Halloween und Reformationsgedenken
Allerheiligen und Allerseelen

Zwischen Furcht und Verklärung - Halloween, Reformation, Allerheiligen und Allerseelen
Ab Ende des Oktobers häufen sich die Feste. Der Nebel ist dichter, die Luft riecht nach kühler Scholle und dunkler Erinnerung. Plötzlich, fast unmerklich, liegt über den Tagen und Nächten, die nun folgen, eine metaphysische Aufladung, welche das säkulare Bewusstsein kaum noch zu lesen weiß. Vier Feste – oder besser gesagt - vier Brennpunkte der geistigen Topographie des Abendlands rücken eng zusammen, wie Planeten in einer seltenen Konjunktion: Halloween, Reformation, Allerheiligen und Allerseelen. Zu dieser Zeit verdichtet sich, in bizarrer Überlagerung, das ganze Drama zwischen Glauben und Aberglauben, zwischen Furcht und Gnade, zwischen Maskierung und Offenbarung.

I. Das Gespenst in der Entsakralisierung
Die Halloweenspektakel sind zur Karikatur einer verlorenen Metaphysik geworden. Was einst ein wirkliches Schwellenfest war – das keltische Samhain als Übergang zwischen den Zeiten, an dem man die Nähe der Toten spürte –, ist heute zum Spektakel des absichtlich herbeigelachten Grausens geworden. Der Tod wird nicht mehr geachtet und gefürchtet, sondern albern verkleidet. Der Mensch spielt mit dem, was er nicht mehr glaubt.
Man hat das die „umgekehrte Liturgie der Albernheit“ genannt. Der Versuch, dem Numinosen die Zähne zu ziehen, indem man das Ganze Drama der Sterblichkeit in Zucker taucht. Und doch bleibt das Lachen und die Maskerade des Gruseligen eine - wenn auch unbewusste - Form der Anbetung. Es sind die unbewussten zynischen Reflexe einer ehemals großen und ernsthaften Kultur, die den Himmel nun verloren hat und sich ihn in „ironischen Exorzismen“ selber wieder zurück gibt – das vorletzte Stadium einer Zivilisation, die den Dämon nicht mehr austreibt, sondern ihn als Partythema recycelt.

II. Der reformatorische Schock
Der Reformationstag, am selben Datum, ist das Gegenprogramm. Luther schlug seine 95 Thesen nicht gegen die Kirche an das Tor der Schlosskirche zu Wittenberg, sondern gegen die von der Amtskirche ausgenutzte Angst der Menschen vor dem Tod und dem, was danach zu kommen man glauben sollte. Der Mensch, so entdeckte Martin Luther neu, sei kein Spielball göttlicher Willkür, sondern ein von Gnade Umfasster. Der Schrecken vor der eigenen Schuld, der im Mittelalter noch als gewaltig wirksamer Treibsatz des sakralen Allgemeingefühls galt, wurde umgeschmiedet in ein existentielles Vertrauen: Glaube als Durchbruch durch die Furcht hindurch.
Die neuere Theologie hat darin den Moment einer „inneren Transzendentalerfahrung“ sehen wollen. Dass der Mensch nämlich immer schon, wenn er in der Angst nach Sinn fragt, bereits im Raum der Gnade steht. Die Reformation war, in dieser Lesart, weniger Revolution als Offenlegung eines Urgeheimnisses – die Entdeckung, dass der Mensch nicht mehr vor Gott fliehen muss, weil Gott selbst der ist, der ihn sucht.

III. Die Gemeinschaft der Lebenden und der Vollendeten
Am 1. November antwortet die Kirche mit dem Fest Allerheiligen: nicht als Konkurrenz dieser wiederentdeckten positiven Erfahrungsmöglichkeit, sondern als Vertiefung. Das Heilige ist nicht die Ausnahme, sondern der Weg und zugleich das Ziel. Die Heiligen sind keine Übermenschen, sondern die realisierten Möglichkeiten des Menschseins. Sie sind so etwas wie eine „anthropologische Ikonostase“ für den Alltag - in ihnen leuchtet das Mysterium des Inkarnatorischen auf, die Verklärung des Staubs.

In der modernen Welt wurde der Heilige leicht zur moralischen Figur reduziert – als vorbildlicher Mensch, nicht als durchlichtetes Wesen. Doch das Christentum kennt keine Moral ohne Metaphysik. Der Heilige ist nicht Tugendbold, sondern Durchlässiger, ein Fenster auf das göttliche Licht hin. Karl Rahner sprach demzufolge auch vom „anonymen Heiligen“ – dem, der in der Stille Gottes Gegenwart in sich vollzieht. Man muss es schon bedauern und beklagen, dass die alte Liturgie, durch die das Heilige Gestalt annimmt, in der modernen Kirche zu allerlei niedrigschwelligem Ersatzstoff profaniert worden ist.

IV. Die Gedächtnisarbeit des Allerseelentages
Und schließlich Allerseelen, der Tag der stillen Erinnerung am 2. November. Dieser Tag zieht einen Kreis um alles Menschliche. Hier wird das Dogma zum Gebet, die Theologie zur Zärtlichkeit. Wir glauben an eine Gemeinschaft, die nicht zerreißt – weder durch Zeit noch durch Tod.
Joseph Ratzinger schrieb einmal, dass die Kirche nur dort wirklich sie selbst ist, wo sie „über die Grenzen des Todes hinaus betet“. Der Allerseelentag ist das große ökumenische Gebet zwischen den Welten: die communio sanctorum (Gemeinschaft der Heiligen) als innere Architektur der Liebe. Wer für die Verstorbenen betet, stellt sich gegen die Diktatur der Endlichkeit und versucht eine Aufwärtsbewegung des Sinns, die den Tod nicht negiert, sondern ihn in eine wichtige Stufe innerhalb der Kommunikation mit dem Ewigen verwandelt.

V. Schluss: Die verstellte Schwelle
So sind diese Tage – 31. Oktober bis 2. November – wie drei Akte eines Dramas: der Maskenball der Angst, die Befreiung des Gewissens, die Verklärung der Gemeinschaft. Der moderne Mensch wandelt durch sie hindurch, ohne zu wissen, dass er an einer liturgisch-existentiellen Schwelle steht. Er feiert auf allerlei alberne Weise das Grauen, ohne zu ahnen, dass er das Heilige damit verspottet und zugleich beschwört.

Vielleicht gehört es zur besseren Ironie Gottes, dass er selbst in der Karnevalisierung seiner Mysterien gegenwärtig bleibt – verborgen, aber wirksam. Denn solange der Mensch noch spielt, fürchtet, erinnert, sucht, ist er nicht verloren. Halloween, Reformation, Allerheiligen, Allerseelen – vier Tage, ein einziger Ruf: Erinnere dich, dass du mehr bist als sie dir sagen …

Autor:

Matthias Schollmeyer

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