Edikt von Potsdam
Als verfolgte Protestanten Zuflucht fanden

Die Studentin Emily Krüger und der Historiker Alexander Schunka von der Freien Universität in Berlin haben das Potsdamer Toleranzedikt des Großen Kurfürsten vom 29. Oktober 1685 in modernes Deutsch übertragen. | Foto: epd-bild/Christian Walther
  • Die Studentin Emily Krüger und der Historiker Alexander Schunka von der Freien Universität in Berlin haben das Potsdamer Toleranzedikt des Großen Kurfürsten vom 29. Oktober 1685 in modernes Deutsch übertragen.
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Das Edikt von Potsdam von 1685, Schlüsseldokument deutscher Migrationsgeschichte, ist legendär, sprachlich aber so veraltet, dass es kaum noch jemand versteht. An der FU Berlin haben ein Professor und eine Studentin eine moderne Fassung erstellt.

Von Christian Walther 

Es ist ein erstaunliches Dokument früher Einwanderungspolitik: Das Edikt von Potsdam, vor 340 Jahren am 29. Oktober 1685 unterzeichnet, ermöglichte Tausenden protestantischen Glaubensflüchtlingen aus Frankreich eine sichere Zuflucht und geregelte Einwanderung nach Brandenburg-Preußen. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg sagte den Hugenotten Pässe, Transport, Zoll und Steuererleichterungen zu, die Förderung von Gewerbebetrieben, die Möglichkeit, ihre Sprache und ihren Glauben frei zu leben, sogar eigene Richter zu berufen.
Im Hugenottenmuseum im Französischen Dom in Berlin ist das Edikt bis an die Decke hoch auf die Wand geschrieben. In einer Mischung aus altem Deutsch, Französisch und Latein ist es für heutige Leser allerdings weitgehend unverständlich. Darum erarbeitete die Studentin Emily Krüger jetzt mit dem Historiker Alexander Schunka, Professor an der FU Berlin, eine moderne Fassung - auf Anregung des Museums.
In dieser würden nun auch für jedermann das politische Kalkül und die wirtschaftlichen Motive deutlich, erklärt Krüger, „die natürlich im Edikt nicht wörtlich genannt werden, aber aus dem Zusammenhang deutlich herauszulesen sind“. Religiöse Motive - Schutz der Glaubensflüchtlinge vor Verfolgung - treten hinter dem Wunsch zurück, die Wirtschaft zu modernisieren und das vom 30-jährigen Krieg entvölkerte Land wieder zu „peuplieren“, also zu bevölkern. Im Edikt wurde den Hugenotten sogar zugesagt, „verfallene, wüste oder beschädigte Häuser“, die von den Eigentümern nicht selbst wiederhergerichtet werden könnten, in Besitz nehmen zu können.
Aber vieles, was der Kurfürst den in Frankreich brutal verfolgten Protestanten großzügig in Aussicht stellte, erwies sich später als „Versprechungen, die sich in der Praxis vor Ort nicht haben umsetzen lassen“, resümiert Historiker Schunka. Zunächst erschien alles gut organisiert. Das in großer Zahl auf Französisch und Deutsch verbreitete Edikt benannte sogar die brandenburgischen Agenten, die in Frankfurt, Köln, Amsterdam und Hamburg für den weiteren Transport der Franzosen sorgen sollten. Zugleich führte es jene Orte auf, die für deren Ansiedlung infrage kamen - von Kleve bis Königsberg.
Mochte der Große Kurfürst auch mit Privilegien um die Zuwanderer werben, der Widerstand in der Bevölkerung war groß und teilweise gewalttätig. So beklagten sich die Hugenotten in Halle, dass sie „Beleidigungen in Wort und Tat“ erleiden müssten: „Man schlägt sie mit Knüppeln, man bewirft sie mit Steinen.“ Alteingesessene versagten den Eingewanderten jede Unterstützung, überließen ihnen weder verwaiste Häuser noch unbestellte Äcker, verweigerten bei Feuersbrünsten sogar die Löschmannschaften.
Und die gewährten Freiheiten der Berufsausübung und Förderungen besonders der „Gewerbebetriebe für Tuch, Stoffe, Hüte oder Sonstiges“, wurden von den Zünften sabotiert. Sie nahmen die oft höher qualifizierten Handwerker aus Frankreich einfach nicht auf, spielten die Zunftprivilegien gegen die Migranten aus.
Die Zuwanderung war des Volkes Sache nicht: „Die Bevölkerung hatte daran relativ wenig Interesse, weil es auch um Konkurrenz ging“, erläutert Schunka. Die Obrigkeit kam den Hugenotten immer wieder zur Hilfe, doch für manche Zuwanderer war der Widerstand zu groß. Sie wechselten in andere Länder, in die Niederlande, nach England oder gar - trotz aller Gefahren - zurück nach Frankreich. Die aber, die blieben, waren lange eine prägende Kraft: in Tabakanbau und Textilwirtschaft ebenso wie in der Akademie der Wissenschaften.
In Berlin entstand eine regelrechte Parallelgesellschaft der Hugenotten, mit eigenen Schulen, Kirchen, eigenem Krankenhaus und Altersheim. Um 1700 stellten sie rund ein Fünftel der Einwohner Berlins. Und die Franzosen konfrontierten die Alteingesessenen mit allerlei absonderlichen Gewohnheiten, beispielsweise dem Genuss von Spargel und Froschschenkeln.
„Toleranzedikt“ wird das Edikt von Potsdam auch genannt. Doch der Kurfürst selbst war Calvinist - die „Toleranz“ gegenüber den ebenfalls calvinistischen Hugenotten galt also seinesgleichen. Juden galt sie nicht, und ausdrücklich ausgeschlossen sind im Edikt Katholiken. Am ehesten ist das Edikt Ausdruck kultureller Toleranz.
Die Berliner Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial, die den Druck der neuen Fassung des Edikts in der Museumszeitung „esprit.“ gefördert hat, sagt: „Das Edikt von Potsdam muss Teil unserer Erinnerungskultur werden.“
Das Hugenottenmuseum hat die Auseinandersetzung mit dem Edikt ohnehin auf dem Plan. Jennifer Wilde, die im Sommer die Leitung des Hauses übernommen hat, ergänzt: „Wir wollen, dass sich mehr Schüler, mehr Berliner, mehr Migranten mit der Geschichte der Migration beschäftigen - einer Geschichte, die mit der Zuwanderung der Hugenotten nach Berlin-Brandenburg einen ersten Höhepunkt erreichte.“

(epd)

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