Wie Kriegstraumata vererbt werden
Die Bugwelle ist noch immer zu spüren

Foto: aufbau-verlage.de/ruetten-loening/

Noch 80 Jahren nach dem Kriegsende gibt es Familien, die von Kriegstraumata belastet sind.

Von Angelika Prauß

"Das ist noch nicht so lange her; die Bugwelle ist noch immer zu spüren", sagt Susanne Panter. Die 57-Jährige arbeitet als Herkunftsberaterin in Liederbach am Taunus. Unter ihren Klienten sind immer wieder Menschen, die Familiengeheimnisse und -tabus aufarbeiten möchten. Es sind diffuse Gefühle über Nichtgesagtes, die die Generation der Kriegskinder und der sogenannten Kriegsenkel prägen. Auch chronische Schmerzen, Schlaf- und Essstörungen, Depressionen und Ängste können auf Kriegstraumata hindeuten. Laut Forschungen können diese über epigenetische Strukturen in die folgenden Generationen übertragen werden.

Panter beobachtet bei vielen ihrer Klienten zudem eine besondere Mentalität – extreme Bescheidenheit, das Wegdrücken eigener Bedürfnisse, ein Unsichtbarsein und Nichtstörenwollen. Sie seien von der traumatisierten Kriegsgeneration nach dem Ideal der damals weit verbreiteten schwarzen Pädagogik mit fehlender emotionaler Nähe erzogen worden. Probleme, Beziehungen zu knüpfen und zu halten, anderen zu vertrauen, beruflich nicht Fuß fassen zu können, ein fehlendes Selbstwertgefühl oder ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis – dies alles können Zeichen sein, "dass es in der eigenen Familie etwas aufzuarbeiten gibt", so Panter.

chreibt. Die Geschichte spielt im Januar 1945. Die Protagonistin, Frieda, muss – nur mit dem Nötigsten am Leib und bei eisigen minus 30 Grad – über Nacht mit ihrer Tochter aus Schlesien fliehen. Ihr Mann Karl ist an der Front. Frieda und er haben einander versprochen, sich wiederzufinden. Die Geschichte folgt Frieda bis zur Generation ihrer Enkelin, die sich später fragen wird, warum sie Bindungen nur schwer eingehen kann – um sich schließlich auf eine spannende Spurensuche zu begeben.

Immer wiederkehrende Beziehungsprobleme brachten auch die Journalistin und Autorin Peggy Patzschke ins Grübeln, woher diese stammen könnten. "Warum schlage ich so aus der Art, und wovor laufe ich eigentlich weg? Nie kann ich den Dingen ihren Lauf lassen, muss immer alles kontrollieren, alles im Griff haben." Sie ahnt, dass ihre Probleme mit den Kriegserlebnissen ihrer Großmutter zusammenhängen könnten.

Selbst wer die Geschichte der eigenen Vorfahren nicht kenne, könne sie fühlen – "und das macht die Sache so kompliziert", schreibt Patzschke. Man wundere sich, plötzlich Dinge zu empfinden, "die wir uns nicht erklären können", gerate immer wieder in ähnliche Krisen oder stehe sich selbst im Weg auf eine Art und Weise, die uns verzweifeln lasse. "Alles ohne zu ahnen, dass die Wunden und Sehnsüchte derer, die vor uns waren, nicht verloren gehen. Sie wandern durch Generationen. So lange, bis wir uns ihnen widmen und damit den Teufelskreis durchbrechen."

(kna)

Patzschke, Peggy: Bis ans Meer, Rütten & Loening, 445 S., ISBN 978-3-352-01009-5; 22 Euro

Autor:

Online-Redaktion

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

39 folgen diesem Profil

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Video einbetten

Es können nur einzelne Videos der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Playlists, Streams oder Übersichtsseiten.

Abbrechen

Karte einbetten

Abbrechen

Social-Media Link einfügen

Es können nur einzelne Beiträge der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Übersichtsseiten.

Abbrechen

Code einbetten

Funktionalität des eingebetteten Codes ohne Gewähr. Bitte Einbettungen für Video, Social, Link und Maps mit dem vom System vorgesehenen Einbettungsfuntkionen vornehmen.
Abbrechen

Beitrag oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Schnappschuss einbetten

Abbrechen

Veranstaltung oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.