Blickwechsel
Kenia: Warum der Präsident die Hände faltet

Foto: pixabay.de/Gordon Johnson

Es darf keine Staatsreligion geben.» So steht es in der kenianischen Verfassung, die auch das Recht auf Religionsfreiheit sichert.

von Birte Mensing

Aber als der Oberste Gerichtshof des ostafrikanischen Landes vor einem Monat den Wahlsieg von Präsident William Ruto verkündete, sagte dessen Vize Rigathi Gachagua: «Dieser Sieg ist das Werk Gottes.» Und auch Ruto selbst erklärte auf Twitter: «Was bei den Menschen unmöglich ist, ist mit Gott möglich. Denn mit Gott sind alle Dinge möglich.» Diese proklamierte Nähe zu Gott und den Kirchen hält seitdem an.

Kenia ist ein säkulares Land, Staat und Kirche sind getrennt. Bei der Siegesparty am Tag des Gerichtsurteils gab es nicht nur ein christliches, sondern auch ein muslimisches Gebet. Doch seit dem Amtsantritt Rutos beginnen die Kabinettssitzungen mit einem christlichen Gebet, Fotos davon werden in den sozialen Medien veröffentlicht.

Die Verschmelzung von Staat und Religion könnte problematisch werden, befürchtet die Soziologin Awino Okech: «Meiner Ansicht nach ist eine Präsidentschaft, die öffentlich die zentrale Stellung religiöser Führer und das Christentum als Regierungsprinzip hervorhebt, in einem säkularen Staat ein Grund zur Sorge», kommentierte sie für das Onlineportal «The Conversation». Weltweit schränke religiöser Fundamentalismus die Freiheit der Menschen ein.

Tatsächlich haben evangelikale Gruppen für Rutos Wahlkampf - ähnlich wie bei Donald Trumps Kampagne in den USA oder für Jair Bolsonaro in Brasilien - eine wichtige Rolle gespielt. Mehr als 85 Prozent der Bevölkerung sind einer Kirche zugehörig. Immer mehr Menschen gehören den stetig wachsenden Pfingstkirchen an, deren Pastoren großen Einfluss auf ihre Gemeinde haben. Mit Spenden und gemeinsamen Gebetsveranstaltungen nahm Ruto die Kirchenführer für sich ein.


"Treibende Kraft hinter Rutos öffentlich ausgelebter Frömmigkeit ist seine Frau Rachel, die sich selbst ›Gebetskriegerin‹ nennt"

Obwohl Ruto erst seit gut drei Wochen im Amt ist, flammen Debatten über das Verbot von Homosexualität im Film wieder auf, aktuell geht es um Einschränkungen beim Streaminganbieter Netflix. Der Direktor der Filmbehörde, Christopher Wambua, äußerte kürzlich, dass zu Ende des Jahres auch Netflix sich an das bestehende Verbot halten und sein verfügbares Programm in Kenia anpassen müsse. Die Linie der alten Regierung wird so fortgesetzt.

Eine treibende Kraft hinter Rutos öffentlich ausgelebter Frömmigkeit ist seine Frau Rachel, die sich selbst «Prayer Warrior», also «Gebetskriegerin», nennt. Ihren Gebeten sei sein Erfolg zu verdanken, sagt der Präsident. In den vergangenen Wochen hat sie sich bereits mit Geistlichen mehrerer Länder getroffen. Auf dem Grundstück der Familie steht eine eigens erbaute Kirche.

Gleichwohl waren schon Rutos politische Anfänge eng mit der Kirche verbunden. Er war bei der christlichen Studentenunion aktiv, weswegen der damalige Präsident Daniel arap Moi ihn zu seinem politischen Zögling machte. «Er hat mich in die Politik eingeführt und mir die Kultur der dienenden Führung eingetrichtert», sagte Ruto in einem Interview im Frühjahr über Moi. Jeden Sonntag wurde Mois Kirchgang im Fernsehen übertragen.

Trotzdem behalten viele Kirchenvertreter eine kritische Haltung, prangern die Folter und Menschenrechtsverstöße des Moi-Regimes an. Der anglikanische Bischof Alexander Muge zum Beispiel, der 1990 bei einem Autounfall starb. Die Moi-Regierung war damals im Verdacht, daran beteiligt zu sein.

Mit Blick auf etliche Korruptionsskandale, in die Ruto und sein Vize Gachagua verwickelt waren, hält der Oppositionspolitiker und Sozialaktivist Boniface Mwangi die demonstrativ zur Schau gestellte Frömmigkeit der beiden für Heuchelei. Auf Twitter rief er zudem dazu auf, die religiöse Zurschaustellung zu beenden: «Das Thema Gott ist privat.» Doch Rutos Frau hat bereits angekündigt, monatliche Gebetskreise im Präsidentensitz zu veranstalten. Es sieht so aus, als ginge die Inszenierung gerade erst richtig los.

(epd)

Autor:

Online-Redaktion

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