Der mediale Umgang mit Fehlern
Eingestehen und Neuanfang signalisieren

Holger Zaborowski   | Foto: Bruno Sonnen

Die Entschuldigung der ehemaligen Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) für ihr Verhalten während der Flutkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 stieß auf viel Kritik. Kaum eine öffentliche Entschuldigung in den vergangenen Jahren wurde nicht anschließend "zerpflückt". Haben sich die Maßstäbe verschoben? Oder sind es medial überhitzte Debatten? Karin Wollschläger fragte nach bei Holger Zaborowski, Philosoph an der Katholischen Fakultät der Universität Erfurt.

Ist es heutzutage schwieriger geworden, sich öffentlich zu entschuldigen?
Holger Zaborowski: Ja, das ist schwieriger geworden. Das hat damit zu tun, dass sich die Situation durch die sozialen Medien und das Internet enorm verändert hat. Das führt auch zu Verzerrungen und Zuspitzungen, bei denen man zu Recht fragen kann: Ist da das rechte Maß noch gegeben? Heute entsteht schnell ein "shit storm", während man früher langsamer und oft auch ausgewogener geurteilt hat. Insofern ist für alle, die in der Öffentlichkeit stehen, ihre Tätigkeit herausfordernder geworden.

Wann scheitern heute Entschuldigungen?
Entschuldigungen sollten nicht zu phrasenhaft oder zu kühl und rational, aber auch nicht zu emotional sein. Und: Eine Entschuldigung darf nicht als Mittel des politischen Kalküls eingesetzt oder instrumentalisiert werden – als letzte Möglichkeit, um den eigenen Kopf noch zu retten. Wir haben ja in den vergangenen Jahren viele Fälle in Politik, Wirtschaft und Kirche gehabt, wo sich der Eindruck aufdrängte: Nur wenn’s nicht mehr anders geht, werden Fehler eingeräumt. Das ist eine schlechte Grundlage dafür, dass die Entschuldigung angenommen wird.

Braucht es eine neue Entschuldigungskultur?
Angesichts vieler misslungener Entschuldigungen benötigen wir sicherlich einen neuen Umgang. Allerdings haben sich die Kriterien gelungener Entschuldigungen im Vergleich zu früher nicht wesentlich geändert. Wichtigster Punkt ist, dass die Entschuldigung ernst gemeint ist. Sie sollte aus dem Herzen kommen. Sie sollte zeitnah und aus eigener Initiative geschehen. Es geht darum, Fehler wirklich einzugestehen und deutlich zu machen: Ich möchte einen ehrlichen Neuanfang machen.

Es kommt darauf an, konkrete Signale zu setzen, wie ein Neuanfang möglich ist und wie der Umgang mit der eigenen Schuld aussieht. Hier reichen nicht nur Worte. Taten sind gefordert. Das setzt voraus, dass man diejenigen, bei denen man sich entschuldigt, anhört und anerkennt, welche Fragen oder Erwartungen es gibt. Und es ist wichtig, dass das, was man getan hat, überhaupt entschuldbar ist.

Kann es auch sein, dass die Fehlertoleranz gesunken ist? 2021 hob Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine unmittelbar zuvor beschlossene Ausweitung der Osterruhe auf und entschuldigte sich. Sie sagte, es sei ihr Fehler gewesen, der Fehler müsse auch als solcher "benannt und korrigiert werden". Also im Prinzip hat sie beim Entschuldigen alles richtig gemacht – wurde aber dennoch kritisiert.
In der Tat gibt es Anzeichen dafür, dass die Öffentlichkeit hier manchmal überreagiert und wenig Verständnis zeigt, wo dies eigentlich geboten wäre. Das müssen wir uns selbstkritisch vor Augen führen. Gerade wer große Verantwortung trägt, macht auch Fehler. In einer Krisensituation ist das natürlich besonders oft der Fall, zumal dann häufig auch schnell Entscheidungen gefällt werden müssen. Ja, es gibt eine öffentliche Ungeduld, wenn Politiker Fehler machen. Aber eine aufgeklärte Öffentlichkeit hat auch ein Recht zu erfahren, was bei einem Fehler passiert ist, und wer dafür verantwortlich ist.

Was folgt daraus?
Ich sehe es als Fortschritt, dass wir von Politikern eine bestimmte Form des Verhaltens oder Standards verlangen und eindeutiges Fehlverhalten nicht tolerieren. Das ist kein Moralismus. Wer sich nicht an diese Erwartungen hält, muss dann auch die Konsequenzen tragen. Das kann die Konsequenz sein, sich zu entschuldigen und klare Signale der Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld zu senden, oder die Entscheidung, zurückzutreten, damit das Amt nicht weiter beschädigt wird.

(kna)

Autor:

Online-Redaktion

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