Georg Wilhelm Friedrich Hegel (Teil 1)
Losungszufälle

Die Religiosität Hegels – Versuch über väterliche Korrektur und dialektische Heimkehr

Wir verdanken ihm sehr viel. Denn das heutige Geburtstagskind Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat die Religion nie als sentimentales Anästhetikum für sonntägliche Morgenstunden gedeutet, sondern als das große Bildungsdrama des Weltgeistes. Wenn er vom Christentum sprach, dann niemals als vom frommen Schmuck des Feieralltags, sondern als von der geschichtlich gewordenen Selbstoffenbarung des absoluten Geistes. Religion, das ist bei Hegel keine Stimmung, sondern ein Weltprozess.

Die heutige Tageslosung lässt sich, hegelschem Sinn gemäß, als eine Miniatur dieses Prozesses lesen: „Wen der Herr liebt, den weist er zurecht.“ (Sprüche 3,12). Hier beginnt das Drama: die Zurechtweisung, das Nein, der Einspruch Gottes gegen die Selbstgenügsamkeit des Menschen. Hegel hätte darin das erste Moment der Dialektik gesehen: die Negativität, die Korrektur, die Erfahrung des Scheiterns. Erst durch den Widerstand der göttlichen Instanz gewinnt der Mensch Bewusstsein seiner eigenen Begrenzung.

Und doch bleibt es dann nicht beim Nein. „Er hat Wohlgefallen an ihm wie ein Vater am Sohn.“ Im Lichte Hegels zeigt sich hier das zweite Moment: die Aufhebung, die Versöhnung. Der Sohn wird nicht nur gezüchtigt, er wird ins Verhältnis gesetzt, in das Verhältnis zum Vater, das weder bloße Härte noch bloßes Schmeicheln kennt, sondern Anerkennung. In dieser Anerkennung, in diesem „Wohlgefallen“, ahnt Hegel das, was er „absolute Freiheit und Versöhnung“ nennt: die Erfahrung, dass das Endliche nicht zerstört, sondern durch das Unendliche in seiner Wahrheit erhalten wird.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn radikalisiert diese Bewegung. Hierher stammt der Lehrtext, den wir im kleinen blauen Losungsbüchlein der Zinzendorfer aufblättern (Lukas 15,32): Der Sohn, der sich in die Ferne verliert, ist der Geist, der sich in die Weltgeschichte hinauswirft – Revolutionen, Kriege, Exzesse eingeschlossen. Die Heimkehr des Sohnes ist dann das Moment, in dem der Geist aus seiner Selbstentfremdung in die Versöhnung zurückkehrt. Der ältere Bruder, der sich verweigert, repräsentiert jene Haltung, die Hegel „verstockte Moralität“ nennen würde: die Weigerung, den dialektischen Prozess zu vollziehen und die Negativität als Moment des Ganzen anzuerkennen.

So liegt in der kleinen Tageslosung und ihrer neutestamentlichen Ausdeutung die ganze große Hegelsche Theologie kondensiert: Gott ist nicht das äußerliche Regiment über die Welt, sondern das Prinzip, das die Welt durch Negation und Versöhnung zu sich selbst zurückführt. Zurechtweisung und Wohlgefallen, Strafe und Feier, Tod und Auferstehen – das sind nicht zufällige Metaphern, sondern die Struktur des Geistes selbst.

Hegels Religiosität ist damit eine Religiosität des Ernstfalls. Kein süßes Evangelium, sondern eine Logik der Heimkehr, in der das Nein Gottes die Voraussetzung seiner endgültigen Ja-Sage ist. Das heutige Losungswort, sprich: die väterliche Korrektur, wäre dann der Hinweis, dass Liebe ohne Kritik bloß Sentimentalität bleibt. Gott, der Vater, ist bei Hegel kein weichgezeichnetes Urbild, sondern der Vollstrecker der Dialektik – und eben darum der Garant, dass der verlorene Sohn nicht im Fremden verhungert, sondern in die Wahrheit zurückkehrt.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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