«Das Leben in Vanuatu kann sehr schwer sein»
Wo das Glück wohnt

Ein Sofa mit Aussicht richtet eine Angestellte am Strand eines Hotels in Port Havannah auf Efate ein. Vanuatu wird immer weiter touristisch erschlossen. Doch dabei trifft der Kapitalismus auf ein Land, das kein individuelles Grund-eigentum kennt. Ausländische Firmen und Unternehmen verdienen dadurch viel Geld, aber bei den Ni-Vanuatu kommt davon nur sehr wenig an. | Foto: Katja Dorothea Buck
  • Ein Sofa mit Aussicht richtet eine Angestellte am Strand eines Hotels in Port Havannah auf Efate ein. Vanuatu wird immer weiter touristisch erschlossen. Doch dabei trifft der Kapitalismus auf ein Land, das kein individuelles Grund-eigentum kennt. Ausländische Firmen und Unternehmen verdienen dadurch viel Geld, aber bei den Ni-Vanuatu kommt davon nur sehr wenig an.
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Die Tübinger Religionswissenschaftlerin und Journalistin Katja Dorothea Buck ist vor einem Jahr nach Vanuatu gereist . Mit Judith Kubitscheck spricht sie über die Herausforderungen des Staates, in dem angeblich die glücklichsten Menschen der Welt leben.

Vanuatu – ein Land, das viele nicht einmal vom Hörensagen kennen. Wie würden Sie es beschreiben?
Katja Dorothea Buck: Vanuatu ist wunderschön und landschaftlich traumhaft, mit Menschen, die sehr berührend sind in ihrer Bescheidenheit, Freundlichkeit und Zufriedenheit. Mich hat auch ihre Resilienz gegenüber Naturkatastrophen beeindruckt.
Zu den naturgegebenen Katastrophen kommt noch der von Menschen gemachte Klimawandel. Die Zyklone werden immer heftiger. So hat der Zyklon Pam im März 2015 rund 90 Prozent der Infrastruktur in Vanuatu zerstört. Außerdem droht der steigende Meeresspiegel das Land zu erodieren.

Das klingt nicht so, als ob in Vanuatu die glücklichsten Menschen der Welt leben, wie es eine britische Stiftung herausgefunden haben will.
Das muss man differenziert sehen. Die Menschen sind sehr genügsam und zufrieden – und dankbar, dass sie alles, was sie zum Leben brauchen, aus dem Regenwald und dem Meer bekommen.
Aber schaut man hinter die Kulissen, zeigt sich, dass zum Beispiel das Leben für Frauen in dem Inselstaat sehr schwer sein kann. Laut einer Erhebung des Nationalen Frauenzentrums in Vanuatu haben über 60 Prozent der Frauen Gewalt in der Partnerschaft erlebt – ein Fünftel dieser Frauen hat davon sogar bleibende gesundheitliche Schäden, beispielsweise durch Angriffe mit Macheten. Diese Gewalt wird meist nicht polizeilich geahndet.

Woher kommt diese Gewalt gegenüber Frauen?
Viel hängt mit dem traditionellen Rollenverständnis zusammen. In Vanuatu sind Frauen für alles zuständig, während die Männer viele Freiheiten haben. Frauen sorgen für die Kinder, für Alte und Kranke, das Essen und auch für das Auskommen der Familie. Die Männer arbeiten zwar auch. Aber nach der Tradition ist das ihr Geld, mit dem sie machen können, was sie für richtig halten. Das ist die strukturelle Gewalt, die den Nährboden für die physische Gewalt bildet. Über diese Taten herrscht ein großes Schweigen, und viele Frauen nehmen das einfach hin – auch ihre festgeschriebene Rolle.

In Ihrem Buch «Vanuatu. Kleines Land im großen Meer» erzählen Sie vor allem von persönlichen Begegnungen mit den Menschen vor Ort. Was war eine Ihrer eindrücklichsten Begegnungen?
Bei dem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Nationalen Kirchenrats in Vanuatu wurde mir klar, dass die Menschen mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts doch sehr allein gelassen werden. Dem Land fehlen Geld und internationale Partner. Vanuatu ist eine sehr traditionelle Gesellschaft, die zwar Internet und Computer hat, aber auf sich alleine gestellt ist, wenn es darum geht, seinen Platz in einer globalisierten Welt zu finden, die nach kapitalistischen Spielregeln funktioniert. Zum Beispiel werden die Menschen in dem Inselstaat bei den Landrechten teils massiv über den Tisch gezogen.

Inwiefern?
Traditionell gehört in Vanuatu alles Land der Gemeinschaft, sei es einem Stamm oder einem Dorf. Individuelles Grundeigentum kennt man nicht. Gleichzeitig brauchen die Menschen aber Devisen, um Konsumgüter wie Autos oder Computer auf dem Weltmarkt zu kaufen. Internationale Immobilienmakler bieten den Stämmen Geld, damit diese ihr Land verkaufen. Doch die Geldsummen sind viel zu wenig. Die Immobilienmakler reservieren sich die schönsten Flecken der Insel, teilen diese in Parzellen auf und verkaufen sie für ein Vielfaches an einzelne Investoren.
Ausländische Firmen und Unternehmen verdienen an diesem «Mallorca für Australier» viel Geld, aber bei den Menschen in Vanuatu kommt nur sehr wenig davon an. Ich frage mich, wie es diesem Land in 20 oder 25 Jahren gehen wird. Ist es den Herausforderungen des Klimawandels und des Kapitalismus gewachsen? Klar ist, dort wird sich einiges verändern. Wahrscheinlich leider nicht alles zum Guten.

Was erhoffen Sie sich vom Weltgebetstag, zu dem Vanuatu in diesem Jahr im Mittelpunkt stehen wird?
Ich hoffe, dass viele anfangen, sich für diesen Inselstaat mit seiner wunderschönen Landschaft und den wunderbaren Menschen zu interessieren, auch wenn wegen Corona leider manche Veranstaltungen ausfallen oder nur digital möglich sind. Wahrscheinlich geht es vielen Menschen so wie mir noch vor anderthalb Jahren, dass sie gar nicht wissen, dass es dieses Land überhaupt gibt. Seit ich in Vanuatu war, ist mir dieses Land nicht mehr egal. Hoffentlich geht es auch anderen so.

(epd)

Kleines Land im großen Meer

Autor:

Online-Redaktion

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