Standpunkt
Keine Gewalt!

Thomas A. Seidel | Foto: TMBWK

Von Thomas A. Seidel

Das war der Ruf der friedlichen Revolutionäre vor 30 Jahren. Keine Gewalt! Das war der Tenor bischöflicher Statements – trotz innerkirchlicher Auseinandersetzungen. Das muss auch heute gelten, wenn nach einer formal korrekten, politisch höchst umstrittenen Wahl Leib und Leben des Ministerpräsidenten und seiner Familie bedroht sind. Das Schweigen der fünf Bischöfe gegenüber sich „antifaschistisch“ nennenden Gewalt-ausbrüchen macht mir Angst. Die leitenden Geistlichen haben (zu Recht) eine Regierungsbeteiligung mit den Thüringer Rechtspopulisten als „rote Linie“ bezeichnet. Doch sie überlassen den katholischen Liberalen Thomas Kemmerich, der exakt diese Position im Wahlkampf und nach der Wahl markiert hat, wortlos dem Schutz der Polizei. Wo bleibt der Ruf zur Fürbitte und der Aufruf: Keine Gewalt!?
Es mehren sich die Anzeichen, dass die Gewaltlosigkeit, die für eine offene, urteilsstarke Bürgergesellschaft unverzichtbar ist, bedroht wird. Wie können wir aus der „Freiheit eines Christenmenschen“ (Martin Luther) in den Stürmen der Zeit bestehen? In Erinnerung an die protestantische Bürgerrechtsbewegung gegen die SED-Diktatur könnten wir erneut zu einer „Initiative Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ (1987) einladen. Der Grundton heute: „Seid nüchtern und wachet!“ (1. Petrus 5,8) Denn: Christus hat uns befreit. Er schenkt uns die „herrliche Freiheit der Kinder Gottes“ (Römer 8,21). Er hilft uns, einen klaren Verstand und ein offenes Herz zu bewahren. So dürfen wir „nüchtern und wach“ im Pulverdampf parteipolitischer Machtkämpfe zu Mäßigung und rhetorischer Abrüstung aufrufen und auf die Stabilität der Verfassungsorgane und auf die strikte Einhaltung demokratischer Regeln setzen. „Nüchtern“ – ohne moralistischen Furor und „wachsam“ – in aufmerksamer, kritischer „Einmischung“, die auch die Argumente der „Gegenseite“ hört und prüft. Denn: Unser „Prüfstein“ ist Christus (1. Petrus 2,4-5; Jesaja 28,16). Oder, mit Martin Niemöller gefragt: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Diese Frage provoziert unterschiedliche Antworten. Eine lautet ohne Zweifel: Keine Gewalt!

Der Autor ist Leiter der Diakonenausbildung in Eisenach und war bis 2010 Leiter des Evangelischen Büros in Thüringen.

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Online-Redaktion

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