Bartning-Notkirche № 6
Die Offenbarungskirche in Berlin-Friedrichshain

Offenbarungskirche Berlin-Friedrichshain | Foto: Nicor, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1159773
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  • Offenbarungskirche Berlin-Friedrichshain
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Nach dem Zweiten Weltkrieg sind in Deutschland im Jahr 1945 zahlreiche Kirchen beschädigt oder zerstört. Zugleich kommen als Folge des Zweiten Weltkriegs mehr als 4,3 Millionen Vertriebene in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ, ab 1949: DDR). Die meisten von ihnen sind katholischen oder evangelischen Glaubens – und suchen eine neue Heimstatt für ihren Glauben. Was also tun?

Ein Versuch der Problemlösung sind die sogenannten „Notkirchen“ oder Bartning-Kirchen. Um diese Bauwerke in Mitteldeutschland und darüber hinaus geht es in dieser kleinen Serie. Heute: die Offenbarungskirche in Berlin-Friedrichshain, eine jener Bartning-Notkirchen.

Die Offenbarungskirche ist eine evangelische Kirche in Berlins Stadtteil Friedrichshain. Sie ist eine von insgesamt 43 Notkirchen in Deutschland, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach dem Entwurf des Bauhaus-Architekten Otto Bartning entstanden.

Das Gotteshaus gehört zur Evangelischen Kirchengemeinde Boxhagen-Stralau im Kirchenkreis Berlin Stadtmitte, es ist eine von drei Gottesdienststätten der Gemeinde und der zentrale Ort der Gemeindearbeit. Die Kirche ist Teil eines multifunktionellen Gemeindezentrums, zu dem auch Gruppenräume gehören.

Entstehung
Otto Bartning (1883–1959) gilt als Pionier der Serienfertigung und des Montagebaus, er übertrug diese Prinzipien, die er im Sakralbau erstmals in der weltberühmten Stahlkirche 1928 (Köln, ab 1931: Essen) anwandte, nach dem Zweiten Weltkrieg auf seine sogenannten Notkirchen.

Nach Bartnings Entwurf entstanden zwischen 1948 und 1951 in Deutschland 43 Kirchen, die in einer Kombination von Auslands- und Selbsthilfe errichtet wurden. Für jede der gebauten Notkirchen kam eine Spende von 10.000 US-Dollar aus dem Ausland, die vorgefertigten Holzbinder für das Grundgerüst der Kirche wurden geliefert und vor Ort endmontiert. Zum Verfüllen des Gerüstes wurden häufig Trümmersteine benutzt, an den Arbeiten vor Ort war die jeweilige Kirchgemeinde beteiligt.

Wer aus der Bezeichnung „Notkirche“ das Wort Not dabei mit Mangel an Baumaterialien oder billig interpretiert, geht fehl: Gemeint war, dass diese Neubauten mit hoher Symbolkraft – als „Zelt in der Wüste“ – in schlichter Form der geistigen Not und dem Umherirren nach dem Krieg ein Ende setzen sollten. Zugleich diktierte der Nachkriegsmangel das Baukonzept.

„So musste Stein hier unverputzter Stein, Holz gewachsenes Holz und Stahl unverkleideter Stahl sein“, so Bartning bei der Einweihung der ersten Notkirche in Pforzheim.

Bauwerk und Ausstattung
Die Offenbarungskirche war Berlins erster Kirchen-Neubau nach dem Zweiten Weltkrieg, sie wurde vom Schweizer Hilfswerk der Evangelischen Kirche gestiftet. Für den Kirchbau tauschte die Gemeinde ein Grundstück am Wühlischplatz gegen das Grundstück in der Simplonstraße, auf dem zuvor Trümmer beseitigt werden mussten. Am 21. September 1948 wurde der Grundstein gelegt.

Nach einem Jahr Bauzeit wurde die Kirche am 25. September 1949 eingeweiht. Das angebaute Gemeindehaus wurde 1954 vollendet. Der Bau entstand zur Zeit der Planung, Errichtung und Fertigstellung der Kirche im Sowjetischen Sektor Berlins und zudem im politischen Umfeld des Sowjetischen Besatzungszone: Die DDR wurde kurze Zeit nach der Kirchweihe gegründet.

Der Gebäudekomplex Offenbarungskirche präsentiert sich als freistehendes Bauwerk im städtebaulichen Umfeld, das von geschlossener Bebauung mit typischen Berliner fünfgeschossigen gründerzeitlichen Mietskasernen geprägt ist.

Zur Straßenseite ist das Gebäude etwas zurückgesetzt zur Bauflucht der Blockrandbebauung. Der teils eingeschossige, teils zweigeschossige Gebäudekomplex ist somit niedriger als die umgebende Wohnbebauung – untypisch für eine innerstädtische Kirche. Sie entspricht damit optisch und architektonisch bereits der veränderten Rolle der Kirche in der DDR und in Ost-Berlin beziehungsweise im Sowjetischen Sektor.

Der Kirchenraum gehört zum Gebäudekomplex mit Gemeindehaus, Pfarrwohnung und Gemeindebüro. Das Gebäude besteht aus zwei Gebäudeteilen: dem Kirchengebäude – also der Bartning-Kirche –, das traufseitig zur Straße steht, und dem nordwestlich angebauten giebelständigen Pfarr- und Gemeindehaus. Jenes Gebäude ist mit Dachetage zweigeschossig – und überragt damit den Gebäudeteil der Kirche.

Beide Gebäudeteile gehen funktional ineinander über. Hinter und auf beiden Seiten des Komplexes ist der Gemeindegarten, der von der Gemeinde genutzt wird.

Die Offenbarungskirche ist ein länglicher Bau mit einem vieleckigen Chorraum. Der Kirchraum erhält Licht durch das umlaufende Fensterband (Obergaden). Das Dach ist mit Holzschindeln gedeckt. Das Gotteshaus hat keinen Kirchturm, sondern einen Dachreiter mit Kreuz.

Die bauliche Grundidee des Kirchenraums sind hintereinander gestellte hölzerne Bögen, die eine Außenhaut tragen. Alle Bauelemente sind sichtbar, nichts ist versteckt. Der von ganz unten aufsteigende Bogen der Dachkonstruktion lässt noch die Verwurzelung im Expressionismus ahnen.

Im Jahr 1962 kam die Schuke-Orgel dazu, dem Baukonzept folgend nicht auf der Empore, sondern sichtbar und ebenerdig im Blickfeld der Gemeinde. 1979 wurden der Altarraum neu gestaltet und die Innenwände geweißt.

Bartning-Kirchen
Die Bartning-Notkirchen entstanden aufgrund des Kirchbauprogramms des Evangelischen Hilfswerks, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der genannte Architekt Otto Bartning entwickelte. Das Programm hatte zum Ziel, den Mangel an gottesdienstlichen Räumen zu lindern. Ursachen waren die Zerstörung vieler Kirchen im Zweiten Weltkrieg und der Zuzug von Millionen christlichen Flüchtlingen aufgrund der Vertreibung aus deren Heimat.

Finanziert haben diese Gotteshäuser der Weltrat der Kirchen in Genf, die Lutheran World Federation, die Evangelical and Reformed Church, die Presbyterian Church und das Schweizer Hilfswerk – die Kosten pro Gotteshaus betrugen jeweils 10.000 US-Dollar.

Otto Bartning entwarf einen Modellraum in Leichtbauweise aus vorgefertigten, genormten Einzelteilen. Die Notkirchen, für die er auf einen Entwurf von 1922 zurückgriff, haben als Besonderheiten ein sogenanntes Fensterband im Obergaden und das an einen Schiffsbauch erinnernde Kirchenschiff.

Dank der Fertigbauteile und der Mitarbeit der Gemeinde kostete der Bau einer Bartning-Kirche nur etwa die Hälfte dessen, was damals ein Kirchenbau in Massivbauweise gekostet hätte. In einer solchen Kirche finden zwischen 350 und 500 Gottesdienstbesucher Platz. Integriert waren meist eine Sakristei und ein abtrennbarer Gemeinderaum unter der Empore.

Das benötigte Holz für das zeltförmige Tragwerk, die Einbauten und das Gestühl stifteten überwiegend Gemeinden in Skandinavien oder den USA. Das tragende Gerüst aus sieben hölzernen Dreigelenkbindern wurde in wenigen Tagen auf dem von der Kirchgemeinde zu errichtetem Fundament aufgestellt. Von da an organisierte die Kirchgemeinde alles Weitere selbst.

Das Grundmodell ließ sich leicht lokalen Bedürfnissen anpassen. Für die nichttragenden Wände wurden oft Trümmersteine verwendet. Der Kirchturm wurde häufig seitlich an der symmetrischen Westfassade angesetzt.

Es gab zwei Typen dieses Kirchenbaus: Typ A mit Spitztonnengewölbe und gemauertem Altarraum – er wurde wegen der aufwendigeren Dachkonstruktion nur zweimal errichtet.

Den Typ B als „Saalkirche mit Satteldach“ gab es mit drei verschiedenen Chorabschlüssen: mit polygonalem Altarraum, mit angemauertem Altarraum oder ohne gesonderten Altarraum.

Entstanden sind 41 Gotteshäuser vom Typ B, zwei davon wurden später an einen anderen Ort umgesetzt. Zwei der Bartning-Kirchen – die in Aachen und in Düsseldorf – wurden später abgebrochen; von der Notkirche in Hannover-List wurden die Binder in einer anderen Kirche wiederverwendet.

Bartning-Kirchen galten – anders als es die Bezeichnung „Notkirche“ vermuten lässt – von Anfang an keineswegs als Provisorien. Das zeigt sich auch daran, dass in den vergangenen Jahrzehnten Denkmalschutzbehörden in einigen Fällen den Abriss einer solchen Notkirche wie auch den Bau eines Nachfolge-Gotteshauses verhindert haben.

Bartning-Kirchen in der DDR
Auf dem damaligen Gebiet der DDR entstanden als Bartning-Notkirchen folgende Gotteshäuser: Gnadenkirche Chemnitz-Borna, Friedenskirche Dresden-Löbtau, Trinitatiskirche Leipzig-Reudnitz, Justus-Jonas-Kirche Nordhausen-Salza, Johann-Sebastian-Bach-Kirche Forst, Johanniskirche Rostock, Friedenskirche Stralsund, Neue Kirche Wismar sowie diese Kirche in Berlin. Hinzu kam im Jahr 1950 als Bartning-Diasporakapelle die Cyriakkapelle Erfurt.

Jüngere Vergangenheit
Die Offenbarungskirche ist seit 1998 die Hauptkirche der aus Fusion entstandenen Kirchgemeinde Boxhagen-Stralau – aus vier Gemeinden bis 1998 entstand die neue Gemeinde. Zur Gemeinde Boxhagen-Stralau gehören daher heute auch die Dorfkirche Stralau und die Zwingli-Kirche. Die auch im Gemeindegebiet liegende, von der einstige Verheißungsgemeinde genutzte Verheißungskirche wird von der Gemeinde nicht mehr genutzt.

Bauliche Gegenwart
Im Gotteshaus sind im Original der Altar, der farblich abgestimmte Bretterfußboden und die Bänke bewahrt, neueren Datums sind Kanzel und Beleuchtung.

Von 2002 bis 2005 erfolgte die denkmalschutzgerechte Restaurierung, dabei wurde der Eingangsvorbau von 1954 wiederhergestellt, das Dach wieder mit unterschiedlich getönten Holzschindeln eingedeckt und Kirche außen glatt verputzt – was dem ursprünglichen Aussehen entspricht.

Koordinaten: 52° 30′ 26,1″ N, 13° 27′ 41,1″ O

https://de.wikipedia.org/wiki/Offenbarungskirche_(Berlin)
(dort auch Verzeichnis der Autoren; Textnutzung entsprechend Creative Commons CC BY-SA 4.0)

Offenbarungskirche Berlin-Friedrichshain | Foto: Nicor, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1159773
1949 wenige Wochen vor der Fertigstellung | Foto: Bundesarchiv, Bild 183-S88565/Bödel, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5436620
Schuke-Orgel von 1962 | Foto: Wolfgang Reich, CC-BY-SA-4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=115417231
Autor:

Holger Zürch

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