus Schulpforta im Hintergrund. Der Mittelteil im Vordergrund ist die durch Ernst Ortlepp angeregte Kopie des Malers F.A. Nitzsche aus Dahme (1851). Das Bild steht in Woltersdorf in der Schinkelschen Normalkirche. Patrozinium: Heilige Jungfrau Maria
  • Wilhelm von Schadows Bild aus Schulpforta im Hintergrund. Der Mittelteil im Vordergrund ist die durch Ernst Ortlepp angeregte Kopie des Malers F.A. Nitzsche aus Dahme (1851). Das Bild steht in Woltersdorf in der Schinkelschen Normalkirche. Patrozinium: Heilige Jungfrau Maria
  • hochgeladen von Matthias Schollmeyer

Immer am ersten August feiert er Geburtstag. In diesem Jahr ist es der 222. Die Kirchengemeinde St.Marien in Zahna gedenkt seiner in freundlicher Erinnerung. Gemeint ist Ernst Ortlepp, ein Vormärzdichter und persönlicher Feind Kanzler Metternichs, der die Bücher des Pastorensohnes aus Droyßig auf den Index setzen ließ. Die Kirchengemeinde Zahna verdankt Ernst Ortlepp nicht wenig. Das der weltgeschichtlichen Bedeutung nach sonst völlig zu vernachlässigende Ackerbürgerstädtchen Zahna an der Zahna konnte seit dem 15. Jahrhundert nicht viel von sich Reden machen und brachte seine besten Zeiten bereits im 16. hinter sich. Aber Ernst Ortlepp hat zu seinen Lebzeiten noch dafür gesorgt, dass eine bei Woltersdorf in den fast schon märkischen Sand gebaute Schickelsche Normalkirche unweit Zahnas die Kopie eines Schadowgemäldes erhielt: Das Christusbild aus der Kirche zu Schulpforta, in welcher Eliteschule Ortlepp Alumnus gewesen ist. Ortlepp ist der erste Sohn einer sächsischen Pastorendynastie und wird am 1.8.1800 um 18.30 Uhr abends geboren. Schon früh will er ein Dichter werden - und verehrt Schiller sehr. Goethen hat er sogar einmal persönlich besucht, und der poetische Staatsminister in Weimar hat den jungen Mann Ortlepp empfangen, wenn ihm auch vom Traum-Beruf Dichter dringlichst abgeraten. Ernst hat sich davon natürlich nicht bekümmern lassen und trotz eigener Nicht-Mittelmäßigkeit doch den hohen Preis finanzieller Not und Mittellosigkeit gezahlt. So musste er in den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts bei seinem Bruder, dem Diakonus Moritz Ortlepp, in Zahna lange auf Besuch sein - sozusagen als Asylant. Nun ist Zahna nicht Naumburg, wo man die Bildung pflegte und dem Staat Beamte heranzog. Zahna war nur Zahna - ein vom Wiener Kongress ins Preußische gezwungenes Stück ehemaliges Sachsen. Ernst Ortlepp äußert sich zu den Umständen seiner Dorthinverbannung nicht freundlich.

Ernst Ortlepp war Griechenlandverehrer und einer der Ersatzväter Friedrich Nietzsches. Sogar einen "Reinecke Fuchs" hat er in Reimen nachgedichtet. Und ist am 14.6.1864 zwischen Naumburg und Allrich in einem Graben ertrunken. Schon wenige Wochen nach dem tragischen Tode des Bruders Ernst erhält Moritz Ortlepp endlich eine eigene Pfarrstelle unweit Zahnas in Bülzig, wozu der Filialort Woltersdorf mit der Schadow-Bildkopie dazugeschlagen wird. Lange Jahre zuvor hat sich der bedeutungslose Zahnaer Dichterbruder Moritz im Zahnaer Diakonat immer nur an zweiter Stelle herumplagen müssen. Superintendent ist er nie geworden - wie alle anderen Diakone vor ihm nach langer Wartezeit geworden sind. Aber wer wollte schon einen Mann in das staatsmittragende Amt heben, dessen Bruder unliebsame Bücher las und selber welche schrieb? Wir sehen - die Zeiten änderten sich unwesentlich.

Ja - Ernst Ortlepp war sicher auch ecclesiophob - aber ein lustiger Zeitgenosse. Rettung aus ecclesiophoben Qualen brachte ihm die Graecophilie - wie auch vielen anderen von deutschen Pfarr- und Pastorenhäusern abstammenden Zöglingen (Josef Schmidt - Nietzsche Absconditus). Vor allem aber war Ernst ein begnadeter Musiker, sogar einen eigenen Faust hat er dem Goetheschen nachgeschoben, Shakespeare und Lord Byron übersetzt er mit Leichtigkeit. Ortlepps Pech bei alledem war, dass alles das gerade wenige Jahrzehnte vor ihm bereits schon passiert war. Ausgeführt von genialen Leuten wie z.B. Ludwig Tieck.

Die Zahnaer verdanken dem genialen Poeten, Spottversdichter und gescholtem Querdenker der Metternichzeit jenes bemerkenswerte Bild, welches der aus dem märkischen Städtchen Dahme stammende ebenfalls völlig bedeutungslos gebliebene Provinzmaler Friedrich August Nitzsche im Auftrag des nach Zahna versprengten sonderbaren Intellektuellen Ernst Ortlepp kopiert und das man in der Woltersdorfer Schinkelkirche dann postiert hat, zwischen zwei korinthische Säulen gestellt und mit Tympanon bzw Architrav ausgestattet. Ein winziger griechischer Tempel. Betritt man das kleine Gotteshaus, denkt man: „Irgendwie ist Goethe im Raum!” Mehr aber noch sind Hermes und Apollon in der Gestalt Christi anwesend. Denn der märkische Maler Nitzsche verlieh (Schadow folgend) dem präexistenten Christus (der muss es sein, denn die Wundmale fehlen!) ähnliche Züge, wie sie damals den beiden Zeussöhnen traditionell zukamen - dem einen als Götterboten, dem anderen als Führer der neun Musen . Der Maler Nitzsche greift damit dem späteren "richtigen" Naumburg-Basel-Nietzsche vor, welcher seinen Christus alias Phantasiezaratustra in Leopardenfelle gehüllt beschrieben hat und wohl auch genauso gezeichnet hätte, wenn er Den philosophischen Hammer aus der Hand gelegt und dafür zu Pinsel und Palette gegriffen hätte.

Hier in Woltersdorf treffen sich also - Ernst Ortlepp sei es gedankt - Christentum und Antike auf’s Allerfeinste. Und Walter F. Ottos (1874-1958) nicht ganz unberechtigte Kritik am Christentume wird in dem Zwanzigseelenort Woltersdorf mindestens relativiert, wenn nicht sogar für diesen Kirchort eindeutig widerlegt. Otto schrieb: „Alle Welt spricht davon, wieviel die Menschheit durch das Christentum gewonnen hat. Was sie aber verlor, erfährt man nicht. … Die vorliegende Schrift … erkennt in der antiken Welt- und Lebensauffassung Werte, die der christliche Geist nur deshalb verworfen hat, weil sie für ihn zu groß waren.” (Vorwort zu: Der Geist der Antike und die christliche Welt. Bonn 1923, S.5). Bekanntlich hat D.Bohoeffer im Tegeler Gefängnis 1944/45 viel Walter F. Otto gelesen und im Nachgang zu dieser Lektüre einen grundstürzenden Hundertseitenaufsatz zur Erneuerung des Christentums für die Zeit nach dem Ende der Nazidiktatur geplant. Dieses Büchlein ist nicht überliefert. Aber das Christus-Bild derer, die Christentum und Antike zusammen denken konnten und wollten, steht des Pförtners Ernst Ortlepp wegen in einer fast unbekannten Dorfkirche nahe Wittenbergs, wo schon einmal tiefschürfend darüber nachgedacht wurde, wer Christus eigentlich ist - und welchen Gott er zu verkünden hatte.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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