Klassik Stiftung erhält Werke von Thalmann
"Auf Augenhöhe mit Feininger"
- Mehrere Grafik-Mappen, ein frühes Gemälde, Fotografien und Bücher mit von Thalmann gestalteten Einbänden liegen auf dem großen Besprechungstisch im Studiensaal der Graphischen Sammlungen im ersten Stock des Goethe-Nationalmuseums.
- Foto: epd-bild/Maik Schuck
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Das Werk des Bauhaus-Jungmeisters und Buchgestalters Max Thalmann ist zuletzt etwas in Vergessenheit geraten. Die Klassik Stiftung Weimar hat Grafiken aus seinem Frühwerk für einen symbolischen Preis erworben - und ist begeistert.
Von Matthias Thüsing
Zum Ende seines künstlerischen Schaffens galt Max Thalmann als „gottbegnadet“. Einen Monat vor seinem Tod im September 1944 adelte ihn das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels (1897-1945) mit der Aufnahme in die gleichnamige Liste der unersetzlichen Künstler des nationalsozialistischen Deutschland. Seinen künstlerischen Zenit hatte der 1890 in Rudolstadt geborene Thalmann da schon lange überschritten. Seit 1927 arbeitete er als Buchgestalter für den Verlag Eugen Diederichs in Jena, der sich nach 1933 hinsichtlich des Verlagsprogramms der künstlerischen Gestaltung seiner Einbände dem NS-Regime unterordnete.
Seit 1978 ist die Direktion Museen der Klassik-Stiftung Weimar im Besitz des Künstler-Nachlasses. „Interessanterweise enthält der umfangreiche Nachlass nur vergleichsweise wenige Werke aus der Zeit nach 1933“, sagt der Kustos der Graphischen Sammlungen, Stephan Dahme. Es scheine fast, als habe Thalmann diesen Teil seines Werkes nicht allzu hoch geschätzt. Umso erfreuter war Dahme, als der Stiftung kürzlich rund 80 weitere Kunstwerke des einstigen Bauhäuslers aus der Frühzeit seines Schaffens zur Prüfung einer Übernahme angeboten wurden.
Mehrere Grafik-Mappen, ein frühes Gemälde, Fotografien und Bücher mit von Thalmann gestalteten Einbänden liegen auf dem großen Besprechungstisch im Studiensaal der Graphischen Sammlungen im ersten Stock des Goethe-Nationalmuseums. Vorsichtig öffnet Dahme die monumentale Mappe „Der Dom“ (1923). Er präsentiert einen großformatigen Holzschnitt nach dem anderen. Alle enthalten ein Monogramm und sind mit Bleistift signiert. Hier stehe Thalmann in seinem künstlerischen Zenit, sagt Dahme. Die Arbeiten ähnelten in ihrer Expressivität und der stark abstrahierten Darstellung des Kirchenraumes den Werken eines großen Bauhausmeisters: „Das ist Kunst auf Augenhöhe mit Lyonel Feininger.“
„Die hervorragend erhaltenen Werke konnten wir zu einem symbolischen Preis erwerben“, sagt die Direktorin der Stiftungsmuseen, Annette Ludwig, Fast möchte sie daher von einer großzügigen Schenkung sprechen. Sie stamme von Jens Henkel, dem langjährigen Kustos der Rudolstädter Heidecksburg, der zudem die bislang einzige Biografie zum Künstler verfasst habe. Henkel habe die Kunst im Zuge seiner intensiven Beschäftigung mit Thalmann nach und nach für sich erworben und nun entschieden, sie jener Institution zu überlassen, die auch dessen künstlerischen Nachlass betreut.
Aus Sicht der Weimarer Museumsleute steht Thalmann exemplarisch für die Ambivalenz der Moderne. „Nach einer Buchbinderlehre studierte er an der Kunstgewerbeschule Weimar und war später Assistent bei ihrem Leiter, dem Architekten Henry van de Velde (1863-1957), einem zentralen Protagonisten des modernen Weimar“, sagt Museumsdirektorin Ludwig. Einem Meisterstudium an der Weimarer Kunsthochschule und einem Semester am Bauhaus folgte 1919 der Sprung in die zunächst erfolgreiche Selbstständigkeit. Es entstanden grandiose Holzschnittfolgen, in denen er auch die Eindrücke eines längeren Aufenthaltes 1923/24 in den USA festhielt.
Wohl wegen des nötigen Broterwerbs gab Thalmann die freie künstlerische Tätigkeit schon 1927/28 zugunsten eines festen Engagements als Buchgestalter und Gebrauchsgrafiker bei Eugen Diederichs weitgehend auf. Bis zu seinem Tod gestaltet er mehr als 150 Bucheinbände, elf Jahre davon unter den Bedingungen des NS-Regimes. „Vielleicht war es sein ambivalentes Spätwerk, das dazu beigetragen hat, dass Thalmann nach seinem Tod 1944 schnell in Vergessenheit geraten ist“, sagt Dahme.
Dabei ist bislang ungeklärt, ob Thalmann selbst Anhänger der NS-Ideologie war oder in erster Linie den künstlerischen Vorgaben seiner Auftraggeber folgte. „Wir haben keinen Hinweis darauf, dass der so hochgelobte Thalmann jemals Mitglied der NSDAP gewesen wäre“, sagt Dahme. Zudem hatte die Reichskammer der Bildenden Künste das expressionistische Frühwerk des Buchbinders und Grafikers 1937 noch als „entartet“ diffamiert und konfisziert.
epd
Autor:Online-Redaktion |
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