75. Todestag Dietrich Bonhoeffers
«Nimm selber deine Verantwortung wahr»

Wehrmachtuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel: Dietrich Bonhoeffer (2.v.r.) mit gefangenen Offizieren der italienischen Luftwaffe im Frühsommer 1944 | Foto: Foto: Gütersloher Verlagshaus GmbH
  • Wehrmachtuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel: Dietrich Bonhoeffer (2.v.r.) mit gefangenen Offizieren der italienischen Luftwaffe im Frühsommer 1944
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Zum 75. Mal jährt sich am 9. April der Todestag des evangelischen Theologen und Nazi-Gegners Dietrich Bonhoeffer. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Bonhoeffer durch seine Bücher und Briefe zu einem der am meisten zitierten Theologen in Deutschland. Über Bonhoeffers Bedeutung sprach Michael Grau mit dem früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem Theologieprofessor und Bonhoeffer-Experten Wolfgang Huber.

Was macht Dietrich Bonhoeffer zum bekanntesten evangelischen Theologe des 20. Jahrhunderts?
Wolfgang Huber:
In meinen Augen ist der Hauptgrund, dass wir bei ihm in einer ungewöhnlichen Weise eine Einheit von Leben und Glauben und von Lebensgeschichte und Theologie vor uns haben. Er ist bekannt als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Er ist anerkannt als Märtyrer, der um seines Glaubens und seiner Gewissensüberzeugung willen gestorben ist. Und er ist bekannt als einer, der zur Zivilcourage ermutigt und befähigt. Das hat dazu geführt, dass viel Menschen auch in schwieriger Situation sich an ihn gehalten haben und auch heute an ihm orientieren.

Sie sagten einmal, Bonhoeffer sei eine Art evangelischer Heiliger. Dafür gab es viel Kritik. Stehen Sie noch dazu?
Ja, ich bleibe grundsätzlich dabei. Ich muss aber zugeben, dass es im evangelischen Bereich nicht durchsetzbar ist, ein Verständnis von Heiligen zu entwickeln, wie es dem evangelischen Bekenntnis entspricht. Im evangelischen Verständnis ist ein Heiliger derjenige, der für uns zum Vorbild im Glauben werden kann. Nur in diesem Sinn habe ich von Bonhoeffer als einem evangelischen Heiligen gesprochen.

Ihr Buch über Bonhoeffer trägt den Titel «Auf dem Weg zur Freiheit». Ist Freiheit aus Ihrer Sicht das zentrale Thema von Bonhoeffer?
Es ist jedenfalls ein ganz zentrales Thema. Der Titel ist ein Zitat, nämlich die Überschrift eines Gedichtes aus seiner Gefängniszeit. Und seine Ethik macht ganz klar, dass die Zusammengehörigkeit von Bindung und Freiheit für ihn das Wesen der christlichen Existenz ausmacht.

War Bonhoeffer ein Liberaler?
Nicht in dem Sinn, in dem wir heute den Liberalen verstehen. Bonhoeffer war zunächst kein in der Wolle gefärbter Demokrat. Er ist noch in der Zeit des Kaiserreichs geboren und aufgewachsen. Er hat die Zeit der Weimarer Republik mit all ihren Abgründen erlebt. Und er war dann ein Opfer einer Diktatur. Eine gefestigte Beheimatung in der liberalen Demokratie war nicht die Wirklichkeit, in der er aufwuchs und lebte. Und er war auch kein Liberaler in dem Sinn der Freizügigkeit, der Distanz zu allen Regeln. Seine Auffassung war, dass Menschen Regeln, Prinzipien, klare Grundorientierungen brauchen, aber dass sie diese Orientierungen aus eigener menschlicher Freiheit wählen und bejahen. Insofern war er nah an einem Begriff von Liberalität im Sinn der menschlichen Autonomie.

Heute beschäftigen uns wie zu Bonhoeffers Zeiten wieder verstärkt Judenhass und Antisemitismus. War Bonhoeffer immun gegen Antisemitismus?

Ja, das kann man eindeutig feststellen. Er wuchs in einer Atmosphäre auf, in der Menschen jüdischer Herkunft für ihn selbstverständlich Freunde, Partner, Glieder befreundeter Familien waren. Er war von Anfang an immun gegen den Rassen-Antisemitismus der NSDAP. Er war im Jahr 1933 der erste, der die ganz frühen Maßnahmen des Hitler-Regimes gegen die Juden bereits als ein Thema des Glaubens und des Gewissens verstand und von seiner Kirche erwartete, dass sie dazu ganz klar Stellung nahm. Leider wurden seine Erwartungen bereits da enttäuscht.

Was ist aus Ihrer Sicht die Botschaft Bonhoeffers für uns heute?

Die Botschaft heißt: Nimm selber deine Verantwortung aus Glauben wahr. Verstecke dich nicht hinter anderen Autoritäten. Nimm die Situation genau wahr und vertraue darauf, dass das Gebot der Liebe zu Gott, zum Nächsten dir zeigen wird, welchen Weg du gehen sollst. (epd)

Hintergrund

Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer  wurde am 4. Februar 1906 als sechstes von acht Kindern im
schlesischen Breslau geboren, dem heutigen polnischen Wroclaw. Er  gehört zu den bekanntesten kirchlichen Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus und wurde wenige Wochen vor Ende des Zweiten
Weltkriegs - am 9. April 1945 - im Konzentrationslager Flossenbürg  bei Regensburg hingerichtet. Nach seinem Studium der Theologie in Tübingen und Berlin stand er nach der Machtübergabe an Hitler 1933
als Pfarrer und Privatdozent in kirchlicher Opposition gegen dieNationalsozialisten.

In der «Bekennenden Kirche» wendete Bonhoeffer sich gegen die Gleichschaltung des Christentums mit der Nazi-Ideologie. Dort war er  unter anderem mit der Ausbildung von Pfarrern beauftragt. Spätergehörte der Theologe zum erweiterten Kreis derjenigen, die auf einen  Sturz des NS-Regimes hinarbeiteten und ein Attentat auf Adolf Hitler
befürworteten. Im Ausland knüpfte er Kontakte und gab Informationen

über die Pläne des deutschen Widerstandes weiter. Sein politischesHandeln begründete Bonhoeffer immer theologisch.

Die Gestapo verhaftete ihn 1943. Während seiner fast zweijährigen Haftzeit schrieb er zahlreiche Briefe und hinterließ mit seinen Gebeten, Gedichten, Predigten und ethisch-theologischen Studien einumfangreiches Werk. Zahlreiche Schulen, Kirchen und Straßen sind

heute nach dem Theologen benannt.

Autor:

Online-Redaktion

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