Freitag vor Eins
Unsere Seite 1 – Mehr als Statistik und Haushaltspläne

„Gottes Rapper heiratet Jesus“ titelte die Zeitung mit den vier großen Buchstaben vor einigen Tagen. Was um Himmels Willen soll das nun wieder sein, frage ich mich unweigerlich. Die Auflösung ist vergleichsweise simpel: Rapper Kevin Neumann, der seinen christlichen Glauben in Texten verarbeitet und ins Zentrum seiner Musik stellt, hat die ehemalige Hamburger Schönheitskönigin Ronja de Jesus geheiratet. Beide erzählen, wie Gott höchstselbst sie wohl zusammengeführt hat und die Liebe zwischen ihnen wuchs.

Was um Himmels Willen soll das nun wieder, frage ich mich auch, wenn ich die Berichterstattung über die Kirchenaustrittszahlen der Katholischen Kirche beobachte – keine Angst, wir Protestanten sind da auch nicht besser. Es gehört mittlerweile zum festen Ritual beider großen Kirchen, jährlich in Pressekonferenzen über die schwindenden Mitgliederzahlen zu berichten. Die Analyse wird dann uns Journalisten überlassen. In den Hauptnachrichten des ZDF wurden gar fünf Minuten Sendezeit auf dieses Thema verwandt. Von einem schweren Tag war da die Rede, von Kirchenflucht, von einer Glaubens- und Vertrauenskrise. Und die Bedeutung des Mitgliederschwundes für Kirche und Gesellschaft werden durchdiskutiert – von Schulen in kirchlicher Trägerschaft, caritativen / diakonischen Einrichtungen und Kirchenfinanzen. Der Hauptgrund für den Mitgliederschwund ist der Missbrauchsskandal.

Klar, Missstände und Missetaten müssen aufgearbeitet, Verantwortlichkeiten benannt, Konsequenzen gezogen werden. Aber: Greift es nicht zu kurz, wenn die Bedeutung der Kirche nur in Mitgliederzahlen oder Austrittswellen bemessen wird? In meiner Bibel steht nicht: „Ihr seid nur relevant, wenn ihr viele seid“. Dort steht etwa: „Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte; das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen“ (Matthäus 13, Verse 31 und 32). Oder: „Denn wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin!, so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein“ (Matthäus 17, Vers 20).

Was bringt der Blick auf die bloße Statistik? Ist Kirche nicht eher die verkündigte Frohe Botschaft im Gottesdienst, das Lachen in der Krabbelgruppe im Gemeindezentrum, das gesprochene Gebet am Krankenbett, die Umarmung der Hinterbliebenen am Grab? Ist Kirche nicht die Nähe des Auferstandenen in Taufe oder Abendmahl? Ist Kirche nicht der weitergegebene Glaube im Konfi- oder Taufunterricht? Ist Kirche nicht die gesungene oder musizierte Predigt des Gospel- oder Posaunenchores? Nur schaffen es diese Themen selten in die Hauptnachrichten. Für mich ist Kirche mehr, als es Statistiken oder Haushaltspläne verkörpern. Und daher freue ich mich auch vielmehr darüber, zu lesen, dass am vergangenen Wochenende im Kirchenkreis Stendal mehr als 60 Menschen in der Elbe getauft wurden.

Und ich freue mich über die aktuelle Ausgabe der „Glaube + Heimat“, in der wir uns mit einem schwierigen Erbe der Kirche auseinandersetzen.

Viel Vergnügen beim Lesen wünscht
André Poppowitsch

Unsere Themen

  • Das toxische Erbe - Grautöne: Das kirchliche Erbe der NS-Zeit ist nicht schwarz-weiß. Auch die vermeintlichen Helden des Widerstands sind aus heutiger Sicht ambivalent, wie eine Tagung zeigte.
  • Umgang mit dem NS-Erbe - Erinnerungskultur: Schon der Begriff stand bei der Podiumsdiskussion der Tagung "Medien des Kirchenkampfes" auf dem Prüfstand. Einig war man sich indes, dass die Erinnerung wach gehalten werden muss.
  • Streitfall Altes Testament - Das Alte Testament traf in der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch im Kaiserreich und in der Weimarer Republik auf Vorbehalte und Ablehnung. Aber es gab damals auch verteidigende Stimmen.

Und außerdem

Ohne Gott und Kirche?
Der Jüngste spielt Tenor

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Autor:

André Poppowitsch

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