Geschichte
Vor 50 Jahren unterzeichnen BRD und DDR den Grundlagenvertrag

Der Grundlagenvertrag gehörte zur sogenannten Neuen Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Willy Brandt. | Foto: epd-bild / Guenay Ulutuncok
  • Der Grundlagenvertrag gehörte zur sogenannten Neuen Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Willy Brandt.
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Im Grundlagenvertrag nehmen DDR und Bundesrepublik 1972 offizielle Beziehungen zueinander auf. Willy Brandt und Egon Bahr, die westdeutschen Architekten der Ostpolitik, haben zuvor schon erfahren:
Mit «denen da drüben» kann man reden.

Von Nils Sandrisser (epd)

So richtig euphorisch war SPD-Staatssekretär Egon Bahr nicht: «Bisher hatten wir keine Beziehungen, jetzt werden wir wenigstens schlechte haben - und das ist der Fortschritt.» Er meinte den Grundlagenvertrag, den er und der DDR-Chefunterhändler Michael Kohl am 21. Dezember 1972 unterzeichnet haben.

Dabei war dieser Grundlagenvertrag - auch Grundvertrag genannt - tatsächlich ein Meilenstein. In ihm bekannten sich West- und Ostdeutschland zu «normalen gutnachbarschaftlichen Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung», so steht es im Vertragstext. Beide Staaten erklärten, sie wollten auf Gewalt gegeneinander verzichten. Sie tauschten Botschafter aus, die aber nicht so heißen durften. Also hatten DDR und Bundesrepublik im jeweils anderen deutschen Staat fortan «Ständige Vertreter».

Der Grundlagenvertrag gehörte zur sogenannten Neuen Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Willy Brandt. Sie war eingebettet in ein allgemeines Klima der Entspannung im Kalten Krieg. Nur einige Monate zuvor hatten die Supermächte USA und UdSSR mit SALT I zum ersten Mal eine Rüstungskontrolle im Ost-West-Konflikt vereinbart. 1971 schlossen die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs das Viermächteabkommen, das den Rechtsstatus West-Berlins sicherte.

Schon in ihrer Berliner Zeit in den 1960er Jahren - Brandt war Regierender Bürgermeister, Bahr sein Sprecher - hatten die beiden gemerkt: Mit den Kommunisten «dort drüben» kann man reden. 1963 fädelten sie das erste Passierscheinabkommen ein, das es West-Berlinern erlaubte, den Ostteil der Stadt zu besuchen.

Als Brandt 1969 Bundeskanzler wurde, drehten er und Bahr dieses Rad in größerem Maßstab weiter. Der Moskauer Vertrag mit der UdSSR leitete 1970 eine Reihe von Abkommen mit den östlichen Nachbarn ein.
1971 ermöglichte es das Transitabkommen Menschen aus der Bundesrepublik, über DDR-Territorium nach West-Berlin zu fahren. Und ein Reiseabkommen erlaubte ihnen Besuche in Ostdeutschland.

Das Prinzip dieser Verträge war immer gleich: Beide Seiten verzichteten darauf, ihre Maximalforderungen durchzusetzen, weil sie ohnehin nicht durchsetzbar waren, aber sie gaben sie nicht grundsätzlich auf. Dafür suchten sie pragmatische Lösungen für bestehende Probleme.

«Die SED wollte die außenpolitische Isolation durchbrechen und aus internationaler Reputation mehr Legitimation gewinnen», erklärt der Historiker Jan Lipinsky vom Marburger Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung. Die DDR-Führung habe vor allem die volle völkerrechtliche Anerkennung als Ziel gehabt, sagt Lipinksy: «Die musste Bonn jedoch wegen des Wiedervereinigungsgebots im Grundgesetz und wegen der fortbestehenden Viermächtekompetenzen abschlagen.»

Westdeutschland hingegen hatte jahrelang darauf beharrt, allein die Belange des deutschen Volks zu vertreten. Staaten, die die DDR diplomatisch anerkannten, drohte die Bundesrepublik mit Konsequenzen bis hin zum Beziehungsabbruch. Als Kompromiss zwischen diesen beiden Positionen gab die Bundesrepublik im Grundlagenvertrag ihren Alleinvertretungsanspruch auf, ohne die DDR selbst formal anzuerkennen.

Gegenwind erfuhr die sozialliberale Koalition von den Unionsparteien unter Franz-Josef Strauß (CSU) und Rainer Barzel (CDU). Zu dieser Haltung sei die Union allerdings mehr oder weniger gezwungen gewesen, erklärt der emeritierte Historiker Manfred Görtemaker von der Universität Potsdam.

Denn die zwölf Millionen Vertriebenen in Westdeutschland lehnten jedes Entgegenkommen strikt ab, und diese waren ein enorm wichtiges Wählerpotenzial für CDU und CSU. «Allerdings war die Union nicht grundsätzlich gegen die Ostpolitik, sondern lehnte im Sinne einer 'So-nicht'-Haltung Rainer Barzels nur das ab, was Egon Bahr in Moskau verhandelt hatte und was dann auch den Warschauer Vertrag und den Grundlagenvertrag prägte», sagt Görtemaker.

Aber auch der SED bereitete die Annäherung der beiden deutschen Staaten Bauchschmerzen. Bis Ende 1973 hatten infolge des Vertrags und des Reiseabkommens schon acht Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger die DDR besucht. «Diese gesellschaftlich-innenpolitische Öffnung sollte das Ministerium für Staatssicherheit auffangen und möglichst wieder zunichtemachen», erläutert der Marburger Historiker Lipinksy.
Die Zahl der Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi stieg zwischen 1970 und 1975 von 100.000 auf 180.000.

Auf der Habenseite stand für die DDR, dass sie ihre Isolation tatsächlich durchbrechen konnte: Nach dem Grundlagenvertrag nahmen nach und nach fast alle Staaten der Erde diplomatische Beziehungen zum SED-Staat auf. Am 18. September 1973 traten beide deutschen Staaten als Vollmitglieder den Vereinten Nationen bei.

Die Ostverträge
Wandel durch Annäherung - so lautete das Prinzip der Neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition unter Kanzler Willy Brandt (SPD) in den 1970er-Jahren.

Im Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 stellen die Sowjetunion und die Bundesrepublik ihre Beziehungen auf die Grundlage der UN-Charta. Sie erklären, in ihren beiderseitigen Beziehungen auf Gewalt verzichten zu wollen. Die bestehenden Grenzen bezeichnet das Papier als unverletzlich. Die beiden Staaten vereinbaren, ihren wirtschaftlichen Austausch zu intensivieren.

Es folgen weitere Verträge mit Polen, der DDR und der Tschechoslowakei, in denen unverletzliche Grenzen und Gewaltverzicht festgeschrieben werden. Der Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 legt in seinem ersten Artikel die Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze fest.

Im Grundlagenvertrag mit der DDR vom 21. Dezember 1972 rückt die Bundesrepublik erstmals von ihrem Anspruch ab, sie allein dürfe die Deutschen vertreten. Der Prager Vertrag vom 11. Dezember 1973 erklärt das Münchener Abkommen von 1938 über die Abtretung des Sudetengebiets an Hitlerdeutschland für nichtig.

Autor:

Katja Schmidtke

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